Männer mit «Gelbfieber»
Wenn Männer nur noch Augen für asiatische Frauen haben: «Yellow Fever», «Gelbfieber», nennt man in den USA etwas abschätzig dieses Phänomen. Die amerikanische Filmemacherin Debbie Lum hat sich aus ganz persönlichen Motiven diesem Thema angenommen und in einer über fünfjähriger Arbeit den Dokumentarfilm Seeking Asian Female realisiert, der die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen dem 60-jährigen Amerikaner Steven und der jungen Chinesin Sandy erzählt. Mit Seeking Asian Female ist Debbie Lum eine tiefgehende und zugleich humorvolle Auseinandersetzung mit dem Phänomen des «Gelbfieber» gelungen. Anfängliche Vorurteile und Mutmassungen werden bis zum Ende des Films sanft zerlegt.
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Seeking Asian Female feierte am 8. September 2013 Schweiz-Premiere im Alternativkino. Asienspiegel hat sich mit Filmemacherin Debbie Lum unterhalten.
Asienspiegel: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über das «Gelbfieber» zu machen?
Debbie Lum: Die Idee zu Seeking Asian Female hatte ich schon vor vielen Jahren. Das sogenannte «Yellow Fever» war ein Phänomen, mit dem ich mich als asiatische Amerikanerin vertieft auseinandersetzen wollte. Oder anders gesagt: Ich musste mich von meinen eigenen Vorstellungen befreien. Meine Schwestern und meine asiatisch-amerikanischen Single-Freundinnen ärgerten sich dermassen über das Phänomen, dass sie zeitweise mit gar keinen Männern mehr ausgehen wollten. Weshalb aber diese verwirrende, widersprüchliche Reaktion? Ich wusste es selbst nicht genau und wollte mehr darüber wissen.
Was ist Ihr persönlicher Hintergrund?
Ich bin aus einer Familie, die bereits seit vier Generationen in den USA lebt. Unsere Vorfahren stammen aus China. Die Suche nach einer Identifikation als asiatische Amerikanerin, die weder Weiss noch Chinesisch per se ist, hat mich in meiner Jugend geprägt.
Wie erklären Sie sich das «Gelbfieber»-Phänomen?
Für meinen Dokumentarfilm habe ich mit unzähligen Männern, die «Gelbfieber» haben, Interviews geführt. Viele von ihnen beschreiben die asiatischen Frauen als «exotisch», «anders» und «besser». Mit «besser» meinten sie «besser als weisse Frauen», denn überraschenderweise ist keiner meiner weissen interviewten Personen jemals mit einer Afro-Amerikanerin oder einer Latina ausgegangen. Andere Gründe waren «traditioneller», «gute Familienwerte», «Ich mag japanisches Essen», «schlanker», «sie lachen mehr», «sie sind intelligenter als amerikanische Frauen». Es stellte sich heraus, dass sie ein regelrechtes Bedürfnis hatten, über ihr «Gelbfieber» zu sprechen. Natürlich hassten einige den Begriff, anderen war es egal. Übrigens bezeichne ich San Francisco, wo ich wohne, als das Epizentrum des «Gelbfieber»-Phänomens. Ich würde gerne wissen, ob es auch in der Schweiz ein ähnliches kulturelles Phänomen gibt.
Wie schwierig war es, einen Charakter wie Steven zu finden?
Ironischerweise war Steven einer der ersten, den ich vor der Kamera hatte. Ich hatte zuvor unzählige Männer angeschrieben, die über Online-Dating-Websites nach Asiatinnen suchten. Von 30 Männern, die ich interviewt hatte, wählte ich schliesslich fünf aus, die ich auf ihrer Suche nach der Asiatin ihrer Träume begleiten wollte. Steven gehörte auch zu dieser Gruppe, die übrigens ethnisch sehr unterschiedlich zusammengesetzt war. Aber niemand ausser Steven wurde fündig. Es war der Anfang von Steven und Sandys Geschichte. Glücklicherweise war Steven von Anfang mein bevorzugte Person, die ich porträtieren wollte.
Wie würden Sie Steven beschreiben?
Steven hat sich selbst als «ein Opfer der menschlichen Natur» beschrieben. Er hat auch schon Witze gemacht, dass er unter einer «gestoppten Entwicklung» leide. Ich würde ihn als einen alternden Babyboomer, einen veträumten Ex-Hippie beschreiben, dessen ungefiltertes Auftreten völlig entwaffnend und liebenswert ist, obwohl er der Typ Mann ist – ein älterer Amerikaner mit einer schweren Form von «Gelbfieber» – , dem ich mein Leben lang ausgewichen bin. Stevens zwanghafte, obsessive Suche nach seiner Traumasiatin kann für einige als beleidigend, für andere als bewundernswert angesehen werden.
Wie würden Sie Sandys Charakter beschreiben?
Sandy ist ein Feuerwerk. Sie ist bodenständig, entschlossen und pragmatisch zugleich. Sie hat keine Angst, ihre verletzliche Seite zu zeigen und will auf dieselbe Weise, wie wir es alle wollen, geliebt werden. Ihr Realismus ist eine perfekte Ergänzung zu Stevens Fantasien. Sie ist genau so offenherzig wie Steven, wenn auch vielleicht auf weniger naive Art. Ich bewundere ihre Ausdruckskraft. Indem sie alles andere als materialistisch ist, räumt Sandy mit den so typischen Vorurteilen über chinesische Frauen auf. Es war ein Geschenk der «Filmgötter» als Sandy kam. An einem der ersten Treffen fragte ich sie, was sie von Steve halte. «Wir haben viel gemeinsam», antwortete sie mir. So unmöglich wie es damals klang, entdeckte ich später, dass die beiden tatsächlich einen gemeinsamen Sinn für Humor haben. Sie können sehr gut über sich selbst und über den anderen lachen.
