«Eine unver­ant­wort­li­che Mentalität»

Nobelpreisträger Kenzaburo Oe.
Nobel­preis­trä­ger Ken­zabu­ro Oe. Foto: wikimedia/​The­su­per­mat

«Die Ursa­che im Unfall von Fuku­shi­ma liegt in der reflex­ar­ti­gen Gehor­sam­keit, dem Wider­wil­len Auto­ri­tä­ten zu hin­ter­fra­gen, in der Hin­ge­bung sich immer nach dem Plan zu hal­ten sowie in der Grup­pen­ori­en­tie­rung und dem Insel­cha­rak­ter der Japaner.»

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So steht es im eng­lisch­spra­chi­gen Schluss­be­richt der par­la­men­ta­ri­schen Unter­su­chungs­kom­mis­si­on zur Kata­stro­phe im AKW Fuku­shi­ma geschrie­ben (Asi­en­spie­gel berich­te­te). Es sei ein Desas­ter, dass nicht nur von Men­schen­hand sei, son­dern auch einen typi­schen Cha­rak­ter von «Made in Japan» in sich trage.

Die Kri­tik des Nobelpreisträgers

Ken­zabu­ro Oe, Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­ger, Japans mora­li­sches Gewis­sen und AKW-Geg­ner der ers­ten Stun­de (Asi­en­spie­gel berich­te­te), gab die­ser Inter­pre­ta­ti­on in einer Pres­se­kon­fe­renz des For­eign Correspondent’s Club in Tokio auf sei­ne Wei­se recht.

«Als das AKW Oi wie­der ange­schal­tet wur­de (Asi­en­spie­gel berich­te­te), benutz­te unser Pre­mier­mi­nis­ter eine typi­sche japa­ni­sche Rhe­to­rik, die vor­gab, dass in Fuku­shi­ma nie etwas Schlim­mes pas­siert sei», sag­te Oe kri­tisch. Die Pro­ble­me, die Japan dem Rest der Welt mit dem Aus­stoss von radio­ak­ti­ver Strah­lung ver­ur­sacht habe, sei­en dabei wie ver­ges­sen gewesen.

Die Poli­tik und Atom­lob­by habe ihre Ver­ant­wor­tung ein­fach an die Exper­ten und Wis­sen­schaft­ler abge­scho­ben und das Volk habe mit­ge­macht, indem es still­schwei­gend von der Atom­ener­gie pro­fi­tier­te. Nun sei das Volk zum Opfer gewor­den. Der­weil mache die Poli­tik und Wirt­schaft nach Fuku­shi­ma ein­fach wei­ter, indem sie an zukünf­ti­ge Tech­no­lo­gi­en zur Lösung der Pro­ble­me glau­be. Damit müs­se Schluss sein. «Es ist Zeit, sich von die­ser pas­si­ven, unver­ant­wort­li­chen Men­ta­li­tät zu lösen.»

Die Kul­tur als Ausrede

In den west­li­chen Medi­en sieht man die Schluss­fol­ge­rung der par­la­men­ta­ri­schen Unter­su­chungs­kom­mis­si­on äus­serst kri­tisch. Allei­ne der japa­ni­schen Kul­tur die Schuld für die Kata­stro­phe zu geben, sei ledig­lich ein Weg, juris­ti­sche Ankla­gen zu ver­hin­dern, schreibt die Nach­rich­ten­agen­tur Bloom­berg. Der Schluss­be­richt spre­che zwar von einem mensch­lich ver­ur­sach­ten Unfall, ver­mei­de es jedoch, die Schul­di­gen zu identifizieren.

Auch für Japan-Ken­ner Gerald Cur­tis hin­ter­lässt der Bericht einen bit­te­ren Bei­ge­schmack. In einem Kom­men­tar in der bri­ti­schen Finan­ci­al Times äus­sert er sei­ne Zwei­fel an der japa­ni­schen Inter­pre­ta­ti­on der Katastrophe.

Nicht alle Japa­ner sei­en gleich. Es kom­me sehr wohl dar­auf an, wer an der Füh­rungs­spit­ze steht. Dabei nennt er den dama­li­gen Pre­mier Nao­to Kan, der ins TEP­CO-Haupt­quar­tier stürm­te und die Füh­rung zum Han­deln zwang; oder AKW-Fuku­shi­ma-Direk­tor Masao Yoshi­da (Asi­en­spie­gel berich­te­te), der ent­ge­gen dem Wil­len sei­ner Chefs in Tokio Salz­was­ser zur Küh­lung der Reak­to­ren nutzte.

«Die Kul­tur erklärt nicht Fuku­shi­ma», schreibt Cur­tis wei­ter. Mit die­ser Inter­pre­ta­ti­on des Schluss­be­richts stöh­len sich Poli­tik und Wirt­schaft aus der Ver­ant­wor­tung. Es sei nichts mehr als eine ein­fa­che Ausrede.

Hoff­nung auf die Jugend

Ken­zabu­ro Oe stimm­te die­ser Sicht­wei­se von Cur­tis in der Pres­se­kon­fe­renz zu, er zitier­te sogar dar­aus. Auch der Schrift­stel­ler schiebt die Kri­se nicht allei­ne auf die japa­ni­sche Men­ta­li­tät. Die Ver­ant­wor­tung der Indi­vi­du­en und Orga­ni­sa­tio­nen, die über Jahr­zehn­te für die fried­li­che Nut­zung der Atom­ener­gie gewor­ben hät­ten, sei nicht zu ver­ges­sen. Oes Gesell­schafts­kri­tik rich­tet sich denn spe­zi­fisch an die japa­ni­sche Nachkriegsgeneration.

Der Nobel­preis­trä­ger von 1994 setzt sei­ne Hoff­nung auf die jun­gen Japa­ner. Sie müss­ten die Men­ta­li­tät der Gesell­schaft zu einem Wan­del füh­ren. Dank des Inter­nets wür­den sich Indi­vi­du­en zu Pro­test­be­we­gun­gen orga­ni­sie­ren und sich aus den bis­he­ri­gen Struk­tu­ren befreien.

Die Anti-AKW-Bewe­gung, die immer­hin zum Still­stand der meis­ten Kern­kraft­wer­ke einen ent­schei­den­den Bei­trag leis­te­te, sei bereits dar­an, ein neu­es Kapi­tel in der japa­ni­schen Demo­kra­tie zu schrei­ben (Asi­en­spie­gel berich­te­te). Der nächs­te gros­se Pro­test ist für den 16. Juli in Tokio geplant. Die Orga­ni­sa­to­ren von Sayo­na­ra Gen­patsu hof­fen auf 100’000 Teil­neh­mer. Ken­zabu­ro Oe wird wie immer unter­stüt­zend dabei sein.

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