Einmal Big in Japan
Puma Mimi ist die Sängerin der japanisch-schweizerischen Elektropop-Band Tim & Puma Mimi. Für Asienspiegel schreibt sie über japanische Bands, Events und Kunst. Puma Mimi führt uns in eine Kultur Japans, die jung und angesagt und in Europa kaum bekannt ist.
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Ab und an fragen mich Musikerfreunde nach Tipps für eine Tokio-Tournee. Gewöhnlich mache ich sie dabei aufmerksam, dass die Indie-Szene und die Konzerte in Japan ganz anderen Regeln unterworfen sind als in Europa. Selbst ich als Japanerin habe meine liebe Mühe für meine Band Tim & Puma Mimi Konzerte in Tokio zu buchen. Das hat seine Gründe.
Auch das verrückte Elektro-Pop-Punk-Duo Anatopia war gewarnt. Doch die Beiden waren mutig genug, ihre Japan-Quellen anzuzapfen und E-Mails an Millionen von Live-Häusern zu schicken. Am Ende kamen sie mit der Unterstützung des japanischen Labels Call and Respond Records und Nederlands Fonds Podiumkunsten im Januar auf stolze 8 Shows in 15 Tagen, und dies nicht nur in Tokio, sondern auch in Osaka, Kumamoto und Fukuoka. Anatopias erste Japan-Tour war somit geboren. Ihre Erfahrungen haben sie in einem persönlichen Bericht niedergeschrieben.
Hier nun also ein paar Tipps für alle Bands, die den Wunsch verspüren zumindest einmal in Leben durch Japan zu touren.
DAS ANDERE GIG-SYSTEM
In Japan sind Clubs nicht unbedingt Orte für Live-Auftritte. In Clubs wird gewöhnlich getanzt. Daneben gibt es durchaus auch Clubs im europäischen Sinne. In diesen Live-Häusern beginnt ein Konzert gewöhnlich um 19 Uhr und um 23 Uhr ist bereits Feierabend. Der Abend ist selten für eine einzige Band reserviert, 4 bis 5 Gruppen erhalten jeweils 30 Minuten Spielzeit.
In Tokio ist das Leben für Indie-Bands besonders hart. Für einen Gig nehmen müssen sie viel finanzielles Risiko auf sich nehmen. Ian Martin, ein in Tokio lebender britischer Musikautor und DJ,hat die Gig-Kultur in einem Artikel für die Japan Times durchleuchtet. Gemäss seiner Erfahrung muss jede Band eine Mindestquote von 15 bis 30 verkaufter Tickets an einem Abend garantieren. Das entspricht einem Betrag zwischen 20’000 und 60’000 Yen. Wird diese Summe nicht erreicht, muss die Band nachzahlen. Einen Lohn gibt es folglich erst, wenn der vereinbarte Mindestbetrag übertroffen wurde. «Die Musiker sind die Kunden und nicht das Publikum», fast Martin die brutale Realität für Tokios Indie-Bands zusammen.
In Japan ist es nicht einfach Leute und Freunde davon zu überzeugen, dass sie für eine Live-Show 2000 Yen hinblättern, speziell wenn das Konzert auf einen Wochentag fällt. Ian Martin glaubt nicht, dass sich an diesem System in absehbarer Zukunft etwas ändern wird. «Das wird erst verschwinden, wenn das Publikumsinteresse für Indie-Bands ansteigen wird. Doch dies wird nicht passieren, solange die unabhängigen Musiker nicht die Medienpräsenz erhalten, die sie verdienen. Stattdessen werden sie von den Kartellen, grossen Labels, Talentagenturen und Fernsehfirmen ausgeschlossen.» Das ist die brutale Realität der japanischen Indie-Musikszene.
IMMER NOCH LUST AUF EINE TOUR?
Nun aber die gute Nachricht. Viele Live-Häuser verlangen von ausländischen Bands keine Mindestquote. Auf einen Lohn oder Spesen dürfen aber auch sie nicht hoffen. Aber immerhin muss man nicht für den Gig bezahlen. Ihr könnt mir glauben, damit spart Ihr euch schon viel Geld.
Solltet ihr also den Schritt nach Japan wagen, dann sucht euch ein Live-House ohne Quote. Sucht nach Stiftungen in eurem Land, die euch die Flugkosten und Spesen bezahlen. Ideal ist es, wenn ihr ein japanisches Label findet. Ohne lokalen Support ist es schwierig in Japans Musikszene Fuss zu fassen. Anatopia hat dies bravourös gemeistert. Bist Du gut vorbereitet und finanziell gut abgesichert, wirst Du auf jeden Fall so viel Spass wie Anatopia haben.
