Im Insti­tut für Arbeitskomplexe

Puma Mimi ist die Sän­ge­rin der japa­nisch-schwei­ze­ri­schen Elek­tro­pop-Band Tim & Puma Mimi. Für Asi­en­spie­gel schreibt sie über japa­ni­sche Bands, Events und Kunst. Puma Mimi führt uns in eine Kul­tur Japans, die jung und ange­sagt und in Euro­pa kaum bekannt ist.

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Das Forschungsinstitut für Arbeitskomplexe.
Das For­schungs­in­sti­tut für Arbeits­kom­ple­xe. Foto: Hide­ki Nishioka

Das For­schungs­in­sti­tut für Arbeits­kom­ple­xe. Hier unter­sucht der 28-jäh­ri­ge Ichi­ro Kitamu­ra in einem weis­sen Kit­tel assis­tiert von Kran­ken­pfle­gern Pati­en­ten, die einen Arbeits­kom­plex haben. Ein Spi­tal? Eine psych­ia­tri­sche Bera­tung? Nein, wir sind hier im Kunst­pro­jekt von Kitamura.

Über einen Bekann­ten bin ich auf das For­schungs­in­sti­tut für Arbeits­kom­ple­xe gestos­sen. Wie schön, wenn es das schon zu mei­ner Zeit als Ange­stell­te in Japan gege­ben hät­te, dach­te ich mir. Zwi­schen 2004 und 2009, ALS ICH MICH IN JAPAN ABSCHUF­TE­TE, HAT­TE ICH PRAK­TISCH KEI­NE ZEIT MEHR FÜR DIE MUSIK. Das mach­te mir zu schaf­fen. Natür­lich ist die Arbeit ein Ding der Not­wen­dig­keit. Doch steck­te ich damals im Kon­flikt, ob ich jemals die Musik zu mei­nen Beruf machen könnte.

Das Kunst­pro­jekt Arbeits­kom­ple­xe beschäf­tigt sich mit genau die­ser Art Pro­ble­me. Seit Früh­ling hat Kitamu­ra in sei­nem Wan­der­pro­jekt mit Fir­men­chefs, Arbeits­lo­sen, Stu­den­ten auf Stel­len­su­che, wirk­li­chen Ärz­ten, Schü­lern sowie einem Gemü­se­la­den­be­sit­zer Sprech­stun­den abge­hal­ten. Ins­ge­samt 56 «Dia­gno­sen» hat er seit dem Früh­ling gestellt.

DER MEDI­EN­JO­CKEY

Ichiro Kitamura in der Sprechstunde.
Ichi­ro Kitamu­ra in der Sprech­stun­de. Foto: Hide­ki Nishioka

Ichi­ro Kitamu­ra nennt sich einen Medi­en­jo­ckey. «Das ist ein jemand, der sich die ver­schie­dens­ten Medi­en wie Papier, Film oder das Inter­net zu Nut­ze macht und anhand des­sen Infor­ma­tio­nen ver­mit­telt», erklärt er auf mei­ne schrift­li­che Anfra­ge. DOCH WIE KOMMT EIN MEDI­EN­JO­CKEY AUF DIE IDEE EIN FOR­SCHUNGS­IN­STI­TUT FÜR ARBEITS­KOM­PLE­XE MIT WEIS­SEM KIT­TEL UND PATI­EN­TEN­BE­SU­CHE ZU GRÜNDEN?

In Japan hört man kaum von zeit­ge­nös­si­scher Kunst, die sich das Arbeits­le­ben zum The­ma nimmt. Ichi­ro Kitamu­ra kam 2010 als Uniab­sol­vent auf die­se Idee. Damals arbei­te­te er als soge­nann­ter Free­ter. So nennt man in Japan die Per­so­nen, die sich an kei­nen Arbeit­ge­ber bin­den und von Teil­zeit­job zu Teil­zeit­job sprin­gen. Ein Free­ter hat in Japan eine tie­fe sozia­le Stel­lung, kei­ne sozia­le Absi­che­rung eines Voll­zeit­an­ge­stell­ten und dar­über hin­aus hat er in Japan den Ruf des Wankelmütigen.

Weil die­se Art des Lebens­un­ter­halts Fle­xi­bi­li­tät erlaubt, gibt es unter den Free­tern vie­le Künst­ler. Und natür­lich steigt die Zahl derer, die not­ge­drun­gen zu Free­tern wer­den, weil sie schlicht­weg kei­ne regu­lä­re Anstel­lung fin­den. Selbst in die­ser Situa­ti­on gefan­gen, wur­de Kitamu­ra nach­denk­lich. «WAS BEDEU­TET ARBEI­TEN FÜR MICH, WES­HALB ARBEI­TEN MEN­SCHEN ÜBER­HAUPT und wie freun­det man sich am bes­ten mit der Arbeit bis zu sei­nem Tod an?» frag­te er sich.

