Die sexu­el­le Grauzone

Ein Penis-Festival in Kawasaki.
Ein Penis-Fes­ti­val in Kawa­sa­ki. Foto: flickr/​Guil­hem Vellut

Die 43-jäh­ri­ge Megu­mi Iga­ra­shi macht mit Inti­mi­tä­ten Kunst. Im Som­mer 2014 sam­mel­te sie in einer Crowd­fun­ding-Kam­pa­gne erfolg­reich Geld, um mit einem 3D-Dru­cker ein Kajak her­zu­stel­len, das die Form ihrer Vagi­na hat­te. Jeder, der mehr als 3000 Yen (23 Euro) spen­de­te, bekam die ent­spre­chen­den Daten, um sich selbst ein sol­ches Boot zu dru­cken. Dane­ben kre­ierte sie ganz ver­schie­de­ne funk­tio­na­le wie auch deko­ra­ti­ve Objek­te des All­tags, die die Form ihrer Vagi­na hat­ten. Eini­ge davon stell­te sie auch in einem Sex­shop in Tokio aus.

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Für Iga­ra­shi ist es nichts ande­res als ein künst­le­ri­scher Aus­druck, eine Wei­ter­ent­wick­lung der Pop Art. Doch wer in Japan öffent­lich mit sei­nem Geschlecht spielt, dem droht eine saf­ti­ge Geld­stra­fe oder sogar Gefäng­nis. Die Künst­le­rin wur­de gleich mehr­mals ver­haf­tet und nun der Pro­zess gemacht. Die Staats­an­walt­schaft for­dert eine Geld­stra­fe von 800’000 Yen (6132 Euro) wegen Ver­brei­tung von Obszö­ni­tä­ten, wie die Asahi Shim­bun berichtet.

Die Ver­tei­di­gung hin­ge­gen betont der­weil, dass es sich bei Iga­ra­shis Krea­tio­nen, nicht um Obszö­ni­tä­ten, son­dern um Kunst­wer­ke han­delt. Aus­ser­dem wer­de mit der Kla­ge ihr Recht auf Mei­nungs­frei­heit beschnit­ten. Sie for­dert daher einen Frei­spruch. Das Tokio­ter Bezirks­ge­richt wird vor­aus­sicht­lich am 9. Mai sein Urteil fällen.

Sorgt für viel Kontroverse: Der Vagina-Kajak von Megumi Igarashi.
Sorgt für viel Kon­tro­ver­se: Der Vagi­na-Kajak von Megu­mi Iga­ra­shi. Screen­shot: youtube/​行列のできる人気動画プロダクション

Ein wider­sprüch­li­cher Umgang

Der Pro­zess steht stell­ver­tre­tend für den wider­sprüch­li­chen Umgang Japans mit sexu­el­len Dar­stel­lun­gen (Asi­en­spie­gel berich­te­te). So unter­sagt bis heu­te der 1907 for­mu­lier­te Arti­kel 175 des japa­ni­schen Straf­ge­setz­bu­ches den Ver­trieb von «Obszö­ni­tä­ten» (Asi­en­spie­gel berich­te­te).

Geni­ta­li­en und Scham­haa­re wer­den als Fol­ge des­sen in japa­ni­schen Ero­tik­fil­men kon­se­quent mit einem Mosa­ik­mus­ter ver­pi­xelt. Die Man­ga­b­ran­che zeigt sich beson­ders krea­tiv, wenn es dar­um geht, sexu­el­le Inhal­te «geset­zes­kon­form» wie­der­zu­ge­ben. Die Grau­zo­ne ist ent­spre­chend gross, die Anwen­dung des Geset­zes ist oft wider­sprüch­lich und zufäl­lig. Doch stets droht der Ein­griff durch den Staat, wie Megu­mi Iga­ra­shi nun per­sön­lich erfah­ren musste.

Das Penis-Fes­ti­val

Gleich­zei­tig hält man in ver­schie­de­nen länd­li­chen Regio­nen Japans jedes Jahr in alter Shin­to-Tra­di­ti­on Fes­te ab, in denen man mit gros­sen Penis- und Vagi­na-Skulp­tu­ren die Geni­ta­li­en ehrt. Damit ver­bun­den ist der Wunsch nach einer guten Ern­te und vie­len Kin­dern. Ein sol­ches Fest fin­det bei­spiels­wei­se jedes Jahr im März beim Taga­ta-Schrein in der Stadt Koma­ki aus­ser­halb Nago­yas statt.

