Friedensnobelpreis für Japan?
Update, 10. Oktober 2014, 11 Uhr
Der Friedensnobelpreis geht an die Kinderrechtler Kailash Satyarthi aus Indien und Malala Yousafzay aus Pakistan.
Diese Woche sind bereits drei gebürtige Japaner mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet worden. Am Freitag könnte es noch besser kommen. Dann wird um 11 Uhr Ortszeit in Oslo zum 95. Mal der Friedensnobelpreis verliehen.
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In der diesjährigen Auswahl für die Auszeichnung ist auch «das japanische Volk, das den Artikel 9 bewahrt». Für Kristian Berg Harpviken, Direktor des unabhängigen Forschungsinstitut Peace Research Institute Oslo, steht diese Nominierung ganz zuoberst auf seiner Liste der Favoriten. Gerade in einer spannungsgeladenen Region wie Ostasien wäre der Friedensnobelpreis ein Zeichen zum richtigen Zeitpunkt, meint Harpviken dazu.
Würde sich diese Vorhersage bewahrheiten, wäre dies der Tatkraft der 37-jährigen japanischen Hausfrau Naomi Takasu zu verdanken. Doch dazu später mehr.
Friedensartikel 9
Der Artikel 9 der japanischen Verfassung legt den Verzicht auf Kriegsführung zu Lösung internationaler Konflikte fest. 1946 wurde diese pazifistische Verfassung von der damaligen US-Besatzungsmacht formuliert und 1947 vom japanischen Parlament in Kraft gesetzt. Bis heute zählt sie zu den fortschrittlichsten Gesetzeswerken überhaupt.
Noch spezieller ist, dass die Verfassung kein einziges Mal geändert wurde. Der Artikel 9 wird von vielen Japanern als eine zentrale Grundlage dafür angesehen, dass das Land in den letzten 67 Jahren keinen Krieg mehr erleben musste.
Abes will die Verfassung ändern
Doch spätestens seit Shinzo Abes Amtsantritt im Dezember 2012 ist die Verfassung unter Beschuss. Japans Premierminister betrachtet das Gesetzeswerk als nicht mehr zeitgemäss. Er wünscht sich eine Verfassung ohne den Kriegsverzichtartikel 9 (Asienspiegel berichtete).
Einen ersten Schritt dazu hat er im Juli dieses Jahres getätigt, als er den Artikel 9 so uminterpretierte, dass Japan künftig die kollektive Selbstverteidigung anwenden darf (Asienspiegel berichtete). Auf eine Verfassungsänderung hat der Premier jedoch bislang verzichtet, da diese eine Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern sowie ein nationales Referendum erfordert. Ausserdem geniesst der Artikel 9 nach wie vor viel Sympathien in der Bevölkerung.
Die Idee der 37-jährigen Naomi Takasu
Besorgt über diese Entwicklung zeigte sich die 37-jährige japanische Hausfrau Naomi Takasu aus der Präfektur Kanagawa. Sie betrachtet die jetzige Verfassung als Garant für Frieden in der Region. So begann Takasu aus eigener Kraft eine Unterschriftensammlung mit dem Petitionstitel «Friedensnobelpreis für den Artikel 9» und reichte diesen Vorschlag bei der norwegischen Kommission ein. Der Friedensnobelpreis für den Artikel 9 würde Premier Abe unter gewaltigen Druck bringen, war ihr Gedanke.
Die Antwort aus Norwegen war jedoch negativ. Man könne nur Einzelpersonen oder Organisationen den Preis verleihen, eine Verfassung hingegen sei etwas Abstraktes, hiess es aus Oslo (Asienspiegel berichtete).
Takasu liess nicht locker und formulierte kurzerhand den Vorschlag um. Dem japanischen Volk, welches seit fast 70 Jahren den pazifistischen Artikel 9 aufrechterhalten hat, sollte nun die Ehre des Friedensnobelpreises zuteil werden. Mit der Unterstützung von namhaften Professoren und ehemaligen Preisträgern gründete sie ein Komitee zur Umsetzung dieser Idee. Deren Empfehlungsschreiben und der neue Titel überzeugten die Norweger schliesslich im April 2014.
Wie reagiert Abe?
Mit ihrer Aktion hat Naomi Takasu bereits mehr erreicht, als ihr wohl viele zugetraut hätten. Und was, wenn das japanische Volk tatsächlich den Friedensnobelpreis erhalten würde? Müsste dann Premierminister Shinzo Abe höchstpersönlich vor der Weltöffentlichkeit die Ehre für einen Artikel entgegennehmen, der ihm eigentlich zuwider ist?
Zumindest eine gewisse Unsicherheit hat Takasu mit ihrem Anliegen in Tokio bereits ausgelöst. Kabinettschef Yoshihide Suga nahm erstmals dazu Stellung. Er glaube nicht, dass der Artikel 9 eine Chance auf den Friedensnobelpreis habe, hielt er sich laut der Japan Times kurz.
Doch offenbar gibt es in der Regierungspartei LDP diesbezüglich unterschiedliche Meinungen. LDP-Generalsekretär Sadakazu Tanigaki scheint einer Auszeichnung nicht abgeneigt zu sein. «Das ist doch eine gute Sache. Es ist nicht so, dass ich nicht möchte, dass dieses Anliegen gewinnt», zitiert ihn die Tokyo Shimbun. Der Koalitionspartner New Komeito stellt sich derweil begeistert hinter die Nomination. Die Partei ist bekanntlich eine Befürworterin des Kriegsverzichtartikels.
Starke Konkurrenz
Am Ende kann aber in Oslo alles ganz anders kommen. Harpvikens Trefferquote lag in den letzten zehn Jahren bei bescheidenen 10 Prozent. Ausserdem gibt es für das «japanische Volk» starke Konkurrenz. So ist beispielsweise unter den 278 Kandidaten auch Edward Snowden zu finden.
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