IM ARBEITS­KOM­PLEX GEFANGEN

Zwischen Humor und Ernsthaftigkeit.
Zwi­schen Humor und Ernst­haf­tig­keit. Foto: Hide­ki Nishioka

Genau zu jener Zeit erhielt Ichi­ro Kitamu­ra zufäl­li­ger­wei­se eine Ein­la­dung für das Tokio­ter Stadt­kunst­pro­jekt Sumi­da Machi Mise. Er ent­schloss sich ein Video­pro­jekt an die Hand zu neh­men, das sich mit dem The­ma Arbeits­kon­flikt befass­te. Jedoch kam er bei der Umset­zung nicht rich­tig vor­an. Nur ein ein­zi­ges Video­in­ter­view hat­te er gedreht. «Die Betei­lig­ten fra­gen mich schliess­lich, ob mei­ne Tätig­keit dar­in bestün­de, eine sor­gen­vol­le Hal­tung an den Tag zu legen», blickt er zurück.

Und je mehr Kitamu­ra über sein Arbeits­pro­jekt nach­dach­te, des­to schlim­mer wur­de es. Er dach­te ans Auf­ge­ben: «ICH BEGRIFF, DASS ICH NUN SELBST MIT DER ARBEIT IM KON­FLIKT STAND. Die Pro­ble­me wur­den immer zahl­rei­cher. Am Ende ver­stand ich gar nichts mehr.» Zu die­sem Zeit­punkt hat­te er einen Geis­tes­blitz. «Es war genau die­ser Zustand, dem ich den Namen Arbeits­kom­plex gab.»

AUS DEM ARBEITS­KOM­PLEX WUR­DE EIN MEDI­ZI­NI­SCHES KUNST­PRO­JEKT. Kitamu­ra wur­de schnell klar, dass bei die­sem The­ma die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Men­schen ein Haupt­be­stand­teil wür­de. Weil der Inhalt die­ser Gesprä­che hei­kel sein wür­de, ging es dar­um, wie er die pri­va­te Natur bei­be­hal­ten und trotz­dem sein Werk so gut wie mög­lich dis­kret zei­gen könn­te. An einem feucht­fröh­li­chen Abend mit Freun­den ent­stand schliess­lich die Idee des Sprech­zim­mers. Es folg­ten der weis­se Kit­tel, das Ste­tho­skop (wozu er das wohl braucht?), die dazu pas­sen­de Atmo­sphä­re und am Ende auch die Patienten.

VON FIGHT CLUB BIS MODERN TIMES

Doch was haben die Pati­en­ten davon? «Durch das Gespräch haben die Pati­en­ten die Gele­gen­heit einen neu­en Blick auf ihren Beruf und die Arbeit zu wer­fen. Und wenn ich Glück habe erfah­re ich dadurch mehr über mei­nen eige­nen Arbeits­kom­plex», erklärt Kitamu­ra. Gleich­zei­tig hat der damit begon­nen eine Samm­lung von Pop­mu­sik, Fil­men, Schrif­ten und Man­ga zum Arbeits­kom­plex zu erstel­len, die man im War­te­zim­mer durch­se­hen kann. Dazu gehö­ren Film­klas­si­ker wie Fight Club oder Chap­lins Modern Times. So muss man sich die Arbeit eines Medi­en­jo­ckeys vorstellen.

DIE­SES JAHR WILL KITAMU­RA NOCH 200 «DIA­GNO­SEN» STEL­LEN. Was danach kommt, weiss er noch nicht. Es wer­de sich ganz natür­lich ein nächs­ter Schritt erge­ben. «Indem ich mei­ne Akti­vi­tä­ten fort­set­ze, muss ich mich nicht allei­ne mit mei­nem Arbeits­kom­plex beschäf­ti­gen. Ich will es zu einer natür­li­chen Sache machen, mit ande­ren locker dar­über zu sprechen.»

