Hayao Miyazaki bezieht Stellung

Hayao Miyazaki sorgt derzeit für viel Schlagzeilen und dies nicht nur wegen seines neusten, ungewöhnlich realistischen Werkes Kaze Tachinu (Asienspiegel berichtete), das seit letztem Samstag die Kassen in den japanischen Kino klingen lässt.
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Aus Sorge vor der aktuellen innenpolitischen Entwicklung, hatte der Gründer von Studio Ghibli noch vor den Oberhauswahlen politisch Stellung bezogen. Seine unmissverständliche Botschaft: Premierminister Shinzo Abe soll die Finger von der Verfassung lassen.
In einer Sonderausgabe des hauseigenen Magazins Neppu beschreibt er ausführlich seine ganz persönliche Haltung zu den politisch kontroversen Themen, die Japan unter einem erstarkten Premierminister Abe in den nächsten Jahren beschäftigen wird.
Die pazifistische Verfassung
Miyazaki selbst ist 1941 in Tokio geboren. Vier Jahre später hatte sein Land den Zweiten Weltkrieg verloren. 1947 trat die von den amerikanischen Besatzern formulierte pazifistische Verfassung in Kraft. Bis heute ist sie unverändert geblieben. Sie ist zur Grundlage eines friedvollen und prosperierenden Nachkriegsjapan geworden.
Darin verpflichtet sich Japan im Artikel 9 auf Krieg als souveränes Recht einer Nation und den Unterhalt einer Armee zu verzichten. Als Konsequenz daraus führt Japan heute keine Armee, sondern sogenannte Selbstverteidigungsstreitkräfte, die aus Berufssoldaten bestehen. Erst eine grosszügige Interpretation der Verfassung hat dieses Konstrukt ermöglicht. Der Kaiser wurde zudem vom göttlichen Staatsoberhaupt zum einfachen Symbol ohne weitere Vollmachten degradiert.
Generationen von konservativen Regierungspolitikern haben in den letzten Jahrzehnten vergeblich versucht, den Artikel 9 zu ändern, den sie als ungerechtfertigte Einschränkung der Souveränität Japans sehen. Zu hoch sind jedoch die Hürden. So braucht es für eine Verfassungsänderung gemäss Artikel 96 in beiden Häusern eine Zweidrittelmehrheit und schliesslich noch eine öffentliches Referendum.
Kritik an Abe
Premierminister Shinzo Abe, dessen Regierungskoalition nun im Unter- wie im Oberhaus eine Mehrheit besitzt (Asienspiegel berichtete), möchte diese Hürden knacken, indem er zunächst den Artikel 96 ändert. Geht es nach seinen Vorstellungen soll künftig eine einfache Mehrheit für eine Verfassungsänderung ausreichen. In einem zweiten Schritt könnte schliesslich der Artikel 9 fallen (Asienspiegel berichtete).
Für Miyazaki wäre dies ein Schreckensszenario: «Ich bin entschieden gegen eine Änderung der Verfassung. Einen Nutzen aus einer tiefen Wahlbeteiligung ziehen und ernsthaft über eine Verfassungsänderung nachzudenken, ist inakzeptabel», schrieb er in Vorwegnahme der siegreichen Oberhauswahlen von Abes LDP, ohne dabei einen Namen zu nennen. Die Idee, zuerst den Artikel 96 zu ändern, sei nichts anderes als «ein Betrug».
Miyazakis Kindheitserinnerungen
Er sei bestürzt über den Mangel an historischen Kenntnissen unter den führenden Politikern Japans. «Menschen, die nicht genügend nachdenken, sollten sich nicht in Verfassungsangelegenheiten einmischen.» In seinem Kommentar beschreibt der Anime-Meister ausführlich seine eigene Kindheit in der schwierigen Nachkriegszeit. Als Junge habe er die Geschichten über die entsetzlichen Taten der japanischen Armee in China gehört. Er habe sich damals für sein Land geschämt.
Zu sagen, dass nicht nur Japan Täter war, sei keine Rechtfertigung. Es sei Zeit, dass sich Japan für seine Kriegsverbrechen nicht nur in aller Form entschuldige, sondern auch den Opfern, wie den «Trostfrauen», eine offizielle Entschädigung zahle. «Gewisse Leute beharren darauf, dass das Vorkriegsjapan nicht schlechtes gemacht habe. Wir haben aber etwas schlechtes gemacht.»
Wegen der historischen Erfahrungen sollte Japan die Selbstverteidigungstruppen nicht zu einer Armee aufwerten, meint Miyazaki weiter. Eine Wehrpflicht lehnt er vehement ab: «Befürworter eines solchen Systems sollen zuerst selbst in den Krieg ziehen.»
Es sei auch an der Zeit, die territorialen Streitigkeiten mit China und Südkorea friedlich zu lösen. Streiten oder vor Gericht gehen, sei in diesem Fall sinnlos. Entweder teile man diese Territorien, oder man verwalte sie gemeinsam, so Miyazakis Vorschlag.
Hürden bleiben hoch
Die Auflage dieser Sonderausgabe von Neppu, in der auch Anime-Regisseur Isao Takahata und Produzent Toshio Suzuki mitgewirkt haben, war in den Buchläden in kürzester Zeit vergriffen. Aus diesem Grund hat Studio Ghibli die komplette Ausgabe online gestellt. Bis 20. August kann diese von dort heruntergeladen werden.
Mit seinem politischen Statement konnte Miyazaki zwar den Wahlsieg der LDP nicht verhindern, dennoch hat die Regierungspartei die notwendige Zweidrittelmehrheit im Oberhaus verpasst. Auch für Abe wird es damit keine einfache, wenn nicht unmögliche Aufgabe den Artikel 96 zu ändern.
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass das Studio Ghibli politisch Stellung bezogen hat. Nach der AKW-Katastrophe von Fukushima stellten sich die Anime-Macher medienwirksam auf die Seite der AKW-Gegner (Asienspiegel berichtete).
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