«Darf ich Ihr Gepäck tragen?»
Thomas Köhler marschiert von der Nordspitze Hokkaidos bis zur Südspitze Kyushus. 2900 Kilometer wird er bis im Dezember zu Fuss zurückgelegt haben, «um positive Signale aus Japan zu senden und zu zeigen, dass hier nicht alles Fukushima ist.» Denn Japan ist noch immer eine Reise wert, ist Reisefachmann Köhler mehr denn je überzeugt. In einem Blog hält er seine täglichen Erlebnisse fest. Und auch für Asienspiegel bloggt Thomas Köhler über die Reise seines Lebens.
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In der 1. Klasse verabschiedete ich mich von der Nordinsel Hokkaido. In einem eigenen Zimmer auf dem Schiff, das mir offeriert wurde, genoss ich die Überfahrt nach Aomori an der Nordspitze der Hauptinsel Honshu. Unter der Tsugaru-Meeresstrasse liegt übrigens der fast 54 Kilometer lange Seikan-Tunnel, der 1988 nach 17 Jahren Bauarbeit eröffnet wurde. Bis zur Fertigstellung des neuen Gotthard-Basistunnels war er der längste Tunnel der Welt.
Sicher auf dem Seeweg in der Stadt Aomori angekommen, verbrachte ich meine erste Nacht vor meiner nächsten grossen Etappe im Washington Hotel, wo ich auf Einladung des Hoteldirektors, Herrn Mikami, übernachten durfte. DIE WETTERGÖTTER WAREN MIR WOHL GESONNEN. Denn der Taifun, der mit aller Wucht über den Westen Japans zog, hatte mich hier im Norden verschont. Das Wetter war sonnig und heiss. Entsprechend verschwitzt, durstig und übermüdet kam ich nach 20 Kilometern Fussmarsch an der Namioka Raststätte an.
BEGEGNUNG MIT TAKUYA
Die Präfektur Aomori ist voller Apfelplantagen. Hier gibt es Äpfel in allen Variationen zu kaufen. Kein Wunder probierte ich einen Apfelkeks in einem Geschenkladen. Und bevor ich reinbeissen konnte, kam ich mit dem Herrn an der Kasse, Takuya Ohashi hiess er, ins Gespräch. Nachdem ich ihm von meiner Reise erzählte, lud er mich ein, bei seiner Familie zu übernachten. Nach der Begrüssung durch seine Frau und Tochter, ging ich noch mit Takuya und seinen Freunden essen und trinken. Es wurde ein unvergessener Abend.
Takuya liess es nicht bei der Gastfreundschaft bewenden. Am nächsten Morgen fuhr ich mit zu seinen Feldern, wo wir zusammen Gemüse ernteten. Danach meinte Takuya, dass er mich auf 20 Kilometer begleiten würde. «ICH MÖCHTE ERFAHREN, WIE ES WIRKLICH IST, WENN MAN JEDEN TAG SO LANGE GEHT», sagte er mir. Und weil er das richtige Zu-Fuss-durch-Japan-Gefühl haben wollte, fragte er mich, ob er mein Gepäck tragen dürfe. Ich verneinte natürlich nicht. Der Marsch wurde für mich für einmal zum Spaziergang. Am Ende des Tages verabschiedete sich Takuya mit schmerzenden Füssen von mir. Wir wünschten uns gegenseitig alles Gute.
BEGEGNUNGEN MIT BASEBALL UND TATAMI
In den folgenden Tagen hatte ich das angenehme Gefühl, dass mich ganz Aomori herzlich willkommen hiess. Selbst mit einer Baseball-Schülermannschaft tauschte ich Erinnerungsfotos aus. ES WAR ÜBRIGENS DAS ERSTE MAL IN MEINEM LEBEN, DASS ICH AUF EINEM BASEBALLPLATZ STAND. Hier in Japan ist Baseball der Nationalsport schlechthin. Bereits 1872 brachte ein Amerikaner das Spiel nach Japan.
Begegnungen mit Menschen aus den verschiedensten Lebensbereichen haben mich auf dieser Etappe besonders bereichert. SO WURDE ICH VON EINEM HANDWERKSMEISTER IN DIE KUNST DER TATAMIPRODUKTION EINGEFÜHRT. Eine Tatamimatte wird aus Reisstroh angefertigt und in Japan als Fussboden verlegt. Und mit einem Motorradfahrer genoss ich, bereits in der Präfektur Akita angekommen, auf dem Zeltplatz in Kamikoani zwei Bierdosen. Ein Herr Oyama lud mich einen Tag später nach einer weiteren Nacht in meinem Zelt auf ein Frühstück mit Kaffee ein.
BEGEGNUNG MIT DER POLIZEI
Und ja, auch Sake muss sein, wenn man durch Japan reist. Dank freundlicher Hilfe der Akita Touristeninformation wurde ich von Herrn Nobuya Watanae durch die Sakebrauerei von Akita Shuri Seizoh geführt. Da Sake erst im November, nach der Reisernte gebraut wird, sind Führungen zu diesem Zeitpunkt eher die Ausnahme. Der Sake dieser Brauerei heisst übrigens Takashimizu, den ich am Abend genüsslich kosten durfte.
UND SELBST DIE POLIZEI MEINT ES GUT MIT MIR. In einem Onsen-Bad in Nishime lernte ich nach einem heissen Tag mit nur wenig Schlaf die zwei Polizisten Zenichi Sasaki und Masato Sato kennen. Von ihnen wurde ich mit Bier, einem köstlichen Abendessen und 1000 Yen beschenkt. Meine Müdigkeit war wie weggeblasen. Herzlichen Dank!
BEGEGNUNG MIT EINER BÄRENFORSCHERIN
Meine abenteuerlichste Begegnung hatte ich jedoch mit der Bärenforscherin Reina Uno und ihren zwei Kollegen. Sie erzählte mir so einiges über die Bären in Japan. In einer Blockhütte tief im Wald vor Sakata in der Präfektur Yamagata wurde ich dann von den neuen Bekanntschaften noch herrlich bekocht. Anschliessend durfte ich noch in der Blockhütte übernachten. Ich war froh drum, denn es regnete den ganzen Tag. Von mehreren Mücke gestochen, machte ich mich am nächsten Tag wieder auf den Weg. In Sakata angekommen, hiess mich zu meiner Überraschung der «blaue Fuji» am Himmel willkommen.
Seit fast zwei Monaten bin ich nun unterwegs. NOCH IST DIE HÄLFTE DES WEGES NICHT GESCHAFFT. Aber die täglichen Begegnungen machen diese Reise zu einem unvergesslichen Erlebnis. Gerade wenn bedenkt, dass der 11. März erst sechs Monate her ist. Es ist beachtlich, wie hartnäckig und fleissig die Menschen nach dieser Katastrophe weiter arbeiten und die vielen Probleme schrittweise mit einer positiven Einstellung angehen. Weiter so, Japan!
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