Vier Monate nach dem Tsunami
Die Stadt Ishinomaki wurde am 11. März 2011 von einer 10 Meter hohen Tsunami-Welle erfasst. Fast die Hälfte des Gebietes wurde zerstört. Keine andere Stadt in der Präfektur Miyagi wurde härter getroffen. Von den 160’000 Einwohnern starben gemäss der Japan Times 3097 Menschen. 2770 Menschen werden bis heute vermisst. Über 4 Monate nach der Katastrophe dauern die Aufräumarbeiten an.
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Der Schweizer Thomas Köhler war Ende Juli als freiwilliger Helfer in Ishinomaki. Auch sein Schicksal ist eng mit dem 11. März verbunden. «Ein Tag, der nicht mehr aus meinem Gedächtnis zu streichen ist», wie er selbst sagt. Seine Arbeit als Verantwortlicher für Japan-Reisen bei einem Schweizer Reisebüro kam durch die Annullierungen nach der Dreifachkatastrophe zum Stillstand.
Thomas Köhler entschliesst sich zu handeln. Er plant das Projekt Zu Fuss durch Japan. Ab 1. August wird er von der Nordspitze Hokkaidos bis zur Südspitze Kyushus marschieren. 2500 Kilometer wird er bis im Dezember zu Fuss zurückgelegt haben, «um positive Signale aus Japan zu senden und zu zeigen, dass hier nicht alles Fukushima ist.» Denn Japan ist noch immer eine Reise wert, ist Köhler mehr denn je überzeugt. Seinen Weg wird er in seinem Blog festhalten.
Vor seinem langen Marsch hat Thomas Köhler in Ishinomaki Halt gemacht, um seinen ganz persönlichen Hilfsbeitrag für die Krisenregion im Nordosten zu leisten. Gegenüber Asienspiegel beschreibt er in einem Interview die Lage vor Ort.
Asienspiegel: Herr Köhler, wie kommen die Aufräumarbeiten voran?
Ich war in Nagatsuchiura in Ishinomaki, Präfektur Miyagi. Die Aufräumarbeiten kommen hier gut voran. Sehr viele freiwillige Helfer und professionelle Baumaschinenführer arbeiten 7 Tage in der Woche unter nicht einfachen klimatischen Verhältnissen, es ist momentan feuchtheiss. Die Arbeiten sind gut organisiert und sogar der Abfall wird sauber getrennt!
Sind die Bewohner zufrieden mit dem Wiederaufbau?
Die meisten Menschen leben in den temporär angelegten Unterkünften. In Nagatsuchiura und Umgebung ist es nicht möglich unter normalen Umständen zu leben. Zuerst muss aufgeräumt werden. Danach wird geplant und aufgebaut, das kann noch eine Weile dauern. Eine ältere Person kam kurz vorbei, um zu schauen wie die Aufräumarbeiten vorangehen. Wir wurden jedoch gebeten, keine Gespräche mit den Einheimischen während den Arbeiten zu führen.
Wie haben sie die Atmosphäre dort erlebt?
Die vom Tsunami verwüstete Gegend ist sehr grossflächig. Derzeit sind nur Aufräumtrupps, Baumaschinen und zerstörte Häuser zu sehen. Die Einheimischen leben weit weg in ihren temporären Unterkünften.
Gab es den Vorwurf des Katastrophen-Tourismus?
Unsere Präsenz wurde auf keinen Fall als Katastrophen-Tourismus verstanden. Im Gegenteil, die Verantwortlichen und einheimischen Helfer waren uns sehr dankbar. Wir wurden mit offenen Armen empfangen und mit grossem Dank verabschiedet. Es war gut, persönlich mitgeholfen zu haben. Grundsätzlich wurde uns auch erlaubt, Fotos zu schiessen. Wir wurden aber gebeten, keine betroffenen Personen bei ihren Häusern zu fotografieren. Bewusst habe ich auch nur wenig fotografiert, denn wir waren ja zum Arbeiten gekommen.
