Kreatives Schaffen in der Not
Dr. Pamela Ravasio ist Textilaficionado, Journalistin und Beraterin. Beruflich berät sie KMUs der Textil- und Modebranche in Sachen Nachhaltigkeit, und publiziert und forscht zum selben Thema. Sie ist in Zürich aufgewachsen und hat sie an der ETH dissertiert. Von 2005 bis 2009 lebte sie in Japan, seit 2009 in London. Ihre Website Shirahime gewann im Juni 2011 den Observer Ethical Award, den «Grünen Oscar» Grossbritanniens. Für Asienspiegel schreibt sie über Japans Mode, Textilhandwerk und die Rolle der Zivilgesellschaft.
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In der Tsunami-Region gibt es inzwischen Kleinstprojekte die von den Bewohnern des Tsunamigebietes selbst aus dem Boden gestampft wurden, und teilweise Unterstützung durch gestandene Unternehmen erhalten.
Das Tohoku Granma Christmas ornament project (Initiatorin: Avanti, Japan’s wohl älteste auf Biobaumwolle spezialisiertes Mode- und Textilunternehmen). Avanti hat via Kontakte in den Tsunamigebiete Grossmütter rekrutiert, total 50 Personen verteilt auf 4 Lokalgruppen, welche Stoffreste der Pristine-Kollektion des Unternehmens in Christbaumdekorationen vernähen.
Die Näherinnen hatten Anfangs mit den Tücken von Nadel und Faden zu kämpfen, da sie als völlige Anfängerinnen zu diesem Projekt gekommen waren und früher ihren Lebensunterhalt als Bäuerinnen oder in der Fischereiindustrie verdient hatten.
NEUE SOZIALE NETZWERKE
Jede der Gruppen besteht aus Mitgliedern, sie sich vorher nicht kannten. Das Projekt wird zur Zeit in 4 Ortschaften durchgeführt: Kuji und Rikuzentakada in der Präfektur Iwate, und Minamisanriku und Ishinomaki in der Präfektur Miyagi. Das Projekt kann zum jetzigen Zeitpunkt bereits als Erfolg bezeichnet werden, und das auf verschiedenen Ebenen.
Zum einen wurden neue Bande zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern kreiert, und damit ein soziales Netzwerk geschaffen, das in den meisten Fällen verloren gegangen war; die Näherinnen bekamen die Möglichkeit mit ihrer Arbeit etwas Geld zu verdienen; und das Projekt hat bisher bereits einen Betrag von gut 8 Mio. Yen (~ 80’000 Euro) eingebracht welcher an die Gemeinden der Näherinnen für den Wiederaufbau ausgeschüttet wird.
Avanti hat sich verpflichtet das Projekt für mindestens 10 Jahre weiterzuführen. Um nicht gänzlich auf den Verkauf von saisonalen Dekorationsobjekten (Weihnachten, Ostern) angewiesen zu sein, werden die Näherinnen spezielle auch Omamori herstellen, die dann durch ein Netzwerk von Tempeln und Schreinen vertrieben werden sollen.
DAS HUT-PROJEKT
Das Miracle Cap Projekt (mehr Info dazu auf Japanisch; hier, and hier) ist die Zusammenarbeit der ehemaligen Krebspatientin Takahashi, mit Überlebenden des Tsunami aus der Region Soma in der Präfektur Fukushima. Die Region gehört zu jenen, die am meisten unter dem Reaktorvorfall im Kernkraftwerk Fukushima gelitten haben.
Takahashi hatte bereits vor der Katastrophe das Design zu einem multifunktionalen Hut für Frauen entwickelt, die aufgrund der Chemotherapie ihre Haare verloren hatten. Die Vorkommnisse im Kernkraftwerk Fukushima hatten Takahashi dazu bewogen ihr Hut-Projekt mit Frauen aus Soma als Näherinnen just ausserhalt der 30 Kilometerzone, umzusetzen.
Jeder Hut kann auf 7 verschiedenen Weisen getragen werden, und wird für 2000 Yen, wovon 500 Yen, unabhängig vom Lohn der Näherinnen, an die Region gespendet werden, entweder online, oder via Patientenorganisationen vertrieben.
SHIKATA GA NAI
Shanecha (しゃねっちゃ) besteht aus einer Gruppe von 3 Damen um die 70, die alle in derselben temporären Wohnüberbauungen leben. Die Marke (die Damen haben sogar ein Logo und richtige Kleideretiketten) wurde im September 2011 gegründet, und nennt sich nachdem wie im Lokaldialekt die Worte Shikataganai (しかたがない; zu Deutsch etwa: es ist halt wie es ist) ausgesprochen werden.
Die Nährinnen stellen aus Secondhand Kimonos und Yukatas kleine Kosmetiktäschchen, sowie Schürzen, oder Winter-Haori her, sowie Platzdeckchen und Untersetzer aus gehäkelter Spitze. Inzwischen treffen Bestellung aus ganz Japan, bis hinunter nach Okinawa, ein und sogar von Japanischen Esswaren und Innendekorationsläden in den USA.
NOT MACHT ERFINDERISCH
Es gäbe noch viele, viele Initiativen mehr, welche zeigen wie sowohl die Betroffen selbst, wie auch gestandene Unternehmen versuchen mit einfachsten Mitteln und Designs (temporäre) Arbeitsplätze zu schaffen und Einkommen zu generieren.
Wenn man sich das Redewendung ‹Not mach erfinderisch› durch den Kopf gehen lässt, dann wird klar, dass angesichts der Hunderten von Initiativen – dieser Beitrag wird dem, was wirklich vor Ort getan wird mit Nichten gerecht – die Not gerade zu überwältigend sein muss.
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