Die Aus­ge­stos­se­nen

Eines der früher abgeschotteten Wohnquartiere für Leprakranke in Tokio.
Eines der frü­her abge­schot­te­ten Wohn­quar­tie­re für Lepra­kran­ke in Tokio. Screen­shot: NHK News

Es ist eines der dun­kels­ten Kapi­tel in der japa­ni­schen Nach­kriegs­ge­schich­te. Obwohl schon lan­ge medi­zi­ni­sche Behand­lungs­mög­lich­kei­ten exis­tier­ten und ein Infek­ti­ons­ri­si­ko stets als äus­serst gering betrach­tet wur­de, hat man an Lepra erkrank­te Men­schen bis 1996 kon­se­quent aus der Gesell­schaft aus­ge­schlos­sen. Die Grund­la­ge hier­zu bil­de­te das 1931 erlas­se­ne «Gesetz zur Lepra-Prä­ven­ti­on», das die Betrof­fe­nen zwang, ohne Mög­lich­keit auf Ent­las­sung in spe­zi­el­len, soge­nann­ten Lepros­o­ri­en zu leben, als «Vor­beu­gungs­mass­nah­me» wie es damals hiess. Trotz neu­er medi­zi­ni­scher Mög­lich­kei­ten blieb das Gesetz auch nach dem Krieg erhal­ten und wur­de 1953 noch­mals angepasst.

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Die Erkrank­ten wur­den ein Leben lang geäch­tet. Selbst nach einer Hei­lung blie­ben vie­le wegen der blei­ben­den Nar­ben und Defor­ma­tio­nen durch die Krank­heit in den Anstal­ten. In den 1960er-Jah­ren wur­den über 10’000 Men­schen an die­sen Orten plat­ziert, obwohl die WHO bereits 1960 eine Iso­lie­rung von Pati­en­ten aus­drück­lich als unmensch­lich ablehn­te. Von 1948 bis 1972 wur­den kri­mi­nel­le Ver­dachts­fäl­le in Anstal­ten gar durch spe­zi­el­le, von der Öffent­lich­keit abge­schot­te­te Gerich­te durch­ge­führt. So gross war die Furcht vor einer Infek­ti­on. Es kam auch zu Ste­ri­li­sa­tio­nen und erzwun­ge­nen Schwangerschaftsabbrüchen.

Die Wen­de 1996

Erst 1996 wur­de das «Gesetz zur Lepra-Prä­ven­ti­ons» auf­ge­ho­ben. 2001 erklär­te ein Gericht in Kuma­mo­to die dama­li­ge Vor­ge­hens­wei­se des Staa­tes als ver­fas­sungs­wid­rig. Dar­auf­hin ent­schul­dig­te sich die Regie­rung und begann mit Unter­stüt­zungs­zah­lun­gen, sofern ein Betrof­fe­ner dage­gen klag­te. Doch vie­le haben davon abge­se­hen, da sie fürch­ten, dass ihre Krank­heit somit öffent­lich wird. Aus­ser­dem ist die­ses Recht zu kla­gen, im ver­gan­ge­nen Monat end­gül­tig verjährt.

Unge­ach­tet der Auf­he­bung des Geset­zes und der Ent­schul­di­gung hal­ten sich die Vor­ur­tei­le und das Unwis­sen über die Krank­heit bis heu­te hart­nä­ckig. Dies hat dazu geführt, dass bis heu­te gemäss der Asahi Shim­bun rund 1600 frü­he­re Erkrank­te in dem damals errich­te­ten Lepros­o­ri­en ein zurück­ge­zo­ge­nes Leben füh­ren. Ihr Durch­schnitts­al­ter liegt bei 83,9 Jah­ren. Wei­te­re 1100 ehe­ma­li­ge Betrof­fe­ne haben sich für eine Rück­kehr in die Gesell­schaft ent­schie­den. Nur weni­ge sind jedoch bereit, über ihre Ver­gan­gen­heit zu sprechen.

Die Fol­gen für die Verwandten

Doch die Vor­ur­tei­len machen nicht allei­ne bei den ehe­ma­li­gen Erkrank­ten halt. Auch deren Fami­li­en und Hin­ter­blie­be­nen wer­den stig­ma­ti­siert. So hielt sich in der Öffent­lich­keit lan­ge das Vor­ur­teil, dass die Krank­heit ver­erb­bar sei. Vie­le von ihnen begin­nen sich nun juris­tisch zur Wehr zu set­zen. Das Bezirks­ge­richt von Tot­to­ri bestä­tig­te in die­sem Zusam­men­hang im ver­gan­ge­nen Jahr, dass die Regie­rung damals ille­gal gehan­delt habe und die Dis­kri­mi­nie­rung ehe­ma­li­ger Pati­en­ten und deren Kin­der eine direk­te Fol­ge die­ser Segre­ga­ti­ons­po­li­tik sei.

Dies hat nun in Kuma­mo­to nun zu einer neu­en Sam­mel­kla­ge von über 500 Ver­wand­ten von Betrof­fe­nen geführt, die eine Wie­der­gut­ma­chung vom Staat for­dern, wie die Kobe Shim­bun berich­tet. Aus­ser­dem ist das Obers­te Gericht laut der Nik­kei Shim­bun offen­bar kur davor, sich öffent­lich dafür zu ent­schul­di­gen, dass man zwi­schen 1948 und 1972 die Spe­zi­al­ge­rich­te in den Anstal­ten erlaub­te, obwohl die­se offent­sicht­lich gegen die Grund­sät­ze öffent­li­cher Ver­hand­lun­gen und fai­rer Pro­zess­füh­rung verstiessen.

Ein Film für die Aufarbeitung

Und so tut sich all­mäh­lich etwas bei der juris­ti­schen Auf­ar­bei­tung die­ses dunk­len Kapi­tels der japa­ni­schen Nach­kriegs­ge­schich­te. Auch gesell­schaft­lich wird die­ser Umgang mit der Krank­heit zuneh­mend the­ma­ti­siert. Ein Bei­spiel dafür ist der ein­füh­len­de Spiel­film «An – Kirsch­blü­ten und rote Boh­nen» von Nao­mi Kawa­se, der sich geschickt und ein­fühl­sam die­ses noch immer viel zu stark tabui­sier­ten The­mas ange­nom­men hat. Aus­ser­dem gibt es heu­te Füh­run­gen in gewis­sen Lepros­o­ri­en, die die Bevöl­ke­rung auf­klä­ren hel­fen sol­len. Für die meis­ten Betrof­fe­nen kommt die­ses recht­li­che und gesell­schaft­li­che Umden­ken jedoch viel zu spät.

Update, 26.4.2016

Das Obers­te Gericht hat sich offi­zi­ell dafür ent­schul­digt, dass es Spe­zi­al­ge­rich­te in den Anstal­ten zuliess. Man habe den Betrof­fe­nen damit Scha­den zuge­fügt, sie in ihrer Wür­de ver­letzt und die Vor­ur­tei­le gegen­über den Lepra-Kran­ken damit noch bestärkt. Man wer­de aus die­sen Feh­lern ler­nen und dafür sor­gen, dass so etwas nie wie­der gesche­hen wer­de. Ob das dama­li­ge Vor­ge­hen gegen die Ver­fas­sung ver­stiess, woll­te das Obers­te Gericht jedoch nicht bestätigen.

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