DIE SPRACHBARRIERE
Für Anatopia war es der erster Besuch in Japan überhaupt. Japanische sprechen sie nicht. Nicht viele Japaner beherrschen ein Englisch, mit dem sie auch kommunizieren könnten. Die Sprachbarriere ist entsprechend hoch. Doch Anatopia schien dieser Umstand zu gefallen. Mit viel Witz und Technologie fanden sie spielerisch den Kontakt zu ihrem Publikum. In simplem Englisch schrieben sie für die Gäste Sätze wie «Our record ist really great, please buy it and go home».
Offenbar funktionierte es. Ein enthusiastischer Fan kommunizierte mit Anatopia per Übersetzungs-App auf seinem iPhone. «Eure Live-Übertragung war brilliant» hiess es darauf. Auch Youtube schien ganz gut als non-verbaler Vermittler von Kulturen zu funktionieren. «Wir haben eine grossartige Zeit ohne Worte, dafür aber mit Seven-Eleven-Sushi und japanischen Youtube Helden und Rock-Legenden verbracht», schrieb Anatopia über den Kontakt mit dem japanischen Publikum.
ALLES IST ORIGAMI
Das japanische System hat durchaus seine positiven Seiten. Die meisten Live-Häuser sind technisch auf dem besten Stand. Versierte Techniker bieten ein gutes Licht- und Soundsystem. «Perfektionismus bis ins Detail», schrieb Anatopia darüber. «Alles ist Origami».
Auch von den japanischen Indie-Bands ist Anatopia beeindruckt. «Sie sind gut vorbereitet, ausgerüstet und haben ein Art visuelles Konzept. Sie sind normalerweise sehr sehr gut, ob man die Musik nun mag oder nicht.»
Alleine durch die Tatsache, dass die japanischen Indie-Bands für ihre Auftritte zahlen, geniessen sie die totale künstlerische Freiheit. Anatopia hat für holländische Verhältnisse eine ziemlich aussergewöhnliche Bandzusammensetzung. Aber in Japan fühlten sich die Beiden ganz normal. «In Japan ist eine ungewöhnliche Bandzusammensetzung offenbar alltäglich. 1 Drummer, 2 Drummer, kein Drummer, wirklich grosse Instrumente, wirklich kleine Instrumente, Game Boys, elektronisches Irgendwas….»
DAS SPÜLGERÄUSCH
Trotz der etwas schwierigen Gig-Systems: Was Anatopia antrieb war die Sehnsucht nach Japan. «Das Wort Anatopia bedeutet der nicht ganz korrekte Zustand.» In Japan fanden sie «blinkende Lichter, Menschen mit Kostümen, ein extremer Gebrauch elektronischer Geräte und unnötig verrückte Erfindungen». Mit ihrem starken Willen, dem Mut Millionen von E-Mails zu schreiben der Geduld Google-Translation-Texte zu entziffern, gutem Humor und der Ernsthaftigkeit nützliche Unterstützung vor Ort zu finden, ist Anatopia in ihrer spirituellen Heimat gelandet.
Endgültig überzeugt von ihrem grossartigen Konzert-Trip waren die beiden, als sie in einer öffentlichen Toilette ein künstliches Spülgeräusch hörten. Es ist ein Ton, der die wahren Toiletten-Aktivitäten verbergen soll. Oh ja, Japan ist wahrhaftig Anatopia.
Tim & Puma Mimi ist eine Elektropop-Band bestehend aus dem Schweizer Produzenten Tim und der japanischen Sängerin Puma Mimi.
Seit 2004 komponiert und produziert Tim Songs und spielt Keyboard, Flöte sowie selbst gebaute Instrumente. Der Fruitilyzer, mit dem er Gurken elektrifiziert, ist ein Markenzeichen der Band. Puma Mimi schreibt dazu die Texte in ihrer Muttersprache.
Bis 2009 spielten Tim & Puma Mimi die weltweit ersten Skype-Konzerte: Mimi sang in den Laptop in der Küche ihrer japanischen Wohnung. Bild und Ton wurden via Skype in ein Konzertlokal in Europa übertragen. Da Mimi in Japan sozusagen keine Ferien hatte, war das die einzige Möglichkeit Konzerte zu spielen. Dieses aussergewöhnliche Live-Konzept fand viel Beachtung in den Medien.
Bis jetzt haben Tim & Puma Mimi mehr als 150 Konzerte auf der ganzen Welt gespielt – Skype und «echte» Konzerte. Ihr grössten Auftritte hatten sie im Womb Tokio 2007, am Paléo Festival Nyon 2009, Sonar Festival Barcelona 2010 und Montreux Jazz Festival 2010.
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