Gegen das Vergessen
Am 8. März haben sich tausende Menschen vor dem Parlamentsgebäude in Tokio versammelt, um gegen die Atompolitik der Regierung zu protestieren. Der Zeitpunkt wurde bewusst einige Tage vor dem heutigen, vierten Jahrestag der Erdbeben-, Tsunami- und AKW-Katastrophe am 11. März 2011 gewählt.
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«Ich nehme seit vier Jahren an diesen Anti-AKW-Protestkundgebungen teil», erklärte die 78-jährige Setsuko Suhara. «Die Menschen in Japan möchten in Frieden leben, ohne ständig einer Gefahr ausgesetzt zu sein. Wie wir nun alle wissen, bergen die Atomkraftwerke Probleme.»
Noch sind alle 48 Reaktoren im Land temporär ausgeschaltet. Für vier Reaktoren in den zwei AKW Sendai und Takahama hat die Nukleare Regulierungsbehörde (NRA) ihr grundsätzliches OK fürs Wiederhochfahren gegeben. Bis jedoch der erste Reaktor wieder ans Netz geht, werden noch einige Monate vergehen (Asienspiegel berichtete).
«Abe drängt auf den Neustart»
Ein Kritikpunkt der Demonstranten ist, dass Premierminister Shinzo Abe auf den Neustart der Kernkraftwerke drängt, ohne das Problem des nuklearen Abfalls bislang gelöst zu haben. Wie in vielen Industrienationen fehlt es Japan noch immer an einem definitiven Standort für ein Atommüllendlager (Asienspiegel berichtete).
«Wir werden nicht zulassen, dass Premier Abe ohne eine Lösung für den Atommüll die Reaktoren wieder hochfahren lässt», sagte Mizuho Fukushima, die Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, während der Kundgebung. «Abe drängt auf den Neustart. Ich sage, hören Sie auf damit.»
Eine Generation fehlt
Vier Jahre nach dem Unfall befürchten viele Teilnehmer, dass die Anti-AKW-Bewegung, die nach dem 11. März 2011 ins Leben gerufen wurde und zeitweise Zehntausende auf die Strassen lockte, ihren Zenit überschritten hat. «Früher kamen viel mehr Menschen, auch viele Junge. Heute sind die meisten Demonstranten Pensionäre», äussert sich der 65-jährige Herr Yoshida besorgt. Seine Generation hat die intensiven Studentenproteste der 1960er miterlebt. Vielen jüngeren Menschen in Japan ist diese aktive Protestkultur auch nach 2011 fremd geblieben.
Laut dem Fernsehsender NHK hat die Zahl der Teilnehmer dieser Protestkundgebung, die jeweils kurz vor dem 11. März stattfindet, mit jedem Jahr um 10’000 abgenommen. Dieses Mal waren es noch rund 23’000. «Wenn unsere Generation stirbt, kann die Regierung wohl machen, was sie will», befürchtet Herr Yoshida mit Blick auf diese Entwicklung.
Die Unerschütterlichen
Herr Yoshida ist Teil einer Gruppe, die nach dem AKW-Unfall 2011 vor dem Ministerium für Industrie und Wirtschaft in Tokio ihre Zelte aufgeschlagen hat. Hier protestiert sie seither gegen die japanische Atomenergiepolitik. Ausserdem fordert die Gruppe eine gerichtliche Untersuchung, die abklärt, wer für den Unfall zur Rechenschaft gezogen wird.
Ihre Ziele haben die Aktivisten bislang nicht erreicht. Stattdessen wurde die Gruppe verklagt. Das Gericht in Tokio hat sie inzwischen aufgefordert, die Zelte abzubrechen. Ausserdem muss sie dem Staat eine Entschädigung von rund 10 Millionen Yen für die Nutzung der Parzelle bezahlen.
Seither würden sie von rechtsgerichteten Aktivisten offen attackiert, sagt Yoshida und meint: «Es ist nicht gut für ein Land, wenn man der Regierung keine Fragen mehr stellen darf.»
«Der Dorn im Auge»
Das Erdbeben und der darauffolgende Tsunami am 11. März 2011 haben über 18’000 Menschen das Leben gekostet. Der Katastrophe im AKW Fukushima 1 hat mehr als 100’000 Menschen entwurzelt. Die Wunden dieses Unfalls sind bis heute nicht geheilt. Die Lage im havarierten AKW ist bis heute nicht gelöst.
Für Yoshida-san gibt es nur schon deswegen keinen Grund nachzugeben. Auch wenn die Polizei mit Gewalt ihre Zelte wegräumen sollten, würden sie bleiben und kämpfen, meint er entschlossen. «Wir sind Abe ein Dorn im Auge. Er möchte, dass wir verschwinden, so als hätte es uns und den AKW-Unfall in Fukushima nie gegeben.»
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