SPRECH­STUN­DE AM DJ-PULT

«Doktor» Kitamura und seine Assistentin.
«Dok­tor» Kitamu­ra und sei­ne Assis­ten­tin. Foto: Hide­ki Nishioka

Natür­lich inter­es­sier­te mich vom Medi­en­jo­ckey Kitamu­ra , ob auch die Musik bei die­sem Pro­jekt eine Rol­len spie­len wür­de. Immer­hin ist Ichi­ro Kitamu­ra auch DJ. Wie nicht anders zu erwar­ten war, hat er sich neu­lich in Tokio in weis­sem Kit­tel ins Zeugs gelegt. «AN MEI­NEM KOPF­HÖ­RER HING DAS STE­THO­SKOP und zwi­schen den Tracks habe ich mit beru­hi­gend wir­ken­den Fluss­ge­räu­schen her­um­ex­pe­ri­men­tiert. Dabei kam ich ins Gespräch mit drei jun­gen Damen.» Kitamu­ra erfuhr, dass sich eine über ihre beruf­li­che Ver­set­zung sorg­te. Als er ihr von ihrem Pro­jekt erzähl­te, zeig­te sie Inter­es­se an einer Sprech­stun­de. «Da kam mir die Idee, neben dem DJ-Pult mein For­schungs­in­sti­tut für Arbeits­kom­ple­xe aufzubauen.»

NICHT WENI­GE JAPA­NER HABEN MÜHE MIT DEM ARBEITS­ALL­TAG. Doch offen über die per­sön­li­chen Arbeits­kon­flik­ten zu spre­chen, ist für die meis­ten beschä­mend – gera­de in einer auf Har­mo­nie auf­bau­en­den Gesell­schaft, in der man erst mit einer ernst­haf­ten Voll­zeit­ar­beit als voll­wer­ti­ger Mensch ange­se­hen wird. Dabei lau­fen genau die­se Men­schen, die sich nicht für eine sol­che Gesell­schaft erwär­men kön­nen, Gefahr, sich selbst zu ver­teu­feln und in eine Depres­si­on zu ver­fal­len. Ohne gleich eine pro­fes­sio­nel­le Bera­tung suchen zu müs­sen, kön­nen sich Betrof­fe­ne mit Ichi­ro Kitamu­ras Kunst­pro­jekt heim­lich ihre Kon­flik­te offen­le­gen und so ihrem See­len­schmerz Erleich­te­rung ver­schaf­fen. Dar­an glau­be ich, die nicht vor lan­ger Zeit selbst in einem sol­chen Arbeits­kom­plex steckte.

Ich selbst habe vor 2 Jah­ren dem japa­ni­schen Arbeits­le­ben den Rücken gekehrt und kann mich end­lich ver­tieft der Musik hin­ge­ben, was mich sehr glück­lich macht. ABER DIE KON­FLIK­TE SIND NATÜR­LICH GEBLIE­BEN, bei­spiels­wei­se auf der finan­zi­el­len Sei­te. Wenn ich die­ses Jahr nach Japan nach Hau­se gehe, wer­de ich mich wohl neben dem DJ-Pult mit Kitamu­ra auf eine Sprech­stun­de verabreden.

Tim & Puma Mimi.
Tim & Puma Mimi.

Tim & Puma Mimi ist eine Elek­tro­pop-Band bestehend aus dem Schwei­zer Pro­du­zen­ten Tim und der japa­ni­schen Sän­ge­rin Puma Mimi.

Seit 2004 kom­po­niert und pro­du­ziert Tim Songs und spielt Key­board, Flö­te sowie selbst gebau­te Instru­men­te. Der Frui­ti­ly­zer, mit dem er Gur­ken elek­tri­fi­ziert, ist ein Mar­ken­zei­chen der Band. Puma Mimi schreibt dazu die Tex­te in ihrer Muttersprache. 

Bis 2009 spiel­ten Tim & Puma Mimi die welt­weit ers­ten Sky­pe-Kon­zer­te: Mimi sang in den Lap­top in der Küche ihrer japa­ni­schen Woh­nung. Bild und Ton wur­den via Sky­pe in ein Kon­zert­lo­kal in Euro­pa über­tra­gen. Da Mimi in Japan sozu­sa­gen kei­ne Feri­en hat­te, war das die ein­zi­ge Mög­lich­keit Kon­zer­te zu spie­len. Die­ses aus­ser­ge­wöhn­li­che Live-Kon­zept fand viel Beach­tung in den Medien.

Bis jetzt haben Tim & Puma Mimi mehr als 150 Kon­zer­te auf der gan­zen Welt gespielt – Sky­pe und «ech­te» Kon­zer­te. Ihr gröss­ten Auf­trit­te hat­ten sie im Womb Tokio 2007, am Paléo Fes­ti­val Nyon 2009, Sonar Fes­ti­val Bar­ce­lo­na 2010 und Mon­treux Jazz Fes­ti­val 2010. 

OFFI­ZI­EL­LE WEB­SITE: www​.tim​pu​ma​.ch

FACE­BOOK: http://​www​.face​book​.com/​p​a​g​e​s​/​T​i​m​-​P​u​m​a​-​M​i​m​i​/​1​2​5​4​1​0​1​5​0​8​2​6​3​3​6​?​r​ef=ts

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