Ein Land ohne Führung
Kevin Maher arbeitete während insgesamt 19 Jahren für das US-Aussenministerium in Japan. Als die Dreifachkatastrophe am 11. März einschlug, war der fliessend japanische sprechende US-Gesandte nahe an den Schaltstellen der Politik dran. Ihm oblag die Aufgabe die US-Hilfe für Japan zu koordinieren. Er führt eine Krisen-Taskforce an, die über 100 US-Nuklear- und Verteidigungsexperten versammelte.
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Seine Erfahrungen dieser folgenreichen Tage hat er in seinem Buch Ketsudan Dekinai Nihon (Japan, das keine Entscheidungen treffen kann) niedergeschrieben. Es ist eine Abrechnung mit der japanischen Regierung geworden. An einer Pressekonferenz in Japan äusserte sich Maher nochmals detailliert über seine Erfahrungen jener Tage.
«Niemand hatte die Verantwortung inne», sagte Maher an einer Pressekonferenz des Foreign Correspondents Club in Tokio. «Niemand in Japans politischem System war bereit zu sagen: ‹Ich übernehme die Verantwortung und treffe die Entscheidungen.›» Die Regierung in Tokio soll zu Beginn nichts zur Problemlösung im AKW Fukushima 1 beigetrageben haben, lautet der Vorwurf von Maher. Sie hätte so getan, als wäre die Katastrophe einzig ein Problem für den AKW-Betreiber Tepco. Japan habe zu Beginn nur wenige Details zur Krise preisgegeben, obwohl unabhängige US-Informationen auf eine mögliche Kernschmelze in mindestens 2 der 6 Reaktoren hingedeutet hätten.
Sorge um US-Bürger
In Washington sei die Sorge gross gewesen, nur schon wegen den 50’000 stationierten US-Soldaten und den 100’000 amerikanischen Zivilisten in Japan. Dabei sei es auch um die Fragen einer möglichen Evakuierung gegangen und den möglichen Auswirkungen auf die Sicherheitsallianz der beiden Länder «Glücklicherweise ist dies nicht geschehen», fügte Maher an. Die Zusammenarbeit mit Japan sei erst ins Rollen gekommen, als man sich auf eine gemeinsame Taskforce zur Krisenbewältigung einigen konnte.
Die Regierung von Premierminister Naoto Kan lässt die Kritik Mahers nicht auf sich sitzen. Man sei auf unglaublich schwierige Umstände angetroffen nach dem Erdbeben. Man habe sich nicht nur um das AKW Fukushima, sondern auch Hunderttausende von Evakuierten und Zehntausenden von Vermissten kümmern müssen. «Die Regierung hatte alles in ihrer Macht stehende getan, um die Situation in den Griff zu kriegen. Wir akzeptieren diese Kritik daher nicht», sagte Pressesprecher Noriyuki Shikata.
Kein Unbekannter
Der unverblümt sprechende Kevin Maher ist für die japanische Regierung kein Unbekannter. Der US-Offizielle wurde ursprünglich am 10. März, einen Tag vor der grossen Katastrophe, nach einem Skandal von seinem Amt enthoben. Maher soll im Dezember 2010 gegenüber US-Studenten in Washington die Einwohner von Okinawa bezüglich des anhaltenden Streits um die Verschiebung von US-Basen auf der Insel als «faul» und «Meister der Erpressung» bezeichnet haben. Die japanischen Medien kamen Monate später in den Besitz der Notizen der US-Studenten, welche die Aussagen von Maher belegen sollen. Die japanischen Zeitungen publizierten die angeblichen Aussagen. Der Skandal war perfekt.
Maher selbst bestreitet heute solche Kommentare jemals gemacht zu haben. Diese Notizen seien weder vollständig noch korrekt, sagte er an einer weiteren Pressekonferenz mit den japanischen Medien. Nachdem der Tsunami Japans Nordostküste heimgesucht hatte, wurde Maher wegen seiner langen Erfahrung und Sprachkenntnisse umgehend wieder in sein Amt gehievt. Im April ist er endgültig in seinen vorzeitigen Ruhestand gekehrt.
Kan vor dem Ende
Naoto Kan wird sich derweil mit dem nahenden Ende seiner Amtszeit als Regierungschef vermehrt mit der Aufarbeitung der Ereignisse vom 11. März konfrontiert sehen. Eine Reise nach Washington für September hat er aus Gründen der politischen Situation in Japan abgesagt. Es wird erwartet, dass er schon nächste Woche seinen Rücktritt bekanntgeben wird.
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