Der Streit um die Geschichte
Der Vorsitzende des Tokioter Bildungsausschusses gab laut der Asahi Shimbun bekannt, dass die sechs Mitglieder sich einstimmig dazu entschlossen hätten, ab Frühling 2012 die Schulbücher für den Unterricht zuzulassen, die 2001 zum grossen Schulbuchstreit zwischen Japan und seinen Nachbarländern, im besonderen China und Korea, geführt hatten (Asienspiegel berichtete). Die Entscheidung betrifft 30 Schulen in Tokio, die für die nächsten 4 Jahre ihren Geschichts- und Bürgerkundeunterricht auf die Inhalte der Lehrbücher des Ikuho- und Jiyu-Verlages ausrichten müssen.
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Die Inhalte der Schulbücher gehen ursprünglich auf die Gesellschaft zur Schaffung neuer Geschichtslehrbücher, die sogenannte Tsukuru-kai, zurück. Diese behauptet, dass die üblichen japanischen Geschichtslehrbücher eine «masochistische Geschichtsauffassung» beinhalteten und dadurch verhinderten, dass die Jugend Heimatstolz empfinden könne. Dagegen würden die Bücher der Tsukuru-kai falsche und das japanische Selbstbild zerstörende Darstellungen entlarven.
Das Beispiel der Trostfrauen
Zu diesen angeblichen Fehlern gehöre beispielsweise die Darstellung, dass die «Trostfrauen» Opfer der japanischen Armee im Zweiten Weltkrieg waren. Die Tsukuru-kai behauptet, dass die Mädchen und Frauen, die überwiegend aus China und Korea zur Zwangsprostitution rekrutiert wurden, gut für ihre Dienste bezahlt worden wären.
Führende Historikerverbände, die Lehrergewerkschaft Nikkyoso sowie auch namhafte Persönlichkeiten wie der Literaturnobelpreisträger Kenzaburo Oe haben die Gesellschaft für ihre Ansichten stark kritisiert und die Bücher nicht nur als revisionistisch, sondern auch als faktisch fehlerhaft gebrandmarkt. Dennoch werden die Schulbücher immer wieder von Bildungsausschüssen ausgewählt.
Proteste in Kanagawa
In Tokio ist es nicht das erste Mal, dass sich ein Gremium für die Bücher des Ikuho-Verlags entscheidet, und auch in den Präfekturen Kanagawa, Tochigi und Osaka fielen Abstimmungen zu Gunsten der umstrittenen Lehrtexte aus. In der Stadt Fujisawa in Kanagawa wurde die Abstimmung öffentlich abgehalten, wodurch auch Gegner der Schulbücher anwesend waren und ihrem Ärger laut der Sankei Shimbun lautstark Luft machten.
Die Meinung der Mitglieder des Bildungsausschusses änderte sich durch die Zwischenrufer jedoch nicht. Sie blieben bei der Ansicht, dass in den Lehrtexten «die traditionelle Kultur Japans besonders gut dargestellt werde». Der Vorsitzende des Bildungsausschusses in Tokio Kimura äusserte sogar die Sichtweise bezüglich der Tokioter Gerichtsprozesse als besonders gut und ausgewogen.
Bis in die höchsten Etagen
Die anhaltende Präsenz der Tsukuru-kai und ihrer Schulbücher, trotz des großen Konflikts von 2001 und dauerhafter Kritik an den Inhalten, lässt sich mit einem Blick auf die Hintergründe der Organisation und Verlage erklären. Der Ikuho-Verlag ist eine Tochterfirma eines der grössten japanischen Medienkonglomerate, der Fuji Sankei Communications Group, und verfügt über viel Geld und Einfluss.
Die Tsukuru-kai selbst hat diverse einflussreiche Mitglieder aus der LDP und aus grossen japanischen Konzernen wie Mitsubishi, Sumitomo oder auch Ajinomoto. Letztlich wird die Verbreitung der Schulbücher auch durch die Bildungsreform von 2006 unterstützt, in der der damalige Ministerpräsident Shinzo Abe eine Schulbildung durchsetzte, die der japanischen Jugend verstärkt Nationalstolz vermitteln soll. Entsprechende Lehrrichtlinien sind seitdem die Grundlage, auf der die Bildungsausschüsse ihre Wahl der Lehrmaterialien treffen müssen.
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