Die entgleiste Zug-Euphorie
Die Kollision zwischen zwei Hochgeschwindigkeitszügen in der chinesischen Stadt Wenzhou, bei der 4 Waggons von einer Brücke fielen und 2 weitere entgleisten, hat am vergangenen Wochenende mindestens 39 Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Ein Schnellzug war auf einen anderen aufgefahren, der wegen eines Blitzeinschlags auf einer Landbrücke zum Stehen gekommen war. Die Kritik am chaotischen Vorgehen der Verantwortlichen wird inzwischen immer lauter.
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Nur einen Tag nach der Tragödie begannen Bagger den Waggon mit dem Führerstand, der von der Brücke gefallen war, an Ort und Stelle zu begraben. Die auf dem Wagen geschriebenen Lettern CRH (China Railway Highspeed), die für den chinesischen Hochgeschwindigkeitszug stehen, wurden kurzerhand eingedrückt und unkenntlich gemacht, wie die Asahi Shimbun berichtete.
Damit würde ein problemloser Ablauf der Rettungsarbeiten gewährleistet, erklärte Wang Yongping, Pressesprecher des Bahnministeriums, das ungewöhnliche Vorgehen. Andere Stimmen warfen den Behörden vor, die wahren Gründe für den Unfall damit verbergen zu wollen. Experten betonen, dass nach Unfällen der Führerstand eines Zuges unbedingt untersucht werden müsse. Selbst der staatliche Sender CCTV kritisierte das Vorgehen.
Ermittlungen aufgenommen
Nach der heftigen Kritik wurde der Wagen einen Tag später wieder ausgegraben und mit Planen verdeckt, zu einem Grundstück beim Bahnhof von Wenzhou gefahren. Die anderen heruntergestürzten Waggons wurden vorerst an der Unfallstelle belassen. Man werde nun mit den gründlichen Ermittlungen beginnen, hiess es von den Behörden laut NHK News. Gleichzeitig hat die Regierung begonnen, die Angehörigen der Opfer zu entschädigen. Eine Familie soll laut Xinhua News bereits 500’000 Yuan (53’000 Euro) erhalten haben.
Die Kritik hält indes an. «Die Züge fahren nicht in einem Labor», kritisierte die regierungsnahe Beijing Times nach dem Unfall. «Hier handelt es sich um einen öffentlichen Dienst, bei dem Menschenleben auf dem Spiel stehen.» Ausserdem hätten die Betreiber durch die zahlreichen Störungen auf der neuen Vorzeigestrecke zwischen Peking und Shanghai vorgewarnt sein sollen, schrieb die Zeitung weiter.
Kritik aus der Bevölkerung
Die staatliche Zeitung Global Times fordert derweil verbesserte Sicherheitsstandards für die Superschnellzüge. Auf dem Mikroblogger-Portal Weibo wurden ebenfalls Zweifel an der Fähigkeit der Betreiber laut. Zu schnell und zu unvorsichtig habe China dieses prestigeträchtige Hochgeschwindigkeits-Projekt vorangetrieben.
Angehörige der Opfer beklagten sich zudem auf dem japanischen Sender TBS-News über die mangelnde Informationspolitik der Regierung. Der Pressesprecher vom Bahnministerium war gezwungen, sich öffentlich für die Tragödie zu entschuldigen. Drei hohe Offizielle des Ministeriums wurden entlassen.
Das automatische Bremssystem
Auch in Japan kam nach dem Unfall die Frage nach der Sicherheit auf. So basiert einer der Unfallzüge auf der Technologie der japanischen Shinkansen-Modelle. Experten verweisen jedoch auf das automatische Bremssystem ATC, das in allen japanischen Hochgeschwindigkeitszügen eingebaut ist. So werde ein Shinkansen automatisch gestoppt, sobald eine Anomalie auf der Strecke festgestellt werde.
Seit der Inbetriebnahme 1964 gab es auf den Shinkansen-Strecken noch keinen Unfall mit Todesopfern. Einzig 2004 kam es beim Erdbeben von Niigata zu einer Entgleisung, trotz automatischer Schnellbremsung. Glücklicherweise wurde niemand verletzt.
Exportchancen gleich Null
Das chinesische Bahnministerium betonte gerne die technische Überlegenheit gegenüber den Shinkansen-Kompositionen. Doch nach dem Unfall sind diese Stimmen verstummt. Auch die Exportpläne werden wohl auf Eis gelegt. «Die Chancen einen chinesischen Schnellzug ins Ausland zu verkaufen, ist gleich Null», meint Edwin Merner von Atlantis Investment Research gegenüber Bloomberg. Künftig werde das Augenmerk bei den Hochgeschwindigkeitszügen noch viel mehr auf die Sicherheit gelegt.
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