Murakamis Stimme der Vernunft
Er meldet sich nicht oft zu aktuellen politischen Themen zu Wort. Doch wenn er es tut, hört man ihm zu. Die Rede ist von Japans derzeit international erfolgreichsten Schriftsteller Haruki Murakami.
Wenn Sie diesen Artikel gratis lesen, bezahlen andere dafür. Mit einem Abo sichern Sie die Zukunft dieses Japan-Blogs.
Der emotionale Streit um unbewohnte Territorien zwischen Japan, China, Taiwan und Südkorea hat ihn aufgewühlt. So stark, dass der in allen vier Ländern beliebte Murakami in die Tasten greifen musste. Mit einem viel beachteten Essay auf der Frontseite der Asahi Shimbun ist der 63-jährige zur dringend benötigten besonnenen Stimme in der aufgeheizten Stimmung in Ostasien geworden.
Murakami, der in allen vier Ländern grosse Beliebtheit geniesst, vergleicht das Verhalten im Streit um die Senkaku-Inseln und Takeshima-Felsen mit dem von Betrunkenen. «Es ist wie sich mit billigem Sake zu betrinken. Nur ein kleines Gläschen dieses billigen Sakes löst einen Adrenalinrausch im Kopf aus. Die Stimmen werden lauter, die Aktionen gewalttätig. Aber nachdem lauten Getue ist alles, was bei der Morgendämmerung noch bleibt, ein grosser Kater.»
Der Vergleich mit Hitler
Politiker oder Kritiker, die der Bevölkerung solch billigen Alkohol verschrieben, sollten vermieden werden, fährt Murakami in seinem Essay fort. Er vergleicht die Situation mit Adolf Hitler, der in den 1930er-Jahren seine Machtbasis mit dem Anspruch auf «verlorene Territorien» festigte. «Wir wissen ganz genau, was dabei herauskommt». Politiker und Kritiker können mit schrillen Tönen die Bevölkerung aufwiegeln; am Ende jedoch wird die Bevölkerung die Rechnung dafür zahlen müssen.
Haruki Murakami rät den Japanern dringend von irgendwelcher Form von Vergeltungsmassnahmen ab. Diese würde einen nur selbst treffen. «Unter keinen Umständen dürfen wir unseren gebührenden Respekt vor anderen Kulturen verlieren.» Als Schriftsteller ist er direkt betroffen von den Streitigkeiten. Bereits haben einige Buchläden in China Werke japanischer Autoren aus den Regalen entfernt.
Erfolgreiche Beziehungen
Der japanische Schriftsteller sieht den erfolgreichen Aufbau der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen in Ostasien der letzten 20 Jahre in Gefahr. Die Region sei heute ein stabiler und reicher Markt, der eine gegenseitige positive Beeinflussung erlaube. Murakami nennt das Beispiel südkoreanischer TV-Soaps in seiner Heimat. Dank deren Erfolg sei die koreanische Sprache in Japan so beliebt wie nie zuvor.
Diese hart erarbeiteten Leistungen zahlreicher Menschen sei mit dem Streit um Inseln in Gefahr. Territoriale Streitigkeiten bezeichnet Murakami als eine unausweichliche Konsequenz, «so lange nationale Grenzen existieren». Für diese Probleme könnten und sollten Lösungen gefunden werden, jedoch nicht im Namen «nationaler Emotionen».
Gezielte Kritik
Der ewige Anwärter auf den Literaturnobelpreis gehört zu Japan intellektuellen Taktgebern. Er ist keiner wie sein Autorenkollege Oe Kenzaburo, der sich mit grosser Leidenschaft und Einsatz an Demonstrationen für einen gesellschaftlichen Wandel einsetzt (Asienspiegel berichtete).
Murakami meldet sich gezielt zu Wort, dafür mit grosser Wirkung. Nach der Katastrophe von Fukushima nahm er sich 3 Monate Zeit für eine ausführliche Stellungnahme. Bei einer Preisübergabe in Barcelona machte er schliesslich mit einer Anti-AKW-Rede auf sich aufmerksam, die bis heute in Japans Gesellschaft nachklingt (Asienspiegel berichtete).
Ohne Abonnenten kein Asienspiegel
Februar 2024 – Wenn Sie diesen Artikel gratis lesen, bezahlen andere dafür. Mit einem Abo sichern Sie die Zukunft dieses Japan-Blogs, der über 5000 kostenlos zugängliche Artikel bietet.
VORTEILE JAHRES-ABO
Jahres-Abonnenten stehe ich für Fragen zur Verfügung. Klicken Sie hier, um mehr darüber zu erfahren.
- Zahlungsmittel: Master, Visa, PayPal, Apple Pay, Google Pay
- Für TWINT bitte via Asienspiegel Shop bezahlen
- Für Banküberweisung hier klicken