Die Rückkehr der Strassenbahn
Vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte die Strassenbahn in den japanischen Städten zum Alltagsbild. Das Wirtschaftswunder und der Auto-Boom der Nachkriegszeit liessen dieses öffentliche Verkehrsmittel jedoch alt aussehen. Viel lieber setzte man für den innerstädtischen Verkehr auf die U-Bahn oder ganz einfach auf den billigeren Bus. Einzig in einer Handvoll Städte wie Hiroshima oder Nagasaki sieht man noch Strassenbahnen im Einsatz. Einige ihrer Wagen sind sogar seit Jahrzehnten unverändert im Einsatz. Für den Passagier fühlt es sich wie eine kleine Zeitreise an.
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In den meisten Städten jedoch haben die Strassen vollständig dem Auto Platz gemacht. Dabei würde eine Strassenbahn so einige Vorzüge bieten. Ihr elektrischer Betrieb ist umweltfreundlich, der Passagier hat freie Sicht auf die Stadt während der Fahrt, alleine ihre Erscheinung trägt zu einem attraktiveren Stadtbild bei und für die älteren Menschen ist der Einstieg in Niederflurstrassenbahnen überaus angenehm.
Die Idee des Bürgermeisters
In der Stadt Toyama am Japanischen Meer hat Bürgermeister Masashi Mori 2006 diese Vorteile erkannt. Aus einer alten, defizitären Zuglinie, die vom Bahnhof in den Norden der Stadt führte, liess er eine moderne, zur Hälfte öffentlich finanzierte Strassenbahn mit komplett neuen Geleisen und Wagen bauen, die sich perfekt ins Stadtbild einpasste. Die Toyama Light Rail, auch Portram genannt, war geboren.
Acht Jahre nach ihrem Start, spricht man in Toyama von einer einmaligen Erfolgsgeschichte. Auch Mori ist noch immer im Amt. Mit der modernen Strassenbahn ging es ihm vornehmlich darum, auf das Problem der alternden Bevölkerung und der Ausdünnung der Innenstadt zu reagieren.
Während viele junge Menschen auf der Suche nach Arbeit in die Grossstädte ziehen, bleibt in den ländlichen Präfekturen Japans eine alternde Bevölkerung zurück (Asienspiegel berichtete). Auch in Toyama sagen Schätzungen voraus, dass die Einwohnerzahl von aktuell 420’000 Einwohnern in den nächsten zwanzig Jahren sinken, während der Anteil der Menschen über 60 Jahren rasant ansteigen wird. Ausserdem sind in den letzten Jahrzehnten viele Menschen in die Vororte gezogen. Das hatte zur Folge, dass das Zentrum allmählich verwaiste. Viele ältere Personen, die nicht mehr Autofahren konnten, gingen schon gar nicht mehr in die Innenstadt.
Eine Strassenbahn bewirkt Wunder
Die Einführung der Toyama Light Rail mit überaus billigen Fahrpreisen war eine kreative Antwort auf dieses demographische Problem. Die neue Strassenbahn zieht inzwischen doppelt so viele Passagiere wie der schwerfällige Vorgänger an. Besonders die Zahl der Fahrgäste über 60 Jahre ist um das 3,5-fache angestiegen, wie die Yomiuri Shimbun berichtet.
Heute fahren wieder viel mehr ältere Personen in den Stadtkern, wo dank einer zusätzlichen Strassenbahn-Ringlinie stets eine Station in angenehmer Gehdistanz liegt. Laut der SankeiBiz ist Toyama sogar zur Stadt avanciert, wo die Menschen über 65 Jahre besonders viel zu Fuss unterwegs sind. Täglich sind es 1000 Schritte mehr als im Landesdurchschnitt, was ganz natürlich zu einer Reduktion der Gesundheitskosten beiträgt. Weil immer mehr auch aufs Auto verzichten, hat die Strassenbahn einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, den CO2-Ausstoss der Stadt massiv zu reduzieren und das Stadtbild zu verschönern.
Die kompakte Stadt
Wenn die Bevölkerungszahl schon abnimmt, dann sorgt man dafür, dass die Menschen in die Innenstadt ziehen, lautet seit zehn Jahren die Philosophie von Bürgermeister Mori. Nur so können die hohen Kosten für das Gesundheitssystem und Infrastruktur gesenkt werden.
Mit dem Portram ist er seinem Ziel einer «kompakten Stadt» einen grossen Schritt näher gekommen. Dafür nimmt er auch in Kauf, dass die Strassenbahn defizitär arbeitet. Das Konzept scheint aufzugehen. Seit 2006 leben wieder mehr Menschen im Stadtzentrum. Zusätzlichen haben neben der Strassenbahn auch Steuererleichterungen und erleichterte Darlehen für Immobilieninvestitionen zu dieser Entwicklung beigetragen.
Das Erfolgsprojekt hat sich herumgesprochen. Am aktuellen UNO-Klimagipfel soll Toyama laut der Yomiuri Shimbun als eine von rund 20 Städten ausgezeichnet werden, die es vorbildlich geschafft hat, ihre Energieeffizienz markant zu verbessern. Und dies mit einer Verkehrssystem, das es schon seit über 100 Jahren gibt. Japan ist endgültig im Zeitalter der Wiederentdeckung der Strassenbahn angekommen.
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