Das AKW vor der Grossstadt
Hakodate auf der Nordinsel Hokkaido und Oma am Nordzipfel der japanischen Hauptinsel Honshu liegen lediglich 23 Kilometer auseinander. Dazwischen liegen eine Meerenge und ein heftiger Streit um den Bau und Betrieb eines Atomkraftwerks.
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Die Grossstadt Hakodate mit ihren knapp 300’000 Einwohnern blickt auf eine vielfältige Geschichte zurück, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Hier errichteten die Japaner einer ihrer ersten Handelsposten auf Hokkaido. Heute ist Hakodate mit seinem historischen Hafengebiet und Häusern ein touristischer Anziehungspunkt.
Die 6200 Einwohner von Oma hingegen leben mehrheitlich von der Fischerei. Das verarmte Dörfchen sucht schon lange nach wirtschaftlichen Alternativen. Ende der 1970er-Jahre kam wie in anderen von der Wirtschaft vernachlässigten Gegenden die Idee auf, ein Kernkraftwert zu errichten.
Der frühere staatliche Stromkonzern J-Power zeigte Interesse und begann im Dorf für den Bau zu werben. Mit seiner Hilfe entstanden im Verlauf der Jahre eine Bibliothek, ein Sportkomplex und ein Swimmingpool, wie eine Reportage der Washington Post eindrücklich aufzeigt.
Der abrupte Baustopp
Nach einem jahrelangen hin und her, wie es bei der Planung von AKW in Japan üblich ist, wurde 2008 der Grundstein für das AKW Oma gelegt. Für J-Power, das hauptsächlich Kohle- und Wasserkraftwerke unterhält, ist es das erste Atomprojekt. Bis Ende 2014 wollte man fertig sein mit dem Bau, dann kam am 11. März 2011 der Tsunami und die AKW-Katastrophe von Fukushima. Der schon weit fortgeschrittene Bau wurde freiwillig ausgesetzt, die nukleare Zukunft von Oma schien ungewisser denn je.
Noch sind alle 48 Atomreaktoren in Japan ausser Betrieb. Eine Mehrheit der Japaner möchte heute lieber aus der Nuklearenergie aussteigen (Asienspiegel berichtete). Zurzeit werden 16 Reaktoren auf die neuen Sicherheitsstandards der Nuklearen Regulierungsbehörden geprüft (Asienspiegel berichtete). Wann der Erste wieder ans Netz geht, ist unbekannt. Die Regierung von Shinzo Abe möchte hingegen schnell wieder zurück zur Atomenergie. Für ihn sind die Reaktoren Garantie für Wirtschaftswachstum und eine stabile Energieversorgung, die heute mit teuren Gas- und Erdölimporten gesichert werden muss (Asienspiegel berichtete).
Zurück zur Nuklearenergie
Im Oktober 2012 gab die Vorgängerregierung unter Ex-Premier Noda überraschend grünes Licht für die Fortsetzung des AKW-Baus in Oma, obwohl zuvor noch beschlossen wurde, keine neuen Kernkraftwerke mehr zu bauen. Oma sei von diesem Entschluss ausgenommen, da die Baubewilligung vor der Katastrophe in Fukushima erteilt worden war, hiess es aus Tokio (Asienspiegel berichtete).
Für Oma waren dies gute Nachrichten. Bürgermeister Mitsuharu Kanazawa gab mit der Einwilligung der Lokalversammlung das OK zum Weitermachen. Seither wird wieder fleissig gebaut. Mit dem Betrieb der Atomreaktoren verspricht sich der Bürgermeister Wohlstand für sein Dorf. Neben vielen Arbeitsplätzen wird Oma auch mit staatlichen Fördergeldern zur Errichtung von Schulen und einem Krankenhaus rechnen können. Einmal in Betrieb soll das AKW laut der Sankei Shimbun der Gemeindekasse innert vier Jahren rund 15 Milliarden Yen (rund 105 Millionen Euro) an Steuergeldern einbringen.
Hakodate wehrt sich
Doch es regt sich Widerstand auf der anderen Seite der Tsugaru-Meerenge. Hakodates Bürgermeister, Toshiki Kudo, will den Betrieb des AKW unter allen Umständen verhindern. Seine Regierung hat nun eine Klage gegen den japanischen Staat und J-Power eingereicht, mit der Forderung den Bau des AKW Oma sofort zu stoppen. Die Klage ist ein Novum in der Geschichte Japans.
Kudo ist besorgt um die Sicherheit seiner historischen Grossstadt am Südzipfel von Hokkaido. Denn ein Teil von Hakodate liegt noch innerhalb des 30-Kilometer-Radius des AKW Oma, eine Evakuierung bei einem Atomunfall wäre wohl unumgänglich. Hakodate weiss von den Gefahren eines Tsunami. Das Hafengebiet der Stadt wurde am 11. März von der Welle erfasst.
Ausserdem entsprächen die Sicherheitsbedingungen in Oma der Vor-Fukushima-Zeit, bemängelt die Stadtregierung. Seither hätten keine neuen Überprüfungen gemäss den neuen, verschärften Standards der Nuklearen Regulierungsbehörden stattgefunden. Es fehle an einem Evakuierungsplan, dem Hakodate zugestimmt habe. Denn gemäss den neuen Vorgaben müssen alle lokalen Behörden im Umkreis von 30 Kilometern eines Kernkraftwerkes einen funktionierenden Evakuierungsplan für den Notfall ausarbeiten (Asienspiegel berichtete).
Ein Präzedenzfall
Im Falle des AKW Oma sei die Sicherheit nur zweitranging, kritisiert Bürgermeister Kudo. Er könne ein solches Vorgehen nicht akzeptieren. «Ich bin fest entschlossen, diese Klage zum Schutz der Stadt und der Bevölkerung durchzuziehen», liess Kudo gegenüber der Hokkaido Shimbun verlauten. Um die Kosten für die Klage zu decken, hat die Stadt Hakodate eigens eine Spendenaktion gestartet. In nur einer Woche sind so 5 Millionen Yen (35’000 Euro) zusammengekommen.
Das Gericht wird nun entscheiden müssen, ob eine Stadt, die zwar kein AKW beherbergt, aber in einem 30-Kilometer-Radius eines AKW liegt, ein Mitspracherecht beim Bau eines solch risikoreichen Projekts hat. Es könnte zum einem wichtigen Präzedenzfall für alle Ortschaften werden, die in der Nähe eines Kernkraftwerks liegen.
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