Ein kulinarisches Missverständnis
Schweineschnitzel, Spaghetti mit Tomatensauce, Safranreis, ein kleine Salatbeigabe und dies alles auf einem Teller. «Toruko Raisu», zu Deutsch «Türkischer Reis», nennt sich dieses Gericht, das zu den berühmten Lokalspezialitäten in Nagasaki auf der japanischen Südinsel Kyushu gehört.
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Wer diese historische Stadt besucht, kommt an dieser Speise kaum vorbei. Sogar «den Tag des Türkischen Reis» wird in Nagasaki jeweils am 16. September gefeiert. Denn an jenem Tag im Jahre 1890 sank das osmanische Schiff Ertuğrul, das in diplomatischer Mission in Japan war, vor der Küste der japanischen Präfektur Wakayama. Nur 69 Männer der 609 starken Besatzung überlebten das Unglück.
Noch im selben Jahr machten sich zwei japanischen Kriegsschiffe auf, die Überlebenden zurück in ihre Heimat nach Istanbul zu bringen. Die Geschichte hat die freundschaftlichen Beziehungen beider Länder bis heute geprägt.
Der Besuch in Istanbul
Das gegenseitige Verständnis scheint jedoch beim Begriff «Türkischer Reis» halt zu machen, wie die Nagasaki Shimbun berichtet. Dies musste Hiroshi Sakamoto von der All Japan Chefs Association, welche das japanische Essen westlicher Prägung hochhält, bei einem Besuch in Istanbul im vergangenen Mai erfahren.
Dort erzählte Sakamoto dem Vertreter der Vereinigung türkischer Chefköche, Yalçın Manav, von der Existenz des «Türkischen Reis» aus Nagasaki. «Wir essen hier kein Schweinefleisch. Ausserdem servieren wir in der Türkei nie zwei kohlenhydrathaltige Speisen wie Reis und Spaghetti auf einem Teller», soll Manav erstaunt reagiert haben.
«Es ist nicht so, dass es Schweineschnitzel sein muss. Das Gericht kann auch mit Rindfleisch oder Fisch serviert werden», versuchte Sakamoto vergeblich seinen türkischen Kollegen zu überzeugen.
Woher kommt der Name?
Tatsächlich hat der «Türkische Reis» rein gar nichts mit der Türkei zu tun. Das Gericht entstand irgendwann in den 1950er-Jahren in Nagasaki. Über den Ursprung des Namens kursieren verschiedene Theorien.
Einige meinen, dass der servierte Safranreis, der dem türkischen Pilaw-Reisgericht ähnlich komme, als Inspiration für den Namen gedient habe. Eine weitere Geschichte besagt, dass der «Türkische Reis» wegen seiner drei Farben ursprünglich mit dem französischen Wort «Tricolore» beschrieben wurde, das die Japaner als «Torikorôru» aussprechen. Aus dem Zungenbrecher wurde schliesslich «Toruko».
Andere nehmen die Weltkarte zur Hand, um den Ursprung zu erklären. Weil bei diesem Gericht Indien mit Safranreis und Italien mit Spaghetti vertreten seien, haben man sich bei der Namensgebung für die geographische Mitte, also die Türkei entschieden, so eine weitere Theorie.
Die einfachste Erklärung mag wohl sein, dass es in Nagasaki einmal ein Restaurant mit dem Namen «Torikorôru» oder «Toruko» gegeben haben muss, das den «Türkischen Reis» serviert hatte.
Mailand und Neapel
Übrigens nehmen es die Japaner ganz allgemein nicht so genau, wenn es um die Namensgebung westlich angehauchter Speisen geht. So gibt es in der populären japanischen Restaurantkette Saizeriya, die sich auf italienische Mahlzeiten spezialisiert (Asienspiegel berichtete), eine «Mirano fuu doria», eine «Doria nach Mailänder Art».
Dabei ist Doria eine japanische Kochinterpretation des französischen Gratins. Anstatt Kartoffeln wird Reis als Grundzutat verwendet. In Mailand bestellen die Japaner jeweils vergeblich Doria.
Genau so verhält es sich mit «Naporitan». Das Spaghetti-Gericht mit einer Sauce, die aus Tomatenketchup, Zwiebeln, Speck, Pilzen und Tabasco gemacht wird, kennt in Japan jedes Kind. Mit der süditalienischen Stadt Neapel hat dies aber ziemlich wenig zu tun. Stattdessen liegt der Ursprung dieser Speise in Yokohama.
Die Pläne des Chefkochs
Hiroshi Sakamoto hat sich übrigens von den Worten seines türkischen Kollegen nicht entmutigen lassen. Er ist bereits daran, einen «Klub des Türkischen Reises aus Nagasaki» zu gründen.
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