Eine Abrechnung mit Tokio
«Die heutige Politik muss sich ändern. Wir müssen uns vom System wegbewegen, in dem Politiker und Massenmedien eng zusammenarbeiten.» Es sind die Worte von Katsunobu Sakurai, Bürgermeister der Stadt Minamisoma am Rande der Sperrzone von Fukushima. Hier ist die tiefe Enttäuschung eines Direktbetroffenen der Dreifachkatastrophe zu hören, dessen Stadt von Japan und der Welt vergessen wurde.
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«Wir ändern unser System nicht zum Besseren. Wir bewegen uns rückwärts zu alten Gewohnheiten», meint ein frustrierter Sakurai in einer Pressekonferenz des Foreign Correspondent’s Club in Tokio. Das Schweigen der Medien trägt nach Meinung Sakurais dazu bei. Den Medien fehle es an eine «Gefühl der Berufung» und zudem erhalte die Branche viel Werbegelder von den Stromproduzenten. So werde sich nichts am Statusquo ändern. Seine Rede hat Bizmakoto.jp publiziert.
Der Bürgermeister wurde in den Tagen nach dem 11. März 2011 weltberühmt. Seine Stadt Minamisoma erlebte damals den Albtraum. Der Tsunami hatte 2000 Häuser weggeschwemmt, 1000 Menschen verloren damals ihr Leben. Während Tagen wartete Sakurai auf Hilfe des Staates. Erst als ein Youtube-Video um die Welt ging, in dem er über die prekäre Lage seiner Stadt berichtete, erfuhr Minamisoma eine Welle der Solidarität (Asienspiegel berichtete).
Keine Hilfe aus Tokio
Seither kämpft Sakurai unermüdlich darum, dass sein Minamisoma nicht in Vergessenheit gerät (Asienspiegel berichtete). Denn die Stadt in der Präfektur Fukushima ist noch weit vom Alltag entfernt. Die Einwohnerzahl ist von 70’000 auf 45’000 zurückgegangen. Mit Ausnahme von zwei Bezirken liegt Minamisoma knapp ausserhalb des Sperrgebiets. Trotzdem haben die Behörden auch hier mit lokalen Hotspots und teilweise einer höheren Strahlung als in der Sperrzone zu kämpfen. Die Dekontaminierung kommt nur schleppend voran. Noch immer gibt es keinen Entscheid über permanente Lagerstätten (Asienspiegel berichtete).
Von der Zentralregierung erwartet Sakurai über eineinhalb Jahre nach der Katastrophe nichts mehr. Er fühlt sich im Stich gelassen. Die Politiker auf nationaler Ebene hätten nichts aus der Katastrophe gelernt. Es werde so getan, als hätte sich die Lage in Fukushima geklärt. Dabei hätte doch die Katastrophe zu einem Wendepunkt für Japan werden müssen, meinte Sakurai an der Pressekonferenz.
Doch nun seien Regierung wie Opposition wieder auf Atomkurs, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung sich wiederholt dagegen ausgesprochen habe. Weshalb Tokio im AKW Oi zwei Reaktoren wieder anschalten liess, hätten gerade die Menschen in Minamisoma nicht verstanden. «Es fühlt sich an, als hätte man uns weggeworfen», zitiert Sakurai die Reaktion eines Betroffenen, der in Minamisoma in einem provisorischen Fertighaus lebt.
Sakurais Botschaft
Aufgeben will Katsunobu Sakurai dennoch nicht. Er richtet mit seiner Stadt den Blick in die Zukunft. In Minamisoma sollen künftig Industrien, die auf erneuerbare Energien setzen, gefördert werden. Von der Politik in Tokio erwartet er, dass sie mehr auf die Menschen hört. «Denn das Wiederaufblühen Japans hängt vom Wiederaufblühen Fukushimas ab.»
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