«Bin ich Japanerin?»
Auch in Japan ist die Globalisierung angekommen. Wurden 1965 noch bescheidene 4156 internationale Ehen geschlossen, waren es 2010 bereits 30’207. Jährlich werden im Land der aufgehenden Sonne 20’000 Babys mit multinationalem Hintergrund geboren. «Hafu», «Halbe», werden diese Personen genannt. Doch wie lebt es sich für diese Menschen in einem Land, das sich seit jeher als eine monoethnische Gesellschaft betrachtet?
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Der Dokumentarfilm Hafu – the Mixed Race Experience of Japan (im Asienspiegel-Shop erhältlich) der Regisseurinnen Megumi Nishikura und Lara Perez Takagi ist dieser Frage nachgegangen. Asienspiegel hat sich mit den beiden Filmemacherinnen über den Film und das Leben als Hafu in Japan unterhalten.
Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, einen Dokumentarfilm über das Thema Hafu zu machen?
Lara Perez Takagi: Die Idee kam bei der Promotion meines ersten Films MADRID x 東京 (Madrid x Tokyo), der sich mit der interkulturellen Erfahrung, den Werten, dem Leben und den Entdeckungen in den beiden Städten befasst, die ich als meine Heimat bezeichne. Dabei kam in mir das Bedürfnis auf, einen Film über die Lebenserfahrungen der Halb-Japanern zu drehen. Zufälligerweise wurde ich zur gleichen Zeit auf einen Artikel in der Japan Times aufmerksam gemacht, der das Hafu Japanese Project in London vorstellte. Neugierig über dessen Foto-Interview-Projekt und den Plänen, damit nach Japan zu kommen, nahm ich mit den Verantwortlichen Kontakt auf. So wurde auch ich ein Teil davon und begann, das Projekt filmisch zu unterstützen. Schliesslich erkundigte ich mich, ob ein Interesse bestehen würde, einen Dokumentarfilm über dieses Thema zu drehen.
Megumi Nishikura: Ich bin in Japan aufgewachsen bevor ich mit 15 Jahren in die USA zog. Mit 26 Jahren kehrte ich nach Japan zurück. Das Thema Hafu hatte ich für mich schon längst verarbeitet, dachte ich zumindest. Aber als ich das erste Mal als Erwachsene in Japan zu leben begann, plagten mich Fragen wie «Bin ich Japanerin?» oder «Gehöre ich hierhin?». In meiner Suche nach Antworten traf ich mich mit Halb-Japanern und stiess dabei auf das Hafu Japanese Project. Dort lernte ich die Gründerinnen Marcia Yumi Lise und Natalie Maya Willer kennen. Hier lernte ich Lara kennen. Gemeinsam begannen wir, Kurzvideos zum Thema Hafu zu produzieren. So entwickelte sich die Idee, einen abendfüllenden Dokumentarfilm zu produzieren.
Wie habt Ihr die Personen, die Ihr im Dokumentarfilm porträtiert, gefunden?
Lara & Megumi: Jede Geschichte wurde anders an uns herangetragen. Unsere thematische Beraterin Marcia Yumi Lise vom Hafu Japanese Project stellte uns David und Fusae vor. Ihre Geschichten waren so fesselnd, dass wir sie unbedingt in unserem Film haben wollten. Sophia fanden wir über ein Online-Inserat, zwei Tage bevor sie zum ersten Mal für einen längeren Aufenthalt nach Japan kam. Wir sprangen um 4 Uhr morgens in unser Auto und fuhren an den Flughafen, wo ihre Geschichte in unserem Dokumentarfilm anfängt. Andere Menschen wie die Familie Oi fanden wir über Vereine und Gesellschaften, die wir gezielt abklapperten. Ed hat uns gleich selbst angesprochen und vorgeschlagen, Teil des Films zu werden.
Was war Euer bewegendstes Erlebnis während des Filmprojekts?
Lara: Während der Produktionsphase hat mir das Porträtieren von Alex Oi und dessen Familie zweifellos am meisten Spass gemacht. Zu ihrer Geschichte habe ich den engsten Bezug. Uns verbindet dieselbe Sprache. Ausserdem hat er in der Schule mit denselben Problem zu kämpfen wie ich damals. Die Interaktion mit Kindern aus einem multikulturellen Hintergrund war eine lustige und zugleich sehr berührende Erfahrung. Nun, da der Film fertig ist, sind es die Reaktionen des Publikums während der Vorführung. Ich liebe es, mir ihre Reaktionen anzuhören. Das treibt mich an, ein nächstes Filmprojekt anzugehen.
