Nationalismus mit Absicht
Vier Monate lang zeigte sich Shinzo Abe als Premierminister mit dem Auftrag Japans stagnierende Wirtschaft zu beleben. Seine Massnahmen des lockeren Geldes scheinen Wirkung zu zeigen. Der Yen ist schwächer geworden, der Nikkei auf einem Höhenflug. Doch vergangene Woche zeigte er sich von der Seite, wie man ihn schon seit seiner ersten Amtszeit 2007 kennt: Abe, der aussenpolitische Falke.
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Anstatt einen deeskalierenden Schritt in den ständigen Streitigkeiten um umstrittene Territorien mit dem Nachbarn China und Südkorea zu tun, unterstützte er am vergangenen Sonntag den Besuch von 168 konservativen Abgeordneten und drei seiner Minister im umstrittenen Yasukuni-Schrein, wo auch hingerichtete A-Klasse-Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges geehrt werden.
Wühlen in historischen Wunden
Drei Tage später nahm er in einer Sitzung des Oberhauses zur offiziellen Erklärung von Tomiichi Murayama Stellung, der sich 1995 als Premierminister für «die Kolonialherrschaft und Aggression Japans im Zweiten Weltkrieg» entschuldigt hatte. Es ist ein Wortlaut, der bis anhin von allen Nachfolgern, so auch von Abe, übernommen wurde.
Abe meinte dazu nur, dass das Wort «Aggression» noch klar zu definieren sei. Dies könne je nach Standpunkt unterschiedlich angesehen werden. Der Yasukuni-Besuch und Abes Worte reichten aus, um in Südkoreas Medien einen Sturm der Entrüstung auszulösen. Die südkoreanische Regierung hat jegliche Besuch nach Tokio fürs Erste auf Eis gelegt.
Mit Streitigkeiten zur Verfassungsänderung
Dabei handelt es sich um keine spontanen Äusserungen des Premierministers. Die aussenpolitischen Streitigkeiten mit China und Südkorea sowie Nordkoreas atomares Säbelrasseln kommen Shinzo Abe durchaus entgegen. Sie geben ihm den innenpolitischen Rückenwind, wenn es um die Änderung der pazifistische Verfassung Japans geht.
Von der amerikanischen Besatzung 1947 formuliert ist sie bis heute unverändert geblieben. Dies ist Shinzo Abe schon lange in Dorn im Auge. Er wünscht sich eine Verfassung ohne den Kriegsverzichtsartikel 9 und mit einem Artikel, der den Tenno nicht zum bedeutungslosen Symbol, sondern zum Staatsoberhaupt erklärt (Asienspiegel berichtete). Japan soll wieder eine stärkere politische, wirtschaftliche und militärische Vorreiterrolle in Asien übernehmen, so seine Vorstellung.
Abes Umweg über den Artikel 96
Eine Revision scheiterte bislang an der notwendigen Zweidrittelmehrheit im Unterhaus, wie sie der Artikel 96 vorschreibt. Diese Hürde will Abe nun zuerst ändern. Eine Änderung des Artikels 96, so seine Hoffnung, würde noch eher Zuspruch unter allen Abgeordneten erhalten. Danach erst soll der Artikel 9 fallen, so sein Kalkül.
Diese Strategie bereitet gerade Unterstützern des Artikels 9 grosse Sorgen. Sollte eine einfach Mehrheit zur Änderung genügen, würde die Verfassung zu einem ständig anpassbaren Gesetzeswerk degradiert. Eine Revision des Artikel 96 hätte demnach grössere Auswirkungen auf Japan als die Abschaffung des Artikels 9.
Die Kritik der New York Times
Es stellt sich die Frage, zu welchem aussenpolitischen Preis Shinzo Abe Japans pazifistische Verfassung ändern möchte? Die New York Times bezeichnet in einem Kommentar das Verhalten der Regierung als «Japans unnötiger Nationalismus».
Es sei «geradezu töricht» von Japan, die Feindschaften mit den Handelspartnern China und Südkorea zu entflammen. Denn nur mit gegenseitiger Kooperation könne das Problem mit Nordkorea und dessen Atomprogramm beendet werden. «Anstatt in historische Wunden zu wühlen, sollte sich Herr Abe darauf fokussieren Japans Zukunft zu schreiben, mit einer Betonung auf Wirtschaftswachstum und einer Verbesserung der Rolle Japans als führende Demokratie in Asien.»
So sieht es auch die japanische Bevölkerung. In einer Umfrage der Asahi Shimbun erklärten 50 Prozent der Befragten, dass Abe das Wirtschaftswachstum zu seinem Hauptfokus machen solle. Lediglich 6 Prozent interessieren sich für dessen Vorstösse zur Verfassungsänderung.
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