Während des Dokumentarfilms verstricken Sie sich immer mehr in die Beziehung der beiden. Hätten Sie jemals gedacht, dass sich der Dokumentarfilm so entwickeln würde?
Ursprünglich wollte ich mit dem Dokumentarfilm den Spiess umdrehen. Männer mit «Gelbfieber» , die mich als asiatische Amerikanerin auf dem Radar hatten, sollten nun zum Objekt meiner Studie werden. Der Dokumentarfilm entwickelte sich schliesslich in eine Richtung, die ich mir so nie vorgestellt hätte. Alles, was ich mir mit dem Film vorgenommen hatte, wurde auf den Kopf gestellt. Je näher ich an Steven und Sandy filmisch herankam, desto mehr wurde ich Teil ihrer Romanze als Übersetzerin, Vermittlerin und Eheberaterin. Plötzlich war ich zwischen die Fronten geraten und überschritt damit eine Grenze.
Was war die grösste Herausforderung während der Produktion?
Es gab so viele Herausforderungen. Die Liebe und ihre Beziehungen sind unvorhersehbar. Fünf Jahre lange verfolgte ich diese spezielle Geschichte. Ich musste warten bis mein Hauptcharakter Steven eine chinesische Frau gefunden hatte, die ihn heiraten wollte. Als Sandy dann in den USA war, rief sie mich mehrere Mal spät in der Nacht an. Ich wurde ungewollt zur Übersetzerin und Eheberaterin. Bis zur Hälfte der Produktionszeit realisierte ich überhaupt nicht, dass ich selbst zu einer Figur im Dokumentarfilm geworden war. Von der Finanzierung eines unabhängigen Dokumentarfilms möchte ich schon gar nicht reden.
Wie waren Steven und Sandys Reaktionen auf den fertigen Film?
Zur Premiere am SXSW Film Festival in Austin, Texas, nahm ich Steven und Sandy mit, wo sie tapfer im Publikum sassen. Sie hatten den Film zuvor schon gesehen und entschieden sich danach, an die Premiere zu kommen, ohne aber an der Fragerunde teilnehmen zu wollen. Sie verzichteten auch bewusst auf eine Presse-Tour. Sandy hatte Angst, dass die Zuschauer zu voreingenommen sein würden bezüglich ihrer Beziehung mit Steven. Steven wäre bereit gewesen, Auskunft zu geben, er respektierte jedoch Sandys Wunsch, davon abzusehen. Ich verstehe und respektiere ihre Entscheidung. Ich hätte es für mich jedoch gewünscht, dass sie an der Diskussion mit den Zuschauern teilgenommen hätten, denn bei jeder Fragerunde waren die Zuschauer voller Neugier und Hoffnung für die Beziehung der beiden.
Was kann das Publikum von Seeking Asian Female lernen?
Seeking Asian Female zeigt wie zwei scheinbar völlig fremde Personen gut zueinander passen können. Ich möchte dem Publikum eine andere Seite einer vermeintlich stereotypischen Geschichte zeigen. Man soll auch eine neue Vorstellung davon erhalten, was es bedeutet, eine chinesische Frau und eine chinesische Immigratin in den USA zu sein. Der Film zeigt auf, wie einflussreich und beunruhigend Vorurteile und Erwartungen für eine Beziehung sein können. Es ist besser zwei Mal nachzudenken, bevor man über andere urteilt.
Was sagt der Film über die Beziehung zwischen den USA und China aus?
Ich sehe den Film als eine Metapher für die Beziehungen zwischen den USA und China, in vertauschten Rollen. Für uns ist China die alte Kultur, während die USA die neue Welt darstellt. Aber in dieser Geschichte ist China eine junge Frau, während die USA eine Person ist, die sich zwar für jung hält, aber eigentlich alt und stehen geblieben ist. Oder weniger abstrakt: Sandy repräsentiert eine neue junge Generation von Chinesinnen, die Entscheidungen nicht aus einer Notwendigkeit heraus treffen, sondern für die persönliche Lebenserfüllung. In die USA zu kommen, bedeutete für Sandy nicht wirtschaftlich besser zu leben als in China. Vielmehr hat Sandy mit ihren wenigen Optionen, die sie hatte, einen eigenen Weg eingeschlagen, in der Hoffnung persönliche Erfülllung zu finden.
Sind Sie noch in Kontakt mit Steven und Sandy? Wie geht es den beiden?
Die beiden sind noch immer zusammen. Sandy hat hart daran gearbeitet, ihr Englisch zu verbessern und den Führerschein zu machen. Steven hat sich entschlossen, auch nach seiner Pension weiterzuarbeiten, um Sandy bei der Weiterbildung zu unterstützen. Ganz nach chinesischer Tradition hat sie als Ehefrau die Obhut über die Finanzen übernommen. Seither leben sie finanziell viel komfortabler. Sandy hat ihm modemässig einen Imagawechsel verpasst und beide besuchen regelmässig das Gym. Jedes Mal wenn ich Steven sehe, wirkt er wieder etwas jünger. Die beiden sind inzwischen schon länger zusammen als viele andere Paare.
Gibt es Pläne für eine Fortsetzung?
Nein, gibt es nicht. Es ist glaube ich Zeit, dass ich Steven und Sandy ein bisschen mehr Privatsphäre gebe.
Weiterführende Links:
Die Website von Seeking Asian Female
Facebook-Seite von Seeking Asian Female
Forum They’re so Beautiful
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