Alleine essen, alleine singen

Wo setzt man sich in der Kantine der Universität hin, wenn man ganz alleine ist? Mit diesem Szenario hat sich jeder Student schon einmal beschäftigen müssen. Der Betreiber der Hauptkantine in Japans renommierter Universität Kyoto hat für dieses Problem eine kreative Lösung gefunden, wie die Asahi Shimbun berichtet.
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Ein Tisch für 6 Personen wird in der Mitte mit einer Trennwand der Länge nach räumlich zweigeteilt. Der Student kann so in Ruhe essen, dem Gegenüber muss er nicht in die Augen schauen, eine ermüdende Konversation entfällt. Das Einzige, was er vor seinen Augen sieht, ist eine Wand. Für einen japanischen Studenten sind das offenbar gute Aussichten. Gleich zehn Stück dieser Spezialtische hat die Kantine mit ihren insgesamt 480 Sitzen anfertigen lassen.
Die letztes Jahr eingeführte Idee stösst auf viel Anklang. Die Wandtische werden rege genutzt. «Bocchi Seki», die Sitze für Einsame, werden sie genannt. Das ist vielen Studenten lieber als ganz ohne Freunde alleine an einem grossen, offenen Tisch zu sitzen. Andere möchten ganz einfach ihr Essen schnell verspeisen, ohne sich dabei in ungewollte Konversationen zu verfangen.
Eine einfache Logik
Eine Kantine in der Universität Kobe hat dieses Konzept bereits erfolgreich kopiert. Den Betreiber fiel auf, dass viele Plätze während der Mittagspause leer blieben, obwohl die Kantine mit Kunden überfüllt war.
Das kam daher, dass viele Studenten, die alleine gekommen waren, sich nicht zu einer Gruppe hinsetzen wollten. So blieben regelmässig mehrere Sitze an 6er- und 8er-Tischen leer.
Indem die grossen Tische zu «Bocchi Seki» mit Trennwand transformiert wurden, änderte sich plötzlich das Verhalten der Studenten. Die Plätze in der Kantine waren auf einmal besser besetzt.
Kritik am «Bocchi Seki»
Die neue Sitzarchitektur hat zudem den Vorteil, dass sich eine 3er-Gruppe wie an einem traditionelle Tresen in einem japanischen Restaurant weiterhin unterhalten kann. Gleichzeitig kann ein Student sich auch ganz alleine hinsetzen, ohne dabei Angst zu zu haben, jemanden zu stören.
Trotzdem haben nicht alle am «Bocchi Seki»-System Freude. «Die Trennwand fühlt sich beengend an. Es ist so, als ob man in einem Studierzimmer sitzt», bemängelt ein Student auf der News-Site der Universität Kobe. Andere haben wegen des neuen Systems gleich ganz aufgehört, die Kantine zu frequentieren.
Die Single-Gesellschaft
Übrigens machen die Dienstleistungen für Einzelgänger nicht bei der Universitätskantine halt. In Japan gibt es Karaokeboxen, Barbecue- und Nudelsuppen-Restaurants für die einsamen Seelen (Asienspiegel berichtete).
Das Land hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer veritablen Single-Gesellschaft entwickelt. Heute sind über 60 Prozent der unverheirateten Männer zwischen 18 und 34 Jahren in keiner Beziehung (Asienspiegel berichtete). In 32,4 Prozent aller Haushalte lebt in Japan heute nur eine Person. Entsprechend gross ist die Nachfrage nach Angeboten für die einsamen Seelen.
Karaoke und Nudelsuppe für den Einzelgänger
Hito-Kara, ein Zusammenzug des Wortes «Hitori Karaoke» (dt. Einzelkaraoke), nennt sich die Angewohnheit sich alleine mit Karaoke zu vergnügen. So besitzt die Karaokekette One Kara, die sich auf Hito-Kara spezialisiert hat, bereits sechs Ableger in Tokio. In einem zwei Quadratmeter kleinen, schallgeschützten Zimmer darf der Kunde sich hier die Kehle aus dem Hals singen.
Derweil bietet die Ramen-Restaurankette Ichiran ähnlich wie in den Universitätskantinen von Kyoto und Kobe einzelne Plätze mit seitlichen Trennwänden an. Der Kunde soll sich dabei ganz auf den Geschmack der Nudelsuppe fokussieren, heisst es. 40 Ableger gibt es von Ichiran im ganzen Land. Das spezielle Restaurantkonzept wurde gar patentiert.
Nicht alle Konzepte für Alleingänger sind erfolgreich. Das vor zwei Jahren im Tokioter Stadtteil Ueno eröffnete Barbecue-Restaurant für Einzelkunden (Asienspiegel berichtete) musste wegen mangelnden Erfolgs wieder schliessen. Gewisse Dinge machen in der Gemeinschaft immer noch mehr Spass.
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