Die Privatsphäre verzwitschern
«Neulich kam der berühmte Fussballer X zusammen mit dem Model Y in unser Restaurant», lautete eine Twitter-Nachricht einer japanischen Angestellten des Tokioter Westin-Hotel am 12. Januar 2011. Die Kurzmeldung wurde von ihren Freunden im sozialen Netzwerk in Windeseile aufgenommen und weiterverbreitet.
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Am nächsten Tag entschuldigte sich der Westin-Geschäftsführer Andreas Trauttmannsdorff auf der Hotel-Website für die Indiskretion, wie die Mainichi Shimbun berichtet. Man habe die verantwortliche Teilzeit-Angestellte, eine Studentin, mit sofortiger Wirkung entlassen. Ausserdem hätten sie alle Angestellten noch einmal auf das Vertraulichkeitsgelübde aufmerksam gemacht. Eine Verpflichtung, die jeder unterschreiben müsse.
Nur 5 Stunden nach Versenden der Kurznachricht konnte die zwitschernde Dame überführt werden. Obwohl sie sich unter einem Pseudonym bei Twitter angemeldet hatte, reichten die Angabe des Studienortes und ein Link zu ihrem Mixi-Konto – das japanische Pendant zu Facebook – aus, um ihre Identität ausfindig zu machen.
Weltmeister im Twittern
Die Fälle von Twitter-Paparazzi häufen sich besonders in Japan. Kein anderes Land twittert häufiger. So stellten die japanischen Fans an der Fussball-WM in Südafrika einen neuen Rekord von 3283 Twitter-Nachrichten pro Sekunde auf (Asienspiegel berichtete). Das Kurzblogging-Portal ist für eine Pendel-Gesellschaft, die mehr mit dem Handy als mit dem Computer online ist, ideal.
Die Anonymität und die Kürze der Tweets erlauben zudem eine ungewohnte Kommunikationsfreiheit, die sich selbst Politiker bis hin zu Japans Premierminister zu Nutze machen. Mit der sofortigen Verbreitung einer Nachricht stellt sich aber auch die Frage, inwiefern die Privatsphäre von öffentlichen Personen noch geschützt werden kann. Gerade der Hotel- und Restaurantbranche bereitet dieser Umstand Sorgen.
Kein Einzelfall
Der Twitter-Zwischenfall im Hotel war denn auch nicht der erste dieser Art. Bereits im Dezember letzten Jahres nörgelte ein Restaurant-Angestellter über den prominenten Gast Kazuyo Katsuma. Die Wirtschaftsanalystin sei seine meist gehasste Prominente, zwitscherte er. Die Geschäftsleitung des Restaurants reagierte mit einem Twitter-Verbot für alle 500 Angestellten während der Arbeit.
Den Hoteliers stehen die Sorgenfalten ins Gesicht geschrieben: «Leider können wir unseren Hotelgästen nicht zu 100 Prozent garantieren, dass hier kein Twitter-Verkehr herrscht», äussert sich ein Geschäftsleiter eines Hotels in Tokio im Gespräch mit der Yomiuri Shimbun. Die 237 Mitglieder der japanischen Hotelvereinigung wollen nun gemeinsame Gegenmassnahmen erarbeiten.
Die guten Manieren
Grundsätzlich ist es den Angestellten der Servicebranche nicht verboten, im privaten Umkreis über die Anwesenheit berühmter Gäste zu sprechen. Bei Twitter stellt sich jedoch das Problem, dass sich eine für Freunde geschriebene Meldung schnell zu einer unkontrollierbaren Nachricht für die neugierige Öffentlichkeit entwickelt.
«Die Unterscheidung zwischen privat und öffentlich ist bei Twitter nicht mehr so klar wie bei Blogs», erklärt Internet-Experte Toru Takeda von der Universität Keisen gegenüber der Yomiuri Shimbun. Der Professor warnt davor, dass sich zwitschernde Angestellte gegebenenfalls strafbar machen könnten. Gleichzeitig ortet Twitter-Opfer Kazuyo Katsuma nicht beim Mikroblog selbst das Übel. Es handle sich hier um ein gesellschaftliches Problem. Daher appelliert Katsuma an den gesunden Menschenverstand. Dass man jemandem online in den Rücken fällt, dürfe nicht zur Normalität werden.
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