Beim Meister des Kimonos
Dr. Pamela Ravasio ist Textilaficionado, Journalistin und Beraterin. Beruflich berät sie KMUs der Textil- und Modebranche in Sachen Nachhaltigkeit, und publiziert und forscht zum selben Thema. Sie ist in Zürich aufgewachsen und hat an der ETH dissertiert. Von 2005 bis 2009 lebte sie in Japan, seit 2009 in London. Ihre Website Shirahime gewann im Juni 2011 den Observer Ethical Award, den «Grünen Oscar» Grossbritanniens. Für Asienspiegel schreibt sie über Japans Mode, Textilhandwerk und die Rolle der Zivilgesellschaft.
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Es ist das Jahr 1937. Ein junger, talentierter Yuzen Kimono Künstler besucht das Tokioter Nationalmuseum, und stolpert über ein auf den ersten Blick schlicht aussehendes Exponat. Eine Begegnung, welche den Rest seines Lebens prägen, und die treibende Kraft hinter Jahrzehnten des Experimentierens und Forschens sein sollte.
Auf dem fraglichen Stück Stoff aus der späten Muromachi-Zeit (1333−1573) sind verblichen die Überbleibsel der Tsuji-ga-hana-Färbetechnik (dt. Blumen am Kreuzweg) zu sehen – eine Kombination aus Knüpfbatik, Shibori, Pinselmalerei, Blattmetallbehandlung und, je nach Fall, sogar Stickereien. Die Technik verschwand urplötzlich etwa zur selben Zeit als das fragliche Exponat entstand, weshalb man die Färbung scherzhaft auch Geister-Färbung nennt.
ZWEI SCHLÜSSELERLEBNISSE
Itchiku Kubota, so der Name des jungen Künstlers, entschied an Ort und Stelle, dass er nicht ruhen würde, bis er diese Technik wieder ins Leben zurückgerufen hätte. Eine ähnliche Entschlossenheit verspürte er nur noch ein einziges weiteres Mal im Laufe seines Lebens: Als russischer Kriegsgefangener, im Angesicht der intensiv leuchtenden Farben des sibirischen Sonnenuntergangs.
Diese beiden Schlüsselerlebnisse, und die von Kubota tief empfundene Bewunderung für die Natur und das Kommen und Gehen der Jahreszeiten, sind die Triebkraft hinter und gleichzeitig Sämling für die Erschaffung dessen, was möglicherweise als das herausragendste Werk eines Kimono-Künstlers – mit Sicherheit der Moderne – betrachtet werden muss.
EIN MUSEUM WIE AUS DEM BILDERBUCH
Das Itchiku Kubota Museum befindet sich am Stadtrand von Kawaguchi-ko, komfortable 2 Stunden mit dem Zug vom Zentrum Tokios entfernt. Es liegt etwas versteckt in einem kleinen Wald und bietet eine spektakuläre Aussicht auf den schönsten Vulkan der Welt, den Fuji-san. Es wurde von Anfang an erstellt, um den Traum Kubotas, sein Hauptwerk ausstellen zu können, umzusetzen.
Das Museum selbst erscheint wie aus einem Bilderbuch: eingebettet in einen Teppich feuerroten Ahorns im Herbst und weiss-rosa Kirschblüten im Frühling; frisch im Sommer, und geschützt vor den eisigen Winden im Winter. Die Architektur kombiniert gegensätzliche Stile: Art Deco aus Kalkstein und Okinawa Korallen auf der unteren Ebene, und ein traditionell schweres japanisches Grossraumdesign für die höher gelegene Kimonohalle. Ein Wasserfall führt vom Eingangstor zu den Gebäuden auf der unteren Ebene, und der Hof kann im Sommer auch als Bühne für Noh-Theater genutzt werden.
Neben ausgewählten Schlüsselwerken aus Kubotas Karriere, ist das im Museum sein Hauptwerk zu sehen. Die Symphonie des Lichts ist eine einzigartige Sammlung und wird, einmal vollendet, 80 Kimonos umfassen. Die Serie besteht aus 2 Gruppen von Kimonos – Die vier Jahreszeiten und Das Universum – welche in sämtlichen Details von Kubota bereits im Jahre 1981 entworfen wurden.
DER KIMONO ALS LEINWAND
Alle Kubota Kimonos sind überdimensioniert und basieren auf dem Uchikake Design. Die Kimonos wurden am unteren Saum um zusätzliche 73 Zentimeter verlängert, was zu einer gesamten Erhöhung um 20 Prozent gleichkommt. Der Effekt dieser Anpassung ist, dass die Kimonos nicht nur mehr tragbare Kunst sind, sondern sich zu einer Leinwand für Kubotas Designs wandelten. Anders als bei tragbaren Kimonos ist die Hauptbetrachtungsfläche der Kimonos die Rückseite, während die Vorderseite nur seitlich herausragt.
Jeder der Symphonie des Lichts-Kimonos ist ein eigenständiges Bild, und zeigt eine Landschaft in einem bestimmten Stadium der vier Jahreszeiten. Die Kimonos sind kompositorisch verbunden, und ergeben ein Ganzes wenn sie aneinander gereiht von der Seite oder aus Distanz betrachtet werden – ähnlich wie dies bei den japanischen Schiebetüren der Fall ist.
FARBEN AUS DER NATUR
Die von Kubota gewählten Farben scheinen direkt aus der Natur gegriffen: Intensives Orange und Rot mitten im Herbst; Schattierungen von Weiss und Grau im Winter; Rosa und Gelb im Frühling; Grün und Bordeaux im Sommer. Und diskret und doch allgegenwärtig im Gesamtwerk: Blumen kreiert mit der wieder entdeckten Tsuji-ga-hana Färbetechnik.
Werden alle Kimonos der Symphonie des Lichts zusammen und in einem Raum ausgestellt, so wie es sich Kubota von Anfang erträumt hatte, dann ergeben sie ein einziges, einzigartiges Kunstwerk. Die Bildersprache kreiert, erweitert und verändert die Perspektive des Betrachters, so dass er das Gefühl hat, sowohl Teil der Landschaft zu sein, als auch gleichzeitig weit über den Raum hinweg hin zu fernen Horizonten zu schauen.
Im Jahr 2003, zum Zeitpunkt von Kubotas Tod, waren nur 34 Kimonos der Herbst- und Winterserie, und 5 Kimonos der Universum-Serie vollendet. Es ist nun an den Söhnen und Schülern des Künstlers den akribisch detaillierten Entwürfen des Meisters zu folgenden und das Werk zu Ende zu bringen.
Wenn man weiss, dass die Herstellung jedes dieser Kimonos etwa eines Jahres geduldiger Handarbeit, einer Unzahl von Farbbädern, Stickereien und Veredelungsschritten bedarf, kann man erahnen welcher Berg von Kubotas Nachfolgern zu erklimmen ist.
Das Itchikuko Kubota Museum kann mit öffentlichen Transportmitteln von Tokio via Kawaguchi-ko erreicht werden. Weitere Informationen sind erhätlich via die Website: http://itchiku-museum.com/
Itchiku Kubota Museum, Kawaguchi-ko, Japan
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