Von Mitschülern zu Tode schikaniert
Am 11. Oktober 2011 stürzt sich ein 13-jähriger Junge vom 14. Stock seines Wohnhauses in Otsu (Präfektur Shiga) in den Tod. Die Schulleitung führt eine Woche später eine Umfrage durch. Es ist ein Verfahren, das in Japan in solchen Fällen angewendet wird. 300 Schüler geben Antwort.
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Als Vorbedingung für die Herausgabe der Umfrage, verpflichten sich die Eltern laut Mainichi Shimbun, die Resultate nicht an die Öffentlichkeit zu tragen. Die Schule kommt im November in einer Pressekonferenz zum Schluss, dass der Junge von Mitschülern schikaniert wurde. Einen direkten Zusammenhang mit dem Selbstmord könne jedoch nicht hergestellt werden. Die Akte ist für die Schulleitung damit geschlossen.
Für die Eltern ist jedoch gar nichts geklärt. Sie gehen zur lokalen Polizeistation, um Anzeige wegen Mobbing gegen den verstorbenen Sohn zu erstatten. Diese wehrt sich jedoch, einen Bericht darüber zu verfassen. Die Vorwürfe könnten nicht bestätigt werden.
Die schockierende Wahrheit
Erst als die Eltern im Februar 2012 eine Schadenersatzklage über 77,2 Millionen Yen (795’000 Euro) gegen die Stadtregierung von Otsu und 3 verdächtige Mitschüler einreicht, kommt Bewegung in den Fall. Die nationalen Medien springen auf. Im Laufe der Vermittlungen kommt heraus, dass die Schulumfrage vom Oktober und eine zweite in November brisanter waren als die Schulleitung stets vorgegeben hatte.
15 Schüler beschrieben darin, wie der 13-jährige Junge systematisch von Mitschülern schikaniert, verprügelt und gedemütigt wurde. Regelmässig hatten sie ihm den Selbstmord offen nahe gelegt. Seinen Peinigern soll der 13-Jährige gemäss Yomiuri Shimbun per E-Mail seinen Selbstmord angekündigt haben. Gewisse Lehrer sollen vom Mobbing gewusst haben, wurden gar von anderen Schülern informiert, taten die Vorgänge aber als harmlose Streiche ab. Der betroffene Schüler hatte aus Angst vor Repressalien Angriffe gegen seine Person verleugnet.
Die Polizei greift ein
Die Hinweise führen dazu, dass über 9 Monate nach dem Selbstmord die unter Druck geratene Polizei erstmals eine Durchsuchung in der Schule tätigt. Dokumente von Lehrern werden konfisziert. Beweismittel zu einem möglichen Angriff von 3 Schülern gegen den 13-Jährigen im September 2011 werden gesammelt.
Ausserdem wird wegen möglicher Vertuschungsversuche ermittelt. Die Polizei erklärt, dass sie im Oktober von der Schulleitung und dem lokalen Bildungsdepartement nur ungenaue Zusammenfassungen der Umfrage erhalten hatte.
Es drohen Haftstrafen
Die Behörden stehen unter Druck. Die Lokalregierung setzt eine unabhängige Kommission ein, die den Fall nochmals aufrollen soll. Das Bildungsministerium in Tokio entsendet seine Leute. Die Polizei kündigt an, 300 Schüler genauer zum Vorfall zu befragen. 25 Polizeioffiziere befassen sich inzwischen damit.
Die mutmasslichen Täter waren zur Zeit des Selbstmordes alle 13 oder 14 Jahre alt. In Kriminalfällen in Japan können Personen bereits ab 14 Jahren zur Verantwortung gezogen. Gemäss Gesetz drohen ihnen Haftstrafen zwischen 6 Monaten und 7 Jahren. Der Bürgermeister von Otsu versucht nun eine aussergerichtliche Einigung zu finden.
Ein landesweites Problem
In Japan kommt es regelmässig zu Medienberichten über tragische Selbstmorde oder Selbstmordversuche junger Menschen, die systematische Einschüchterungen durch Mitschüler durchleben mussten. Die Zahl der gemeldeten Mobbing-Fälle in Schulen ist zwischen 2006 und 2011 von 101’097 auf 75’295 gesunken. Der Rückgang hat teilweise mit Sensibilisierungskampagnen durch die Regierung zu tun.
Experten glauben jedoch, dass die Dunkelziffer viel höher liegt. Es ist ein gesellschaftliches Problem, über das noch immer lieber geschwiegen wird. Dies hat der tragische Fall von Otsu gezeigt.
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