«Eine unverheilte Wunde»
Was in Festlandchina undenkbar ist, fand am 4. Juni in Taipei statt: Eine öffentliche Gedenkveranstaltung für die Opfer des Tiananmen-Massakers vor 22 Jahren. Während die chinesischen Behörden im Vorfeld des Jahrestages Regimekritiker festnahmen, riefen die Studenten in Taipei «Free China» und prangerten Menschenrechtsverletzungen an.
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Sie stehen unter dem Tor des Freiheitsplatzes in Taipei. 22 Jahre nach den Ereignissen in Peking gedenken taiwanische Studenten den Opfern des Tiananmen-Massakers, deren Angehörige bis heute auf eine offizielle Entschuldigung und Entschädigung warten.
«Vergesst 64 nicht», vier rote chinesische Zeichen sind auf das weisse Transparent gemalt, das Demokratieaktivisten auf der Bühne hochhalten. Die Zahlenkombination 64 ist im Chinesischen inzwischen ein Synonym für die Ereignisse vom 4. Juni 1989, als die chinesische Regierung Studentenproteste auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking blutig niederschlug.
«Die dunkelste Nacht»
Die Studenten in Taipei sind bis auf ein rotes Stirnband ganz in schwarz gekleidet, sie zünden weisse Kerzen an und gedenken während einer Schweigeminute den Opfern. Zwischen Auftritten von taiwanischen Musikern gibt es Ansprachen der Teilnehmer. Der wohl prominenteste unter ihnen heisst Wang Dan. Der Demokratieaktivist war einer der Anführer der Studentenproteste auf dem Tiananmen-Platz. Inzwischen lebt er im Exil in den USA und Taiwan.
«Heute vor 22 Jahren war die dunkelste Nacht in der chinesischen Geschichte, eine Wunde, die bis heute nicht geheilt ist», sagt Wang in seiner Rede. Mit der heutigen Veranstaltung in Taipei zeigten die Teilnehmer, dass sich Taiwan nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas interessiere.
Nach seiner Ansprache sagt Wang zu Asienspiegel, er habe auf ein kurzes Erscheinen von Taiwans Präsidenten Ma Ying-jeou gehofft: «Ich verstehe, dass ein Präsident viel zu tun hat, aber 5 oder 10 Minuten hätten doch gereicht.» Ein Auftritt von Taiwans Präsidenten hätte der Veranstaltung mehr Gewicht verliehen, ist Wang Dan überzeugt.
Stattdessen beschränkte sich Ma Ying-jeou auf ein Kommuniqué, in dem er China zu politischen Reformen und zur Freilassung von Regimekritikern, wie den Künstler Ai Weiwei und Nobelpreisträger Liu Xiaobo aufrief.
Viel weniger Teilnehmer als in Hongkong
Während zeitgleich in Hongkong rund 100’000 Menschen an einer Kundgebung zum Tiananmen-Jahrestag teilnehmen, sind es in Taipei gerade mal ein paar hundert, die auf roten Plastikstühlen vor der Bühne sitzen. Dennoch sagt Wang Dan, sei er nicht enttäuscht. Im Gegenteil er sei berührt darüber wie sich die Teilnehmer in Taipei um die Demokratie in China sorgten.
Dass das Interesse an Tiananmenkundgebungen in Taiwan nicht so stark ist, wie in Hongkong, liegt womöglich an Taiwans politischer Situation. Austauschstudent Lu Lian aus Hongkong, hilft bei der Organisation der Gedenkveranstaltung in Taipei. Er sagt, dass er sich bei aller Kritik an der Volksrepublik China, dennoch als Chinese identifiziere. Politikstudent Lin Feifan aus Taiwan dagegen sagt, dass Taiwan für ihn ein unabhängiges Land sei. Die Tragödie vom 4. Juni 1989 sei für viele Taiwaner eben etwas, das sich in einem anderen Land ereignete.
Am Schluss der Veranstaltung ergreift Wang Dan nochmals das Mikrofon und singt zusammen mit den Studenten «Wunde der Geschichte». Es ist dasselbe Lied mit dem sich vor 22 Jahren Prominente aus Taiwan und Hongkong mit den Opfern in China solidarisierten.
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