Der Mensch als Nebenrolle
Das Manyoshu ist Japans poetisches Gewissen. Einige der gesammelten Gedichte reichen bis ins 4. Jahrhundert zurück. Sie erzählen von der Liebe, der Sehnsucht, dem Schmerz – und stets ist die Natur als Metapher präsent. Ihr Mittelpunkt ist Nara, die erste Hauptstadt Japans. Und genau in dieser ländlichen Region, abseits vom Lärm und den grellen Lichtern Tokios, lässt Regisseurin Naomi Kawase ihr neustes filmisches Werk entfalten, mit den Zutaten des Manyoshu.
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Hanezu no tsuki ist sein Titel. Die klassische japanische Literatur bezeichnete mit Hanezu eine dem Scharlachrot ähnliche Farbe, ein zartes rot, von dem die Textilfärberin und Protagonistin Kayoko fasziniert ist. Ihre Hingabe endet hier aber nicht. Die Liebe ist es, die sie zur Verweiflung treibt.
Da ist ihr gesprächiger Ehemann Tetsuya, der in Beruf und im Kochen seine Passion gefunden hat. Dort ist der stille Künstler Takumi, ihre alte Liebe aus Schulzeiten. Als Kayoko schwanger wird, verwandelt sich diese Ménage à trois zu einer unwiderruflichen Implosion, zu einem beklemmenden Drama über die Liebe.
Die Illusion des Menschen
Es beginnt eine Reise zwischen Vergangenheit und Gegenwart mit der Natur als allgegenwärtige Begleiterin, als Konstante der Epochen. Wie in den Gedichten des Manyoshu bestimmt sie den Lauf der Zeit, dem sich die auch die Protagonisten von Hanezu no tsuki nicht widersetzen können.
«Im modernen Zeitalter gibt sich der Mensch der Illusion hin, grösser als alles andere zu sein», sagt Regisseurin Naomi Kawase. Es ist auch ein Fingerzeig nach Fukushima, deren Katastrophe mit aller Brutalität aufgezeigt hat, dass selbst in Japan, dem Land der Naturgewalten schlechthin, dieses Denken in den letzten Jahrzehnten Überhand gewonnen hat.
Der Mensch als Nebenrolle
Kawase ruft mit ihrem filmischen Schaffen die Grösse der Natur und somit die Zerbrechlichkeit des Menschen wieder in Erinnerung. «Eigentlich könnte man sagen, dass die Menschen in meinem Film eine Nebenrolle spielen», sagt sie. Mit dieser subtilen Botschaft macht die Regisseurin Hanezu no tsuki zu einem hoch aktuellen Film, der ganz ohne Pomp und Oberflächlichkeiten auskommt.
Die Poeten des Manyoshu erzählen von der Sehnsucht nach dem Besuch des Geliebten. «Sie brachten ihre Gefühle zum Ausdruck, indem sie diese auf Blumen und die Früchte der Jahreszeiten niederschrieben», erklärt Kawase.
Wo ist das Gesamtbild geblieben?
Der Takt des heutigen Lebens wird derweil durch das schiere Tempo und das abgekoppelte Leben von der Natur bestimmt. So fragt sich die Regisseurin: «Hatten die Menschen früher mit ihrem Verständnis für das Warten nicht ein besseres Gespür für das Gesamtbild?»
In Hanezu no tsuki bringt Naomi Kawase mit den Rezepten der japanischen Poesie genau diese Ruhe und Geduld dem Zuschauer gefühlvoll wieder näher.
Hanezu no tsuki läuft derzeit in den Kinos. Mehr dazu hier.
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