Gibt es eine persönliche Geschichte, die Sie besonders berührt hat?
Es gab viele Momente die mich besonders berührten. Einer davon war besonders intensiv. Als wir am zweitletzten Tag von den Aufräumarbeiten zurückfuhren, wollte ich genaueres über ein grösseres, zerstörtes Betongebäude wissen. Unser Gruppenchef erklärte, dass dies eine Primarschule gewesen sei und mindestens die Hälfte der Schüler nicht überlebt habe. Als wir am nächsten Tag zum Reinigen persönlicher Gegenstände in eine Turnhalle geführt wurden, erklärte mir der Gruppenchef, dass auch viele Gegenstände von den Kinder jener zerstörten Schule gereinigt werden müssen. Es war ein trauriger Moment für mich.
Wie kommt Ihrer Meinung nach der Wiederaufbau voran?
Es ist erstaunlich, wie fleissig und genau die Leute arbeiten. Den Umständen entsprechend kommen die Aufräumarbeiten sehr gut voran, wenn man bedenkt, mit wie viel Respekt die Helfer an die Sache gehen. Jedes Foto, jeder Schultornister, Schuhe, Kinderspielzeug und viele andere Sachen werden sauber gereinigt, registriert und für die Überlebenden zum Wiederfinden bereit gelegt. Niemand scheut den Arbeitsaufwand und es sind auch keine negativen Worte zu hören. Vorbildlicher könnte man nicht an die Sache rangehen. Für mich einfach grossartig, wie die Japaner diese überaus schwierige Situation bewältigen.
Was hat Sie dazu bewegt, in die Krisenregion zu gehen?
Als ich das Ausmass der Katastrophe einigermassen einschätzen konnte, wurde in mir das Bedürfnis geweckt, den betroffenen Leuten zu helfen. Ursprünglich plante ich das Projekt Zu Fuss durch Japan als Spendenmarsch. Obwohl ich das Projekt aus meinem ersparten Geld bezahle, war keine Hilfsorganisation daran interessiert. Mit Zu Fuss durch Japan hoffe ich nun einen Beitrag zur Wiederbelebung des Tourismus zu leisten. Ich will zeigen, dass Japan eine Reise wert ist. Denn schliesslich ist nicht alles Fukushima. Für mich war es auch selbstverständlich, vor meinem langen Marsch beim Aufräumen in der Krisenregion mitzuhelfen. Ich war zwar nur vier Tage vor Ort. Es war jedoch besser als gar nichts.
Mit welcher Organisation sind Sie dorthin?
Ich habe mich bei der Reisefirma Nippon Travel Agency eingeschrieben. Diese Aufräumarbeiten werden Volunteering Package in Tohoku genannt. Transport und Hotel werden organisiert, um die ganze Sache einfach und effizient zu bewältigen. Natürlich bezahlt man dafür, denn so unterstützt man auch gleich wieder den Tourismus in der Region. Man kann also nicht erwarten, dass die Unterkunftskosten erlassen werden, sonst könnten sie ja auch gleich Leute zum Aufräumen bezahlen.
Sie werden nun ihre Reise zu Fuss durch Japan beginnen. Was sind ihre Erwartungen?
Ich habe keine speziellen Erwartungen an mich. Ich kenne Japan gut und weiss genau, worauf ich mich einlasse. Ich werde mir Mühe geben, meinen Blog auf dem Laufenden zu halten. Es würde mich natürlich freuen, wenn mich viele Leute online begleiten und sich auch für eine Reise nach Japan begeistern könnten. Bereits habe ich wieder Touristen gesehen. Alle, mit denen ich mich unterhalten habe, sind von Japan begeistert und der Überzeugung, dass von Woche zu Woche wieder mehr Leute nach Japan reisen werden. Das ist auch meine persönliche Hoffnung.
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