Grossrazzia auf dem Campus
Japans junger Generation hängt der Ruf nach, völlig apolitisch zu sein. Nach der AKW-Unfall von Fukushima fragten sich viele im Westen, weshalb nicht mehr junge Menschen – wie beispielsweise in Hongkong dieses Jahr – auf die Barrikaden gingen und politisch aktiv wurden.
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Tatsächlich hat Japan Jahrzehnte des Niedergangs der politischen Auseinandersetzung in der Gesellschaft hinter sich. Lange verschrieb sich das Land dem Wirtschaftswachstum und dem Konsum. Ein Grossteil des Fernsehprogramms besteht bis heute vornehmlich aus Reise-, Essens- und seichten Unterhaltungssendungen. Doch das war nicht immer so.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er-Jahre hinein, war Japans Jugend stark politisiert. Die Proteste gegen das Sicherheitsabkommen mit den USA, die Studentenausschreitungen an den Universitäten, die Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg oder der gewalttätige Widerstand gegen den Bau des Internationalen Flughafens Narita haben die Nachkriegsgeschichte Japans geprägt. Danach folgte eine lange Stille. Man zog sich zurück ins Private.
Gerangel auf dem Uni-Gelände
Doch diese Woche stellte eine Razzia im Wohnheim der Elite-Universität Kyoto das Bild der apolitischen japanischen Jugend auf den Kopf. Rund 120 Polizisten mit Helmen, Schlagstöcken und schusssicheren Westen ausgerüstet, betraten das Gelände, wie die Mainichi Shimbun berichtete. Eine Gruppe linksgerichteter Studenten mit Helmen und Sonnengläsern stellte sich ihnen in den Weg und forderten laut der Sankei Shimbun wütend einen Durchsuchungsbefehl. Nach einem Gerangel konfiszierte die Polizei schliesslich Dokumente, die der Chukaku-ha gehören sollen.
Es handelt sich um eine Gruppierung von linksgerichteten Aktivisten, die seit den 1960-ern bei allen grossen Protestbewegungen in Japan unzimperlich aktiv war. Gerade an der Universität Kyoto hat die Chukaku-ha eine lange Geschichte. Noch 1990, als es um die mögliche Entsendung von japanischen Soldaten beim Golfkrieg ging, besetzte sie die Universität. Bis heute beschäftigt die Gruppe die Polizei.
Die Verhaftung dreier Studenten
Der Razzia voraus ging eine Verhaftung dreier Studenten der Universität Kyoto an einer Gewerkschaftsdemo in Tokio am 2. November. Diese Studenten, die offenbar der Chukaku-ha angehören, hatten sich damals den Polizisten in den Weg gestellt und sich eine Rangelei geleistet.
Zwei Tage später protestierte ein Teil der Studentenschaft in der Universität Kyoto gegen die Verhaftungen. Dabei kam es zu einem Zwischenfall, als ein Polizist in Zivilkleidung, der die Aktivitäten verfolgte, aufflog. Er wurde zur Rede gestellt. Denn dieses Vorgehen verstiess gegen eine Abmachung, wonach die Polizei ihre Präsenz in der Universität Kyoto ankündigen muss.
Diese Spannungen waren der Grund, weshalb die Polizei für diese Razzia dieser Woche in grosser Anzahl auf dem Gelände erschien. Es waren Bilder, die es so an einer japanischen Universität schon lange nicht mehr gab und manch einen an die Studentenproteste in den 1960er-Jahren erinnerte.
Die Politisierung der Jugend
Die linksradikalen Aktivisten sind heute eine kleine Minderheit und dennoch steht diese ungewöhnliche Grossrazzia auf dem Universitätsgelände auch sinnbildlich für den derzeitigen politischen Wandel in der japanischen Gesellschaft.
Spätestens seit der AKW-Unfall und dem Amtsantritt des konservativen Premiers Shinzo Abe, der die Kernkraftwerke wieder ans Netz bringen will und Japans Militär eine stärkere Bedeutung geben will (Asienspiegel berichtete), steht das Land vor einem Scheideweg. Dies wird auch die Studentenschaft nicht kalt lassen.
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