Zuerst wird die Vagi­na und ein paar Tage spä­ter der Penis zele­briert. Die Ein­woh­ner der Stadt zie­hen sich fest­lich an und fei­ern den Tag mit Sake und Bier. Eine Grup­pe jun­ger Män­ner trägt dabei einen rie­si­gen Penis aus Zypres­sen­holz durch die Stadt und macht alle paar Meter einen kur­zen Halt, um den Holz­phal­lus um die eige­ne Ach­se zu dre­hen. Ein­ein­halb Stun­den dau­ert der Umzug. Die Tra­ge­teams wech­seln sich ab, so schwer ist der Penis (Asi­en­spie­gel berich­te­te).

Die Orga­ni­sa­to­ren sol­cher Fes­te müs­sen sich im Gegen­satz zu moder­nen Künst­le­rin­nen wie Megu­mi Iga­ra­shi kei­ne Sor­ge um mög­li­che Ver­stös­se gegen die Ver­brei­tung von Obszö­ni­tä­ten machen. Es ist ein Bei­spiel dafür, wie unter­schied­lich man die­ses Gesetz inter­pre­tie­ren kann.

Die Kopf­kis­sen-Bil­der

Gleich­zei­tig zei­gen die­se Bau­ern­fes­te, dass Japan frü­her einen viel offe­ne­ren Umgang mit der Sexua­li­tät pfleg­te. In der Edo-Zeit (1603 bis 1868) waren die Abbil­dun­gen sexu­el­ler Hand­lun­gen und Fan­ta­si­en in Form von Ein­zel­bil­dern, Bil­der­bü­chern oder Hand­rol­len etwas ganz Normales.

Die­se soge­nann­ten «Kopf­kis­sen-Bil­der» oder «Bil­der zum Lachen» zele­brier­ten die Freu­den des sexu­el­len Lebens und erlau­ben dem Betrach­ter der Gegen­wart einen leben­di­gen Ein­blick in die Pri­vat­sphä­re, Struk­tur und Fan­ta­si­en der dama­li­gen Gesell­schaft. Nicht sel­ten han­delt es sich um zärt­li­che und humor­vol­le Werke.

Erst mit dem Beginn der Mei­ji-Zeit (1868 bis 1912), als sich Japan dem Wes­ten zuwand­te und sich in weni­gen Jahr­zehn­ten moder­ni­sier­te, kamen die «Kopf­kis­sen-Bil­der», die man nun «Shun­ga» (wort­wört­lich «Früh­lings-Bil­der») nann­te, in Ver­ruf. Gegen Ende der Mei­ji-Zeit wur­den Pro­duk­ti­on und Ver­trieb von «Shun­ga» end­gül­tig ver­bo­ten und tabuisiert.

Ein lang­sa­mes Umdenken

Es dau­er­te über 100 Jah­re bis Shun­ga in Japan ein Come­back als Kunst­wer­ke geben durf­ten. Erst im letz­ten Jahr erhielt Japan sei­ne ers­te gros­se Shun­ga-Aus­stel­lung über­haupt. Das Eisei-Bun­ko-Muse­um wag­te die Aus­stel­lung «Sex and Plea­su­res in Japa­ne­se Art», die zuvor im Bri­tish Muse­um gezeigt wor­den war (Asi­en­spie­gel berich­te­te). Die ein­zi­ge Ein­schrän­kung war, dass der Zutritt erst ab 18 Jah­ren erlaubt war.

Inso­fern bleibt die Hoff­nung, dass auch Megu­mi Iga­ra­shis Arbei­ten irgend­wann mal als Kunst geschätzt werden.

Update, 9. Mai 2016

Ein Gericht hat Megu­mi Iga­ra­shi zu einer Geld­stra­fe von 400’000 Yen ver­ur­teilt, wegen der digi­ta­len Ver­brei­tung von obszö­nem Mate­ri­al. Gleich­zei­tig wur­den Sie vom Vor­wurf frei­ge­spro­chen, dass ihre Vagi­­na-Wer­ke obszön sei­en. Es hand­le sich hier­bei durch­aus um Kunst­wer­ke. Letz­te­rer Punkt wird von Iga­ra­shis Ver­tei­di­gung als ein his­to­ri­sches Urteil betrach­tet, das die ver­fas­sungs­mäs­sig garan­tier­te Mei­­nungs- und Aus­drucks­frei­heit stärkt. Iga­ra­shi möch­te aber einen voll­stän­di­gen Frei­spruch. Sie hat daher ange­kün­digt in Beru­fung zu gehen.

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