«Taipeh ist bunt und verspielt»
Das Alpine Museum in Bern zeigt in der Ausstellung City Mountains Bilder und Videos von Elektroschaltkästen aus Taiwan (Asienspiegel berichtete). Im Rahmen der Ausstellung bemalte der taiwanische Maler Jui-Chin Chiu Berner Trafokästen mit schweizerischen Alpenpanoramen.
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June Chi-Jung Chu unterrichtet Museum Studies an der Fu-jen Universität bei Taipeh. Seit drei Jahren befasst sie sich mit den bemalten Stromkästen. Für die Ausstellung in der Schweiz hat sie sich zusammen mit ihren Studenten intensiv mit dem Phänomen auseinandergesetzt.
June Chi-Jung Chu, in Taiwan stehen diese Stromkästen überall, wie werden sie von den Taiwanern selbst angenommen?
Von den Passanten die wir befragten, haben wir fast immer dieselbe Antwort erhalten. Die meisten sagten, ihnen seien diese Schaltkästen gar nicht aufgefallen. Als wir fragten, ob sie ihnen denn gefallen würden, sagten wiederum die meisten «nein».
Fast 90 Prozent der befragten Passanten fanden die Kästen nicht besonders toll. Einzig ein paar Hausfrauen und ältere Menschen sagten, sie fänden sie soweit ganz schön. Womöglich wollten sie die Kästen gegenüber uns nicht kritisieren.
Das klingt sehr ernüchternd. Was halten Sie selbst denn von diesen Stromkästen?
Ehrlich gesagt habe ich diese Stromkästen zuvor auch nicht gross beachtet, und besonders schön fand ich sie auch nicht. Ich fand die Bemalung der Kästen eher langweilig und fragte mich auch, weshalb sich Westler dafür interessierten. Erst als ich begann mich vertieft mit den Kästen und den Bildern zu beschäftigen, erfuhr ich deren Hintergrund und somit auch die Geschichte der Maler.
Viele der Maler haben früher Ölgemälde für den Export nach Europa und Nordamerika produziert, als das Lohnniveau in Taiwan noch sehr tief war. Dann gibt es auch Maler, die zuvor Kinoplakate produziert hatten, als diese noch nicht gedruckt, sondern von Hand gemalt werden mussten.
In den 60er Jahren gab es zum Beispiel im abgelegenen Landkreis Puli in Zentraltaiwan sechs Kinos, da waren mehrere Arbeiter beschäftigt, die jeweils die neuesten Filmplakate malten. Auch Meister Chiu, der für die Ausstellung in der Schweiz Berner Trafokästen bemalte, hat zuvor Ölgemälde, Kinoplakate und später auch noch Unterführungen und Parkhäuser bemalt. Die Stromkästen an sich finde ich auch jetzt noch nicht besonders kreativ, ich denke es ist eher die Geschichte dahinter, die interessant ist.
Weshalb werden die taiwanischen Stromkästen gerade in der Schweiz ausgestellt?
Der Direktor des Alpinen Museums, Beat Hächler, hatte die Idee dazu, als er vor drei Jahren in Taiwan war. Er fand, dass die Malereien auf den Stromkästen Alpenlandschaften aus der Schweiz ähneln würden. Er fand dies ein wenig seltsam und machte mir darauf den Vorschlag, in Bern eine Ausstellung über diese Panorama-Stromkästen zu organisieren, und somit den Schweizern Alpenpanoramen aus dem fernen Taiwan zu zeigen.
Ich habe darauf mit meiner Recherche begonnen und mich mit verschiedenen Malern unterhalten. An der Fu Jen-Universität habe ich schliesslich zusammen mit meinen Studenten dazu ein Projekt gestartet, sie haben mit Fotos und Videofilmen dieses Phänomen porträtiert.
Was halten Sie eigentlich von den Elektroschaltkästen in der Schweiz?
Sie sind ganz grau, nicht? Die einzigen Farbtupfen darauf sind höchstens Graffitis. Ich denke, sie sehen so aus wie die Stromkästen in Europa generell aussehen. Verglichen mit europäischen Städten ist Taipeh bunt und verspielt. Ich denke bemalte Kästen wie in Taiwan würden wohl eher nicht in die Schweiz passen – abgesehen von den Stromkästen, die im Rahmen der Ausstellung in Bern bemalt wurden, denn diese stehen dank der Ausstellung in einem besonderen Kontext.
Grundsätzlich finde ich aber, dass es sich hier um völlig andere Kulturen handelt. Ich könnte mir zum Beispiel auch eine Comic-Figur wie Hello Kitty nicht in Bern oder in Zürich vorstellen – während sie wunderbar nach Taiwan passt. So verhält es sich eben auch mit den bemalten Stromkästen: Vielleicht sind sie nicht besonders schön, aber sie gehören inzwischen zum Stadtbild Taipehs, woanders wären sie womöglich fehl am Platz.
Die Ausstellung City Mountains. Made in Taipei ist bis 18. August im Alpinen Museum der Schweiz zu sehen.
Helvetiaplatz 4, CH-3005 Bern, T +41 31 350 04 40
info@alpinesmuseum.ch, www.alpinesmuseum.ch
Öffnungszeiten: Di-So 10 – 17, Do 10 – 20, Mo geschlossen
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