Zu Fuss durch Japan
Thomas Köhler marschiert von der Nordspitze Hokkaidos bis zur Südspitze Kyushus. 2900 Kilometer wird er bis im Dezember zu Fuss zurückgelegt haben, «um positive Signale aus Japan zu senden und zu zeigen, dass hier nicht alles Fukushima ist.» Denn Japan ist noch immer eine Reise wert, ist Reisefachmann Köhler mehr denn je überzeugt. In einem Blog hält er seine täglichen Erlebnisse fest. Und auch für Asienspiegel bloggt Thomas Köhler über die Reise seines Lebens.
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Am 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, nahm ich meinen grossen Marsch über 2500 Kilometer von Norden bis in den Süden Japans in Angriff. DA STAND ICH NUN MIT MEINEM RUCKSACK, meinem kunstvoll bemalten Hut und der Wanderausrüstung am Kap Soya, noch weiter nach Norden geht es in Japan nicht. Ich hätte auch von Süden her starten können, doch zog ich bewusst die Nordinsel Hokkaido mit ihrem behaglicherem Klima vor.
Doch selbst hier kann die Sonne unerbittlich sein, wo teilweise Kilometer marschiert ohne eine Menschenseele zu sehen. Die Nordinsel ist im Verhältnis zur Hauptinsel Honshu dünn besiedelt. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Japaner die Insel in Beschlag zu nehmen. Heute wird sie gerne wegen ihrer Landschaft und des vergleichsweise angenehmen Klimas mit der Schweiz verglichen.
BEGEGNUNGEN
Meine allerersten Tage zu Fuss verliefen angenehm ruhig. Vielseitige Landschaften, vom fast unendlichen Grün über Sumpfgebiete bis hin zu einer Vulkaninsel sind mein Panorama. Und immer wieder komme ich ins Gespräch, mit Bikern, Touristen, Angestellten, Reisenden oder Passanten. In den ersten Tagen traf ich auf zwei Engländer, die in Japan leben. Auch sie bestätigten meinen Eindruck: ES LÄSST SICH AUCH NACH DER KATASTROPHE VOM 11. MÄRZ PROBLEMLOS REISEN. Dafür garantieren die Japaner. Selbst einen einfachen Wanderer wie ich wird jeden Tag aufs Neue mit königlicher Gastfreundschaft behandelt.
Die Strassen und die Wege sind meine Begegnungspunkte. Selbst ein Tempo bolzender Radfahrer hielt kurz vor Enbetsu wegen mir an. Er drehte sich um und fragte: «Sind Sie Amerikaner?» «Nein, Schweizer», antwortete ich. Ich erklärte ihm kurz meine Absichten. «Sugoi (super)!» sagte er und lachte. Bevor er sich verabschiedete, STRECKTE ER MIR EINE 1000-YEN-NOTE ENTGEGEN und meinte, «hier für sie». Ich lehnte ab, aber er insistierte: «Ihre Reise dauert noch lange und ist sehr anstrengend, sie müssen genug essen». Solche überraschenden Begegnungen, die sich täglich ergeben, lassen mich die Hitze und Anstrengung vergessen.
MEIN ZELT, DER BÄR UND DIE MELONE
Mein Zelt ist nicht selten meine Bleibe für die Nacht. Das ist nicht immer ungefährlich. In Hokkaido gibt es noch Bären in der freien Wildbahn. Bärenspuren am Sandstrand zeugen davon. Und ja, HIER ERZÄHLEN SICH DIE MENSCHEN NOCH BÄRENGESCHICHTEN, so wie der ältere Mann, den ich in Tomamae beim Mittagessen begegnet war. «Vor über 20 Jahren sind hier vier Leute von einem Bären getötet worden», sagt er mir. Ich musste einmal leer schlucken. Meine köstliche Melone ass ich trotzdem genüsslich zu Ende.
Melonen scheint es in Hokkaido in Hülle und Fülle zu geben, so dass man mit ein bisschen Glück auch mal eine gratis erhält. Auf dem Weg nach Obira, am elften Tag meines Marsches, hielt ein Autofahrer neben mir an. Er fragte mich nach meinem Wohlbefinden, ICH HATTE NUR WENIGE STUNDEN IM ZELT GESCHLAFEN und musste einen müden Eindruck auf ihn gemacht haben. Ich erklärte ihm mein Vorhaben, worauf er seinen Koffer öffnete und mir eine Melone überreichte. «Die ist für Sie als Erfrischung. Ich wünsche Ihnen eine gute Weiterreise!» Ich bedankte mich, und nach dem gemeinsamen Foto trennten sich unsere Wege wieder. Die Melone teilte ich mit dem nächsten entgegenkommenden Radfahrer.
KOKORO KARA – VON HERZEN
Neben meinem Zelt, sind Business-Hotels oder Familienpensionen, sogenannte Minshuku, meine weiteren Schlafgelegenheiten. Gerade in den Minshuku kommt man gerne mit den Besitzern ins Gespräch. In Obira unterhielt ich mich bis in die späten Abendstunden über kulturelle Unterschiede und andere Themen. Die Zufriedenheit des Kunden sei das Wichtigste, sagte mir der Minshuku-Besitzer. Der Übernachtungspreis sei so berechnet, dass es ihm zum Leben reicht. «DOCH DAS LEBEN WIRD DURCH MEINE ZUFRIEDENHEIT UND DIE MEINER KUNDEN BESTIMMT UND NICHT DURCH DAS GELD», betonte er. «Kokoro kara», von Herzen, kommen hier die Worte und Gesten.
VERZWEIFELT AUF HOTELSUCHE
Auf meinem Weg zum Zwischenziel Sapporo, der Hauptstadt von Hokkaido, war aber nicht immer alles Sonnenschein. Wenn es regnet, wird meine Reise zur Herausforderung. Am 15. Tag wurde ich vom Niederschlag überrascht. In den kleinen Strassendörfern fand ich keine Unterkunft. Ich ging ohne längere Pause konzentriert mit zügigen Schritten in Richtung Hekisui.
Als ein starkes Gewitter einsetzte, musste ich meine Pläne im Zelt zu übernachten, endgültig begraben. Doch wegen der buddhistischen Obon-Feiertage waren alle umliegenden Unterkünfte ausgebucht. «WIE WEITER?» DACHTE ICH. Glücklicherweise half mir ein Herr Fujita. Er telefoniert herum und fand für mich noch ein Minshuku, wo er mich sogar noch hinbrachte.
ETAPPENZIEL SAPPORO
Gerade an solchen Tagen freue ich mich auf den regelmässigen Besuch einer heissen Quelle. Hier finde ich die Entspannung nach einem anstrengenden Fussmarsch. Gestern habe ich endlich mein erstes Etappenziel Sapporo erreicht. Als Belohnung gibt es eine Nacht in einem gemütlichen Kapselhotel. Danach geht es weiter Richtung Süden, SCHRITT FÜR SCHRITT, für mich und für Japan. Ganbarimashou!
Verfolgen Sie Thomas Köhler täglich in seinem Blog «Zu Fuss durch Japan».
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