Der Seidenmeister von Fujino
Dr. Pamela Ravasio ist Textilaficionado, Journalistin und Beraterin. Beruflich berät sie KMUs der Textil- und Modebranche in Sachen Nachhaltigkeit, und publiziert und forscht zum selben Thema. Sie ist in Zürich aufgewachsen und hat sie an der ETH dissertiert. Von 2005 bis 2009 lebte sie in Japan, seit 2009 in London. Ihre Website Shirahime gewann im Juni 2011 den Observer Ethical Award, den «Grünen Oscar» Grossbritanniens. Für Asienspiegel schreibt sie über Japans Mode und Textilhandwerk.
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Fujino in der Präfektur Kanagawa ist beides: abgeschieden und gleichzeitig relativ einfach erreichbar. Binnen 20 Minuten erreicht man die populäre Touristendestination Takao-san, und nach Tokio ist es gerade nur etwas mehr als eine Stunde. Die Seidenindustrie, genauer das Züchten von Kokons, war hier vor nicht allzu langer Zeit die Haupteinkommensquelle der Bevölkerung.
Doch nicht alle Kokons akzeptierten die kritischen Seidenfabrikanten. Jene mit Unregelmässigkeiten wurden zurückgewiesen. Und so lernten die Kokonzüchter nicht nur selbständig daraus das ‹weisse Gold› zu gewinnen, spinnen und zu weben, sondern auch die Imperfektionen als dekoratives Ausdrucksmittel einzusetzen.
Die resultierenden Stoffe und Textilprodukte bestechen in ihrer Schönheit, gerade weil sie durch ‹Fehler› im Faden aufgebrochen werden. Und dort, wo Seide mit hoher Fertigkeit verarbeitet wird, sind andere Materialien wie japanischer Hanf (jap. Asa), Pflanzenfarbstoffe oder Färbprozesse, die spezieller Expertise bedingen, auch nicht weit.
ZU BESUCH BEI BRYAN WHITEHEAD
Es ist genau diese rare Kombination, die mich in diese Ecke verschlagen hat: Fujino ist seit über 20 Jahren die Heimat von Bryan Whitehead, einem gebürtigen Kanadier, und einer der wenigen Personen, die den Seidenherstellungsprozess von A bis Z noch selbst beherrschen. Zudem züchtet er auch sein eigenes Indigo, und ist ein Experte in Sachen Pflanzenfarbstoffe.
Bryans Haus, ein traditionelles japanisches Holzhaus mit dreieinhalb Stockwerken. Es dient als Färbstudio, Weberei, und auch als Klassenzimmer für seine Schüler. Ein Fass voll mit Indigofärbsubstanz begrüsst die Besucher vor dem Eingang.
GESCHÄFTIGES TREIBEN
Bei meinem Besuch sprudelte das Haus über mit Bryan’s Schülern und Nachbarn, die sich zu einer Jahresendparty (Bonenkai) versammelt haben. Udon und Miso wurden von Hand zubereitet, und selbst Gemüse stammt aus eigener Produktion.
Im Wohnzimmer arbeitete eine Schülerin an einem Indigo-Schablonendruck, eine andere an einem Knüpfbatikwerk, im benachbarten Raum woben zwei weitere eigene Kreationen auf alten Webstühlen aus der Zwischenkriegszeit und eine weitere Person experimentierte mit einer Freihandfärbetechnik.
Fragen flogen wie Federbälle durch die Räume – Webfehler hier, gerissene Kettenfäden dort, und Färbezeitpunkte am anderen Ende des Raumes. Bryans Antworten liessen nicht auf sich warten.
DIE WERTSCHÄTZUNG DES MEISTERS
Über den Zeitraum meines Besuches wurde klar, dass Bryan seinen Schülern die Wertschätzung entgegenbringt, die er selbst als Schüler von angesehenen Meistern ihres Faches erfahren hatte. Geduld, Engagement, Gründlichkeit und Leidenschaft – eine Kombination für die einige seiner Schüler bis zu 4 Stunden Weg auf sich nehmen.
Ab Frühjahr 2012 wird Bryan Whitehead regelmässig eine Textile Study Tour durchführen. Das Gewicht dieser Kurse liegt dabei auf dem Sammeln praktischer Erfahrungen mit der Indigofärberei und der Seidenherstellung. Exkursionen in die Umgebung, und das Erkunden traditioneller japanischer Textilhandwerkskunst werden dabei nicht vernachlässigt.
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