Megumi: Auch mir haben die Filmarbeiten mit der Familie Oi viel Freude bereitet. Mit Alex› Problemen können sich viele identifizieren. Ich bin sehr dankbar, dass uns die Familie einen solch intimen Zugang gewährt hat. Über Davids Geschichte hatte ich die Möglichkeit, nach Ghana zu gehen. Es war zwar ein kurzer Aufenthalt, aber trotzdem erhielt ich durch seine Familie einen sehr profunden Einblick in das Alltagsleben in Ghana. Es war ein grossartiges Erlebnis.
Wie lange dauerte die Produktion von Hafu? Wie habt Ihr den Film finanziert?
Lara & Megumi: Drei Jahre haben wir daran gearbeitet. In den ersten Monaten finanzierten wir alles aus der eigenen Tasche. Als wir dann das erste Filmmaterial und die Interviews abgedreht hatten, beschafften wir über persönliche organisierte Veranstaltungen für Freunde, Familie und Interessierte weitere Geldmittel. Über die Crowdfunding-Plattform Indiegogo.com gelang es uns 24’029 US-Dollar zu sammeln. Das waren weit mehr als die ursprünglich angepeilten 10’000 US-Dollar. Ausserdem half uns die Japan Foundation einen Grossteil der Produktion zu decken. Für die spätere Post-Produktionsphase bekamen wir vom Centre of Asian American Media (CAAM) weitere Unterstützung.
Wie hat sich das Projekt in den drei Jahren entwickelt?
Lara & Megumi: Ursprünglich wollten wir den Film in einem Jahr fertig stellen, aber nachdem wir 150 Stunden Rohmaterial zusammen hatten, wurde uns schnell klar, dass mit dem Schneiden und der Verflechtung der Geschichten noch viel Arbeit auf uns warten würde. Wir mussten einige unserer ursprünglichen Ideen mehrmals ändern. In einem Jahr passiert viel. Die Porträtierten ändern ihre Meinung oder treffen Entscheidungen, die so nicht geplant waren. Wir haben unzählige Tage damit verbracht, über verschiedene Ansätze nachzudenken, damit Geschichte und Film funktionieren.
Wie reagieren die Leute in Japan auf den Film?
Lara & Megumi: Sowohl in Japan wie auch ausserhalb sind die Reaktionen sehr positiv. Trotz einiger trauriger Tatsachen, die unsere Protagonisten durchleben müssen, haben wir einen positiven Film gemacht, der die Leute inspirieren soll. Egal ob Hafu oder nicht, jeder Zuschauer findet auf seine eigene Art und Weise einen Bezug zum Film.
Ihr selbst habt auch einen multikulturellen Hintergrund. Wie seid Ihr aufgewachsen?
Lara: Ich bin in Tokio geboren, habe eine japanische Mutter und einen spanischen Vater aus Madrid. Nur ein Jahr später zogen wir für vier Jahre in die USA, daraufhin folgten zwei Jahre in Kanada. Meine erste Sprache war Japanisch, danach kam Englisch. Spanisch konnte ich immer gut verstehen, aber das Sprechen fiel mir schwer. Erst nachdem wir von Kanada nach Spanien zogen, wo ich schliesslich 13 Jahre verbrachte, wurde mein Spanisch fliessend. In dieser Zeit musste ich an meinen Japanischfähigkeiten arbeiten, indem ich jeden Samstag die Japanischschule besuchte und alle zwei Jahre den Sommer in Japan verbrachte. Bevor ich die Highschool beendete, ging ich eineinhalb Jahr nach Australien. Mein Universitätsstudium führte mich zurück nach Spanien. Nach fünf Jahren hatte ich einen Bachelor in Media Studies. Danach ging es nach für das Mastersstudium in Multimedia nach Japan. Nach dem Abschluss blieb ich für weitere vier Jahre in Tokio und nun lebe ich seit einem Jahr in Singapur.
Megumi: Ich bin als Tochter eines japanischen Vaters und einer irisch-amerikanischen Mutter in Tokio geboren. Weil man Vater Journalist war, zogen wir für mehrere Jahre nach Manila und nach Peking. Mit 15 ging ich in die USA an die Highschool und später an die Universität. Mit 26 Jahren kehrte ich nach Japan zurück, wo ich mein Studium fortsetzte. Ich bin sehr dankbar über meine multikulturelle Lebenserfahrung. Sie hat mich die Vielfalt dieser Welt schätzen gelehrt.
Was ist Eure persönliche Erfahrung als Hafu in Japan?
Lara: Als ich als Erwachsene nach Japan ging, wollte ich mich in die japanische Gesellschaft integrieren, meine Sprachfähigkeiten verbessern und für längere Zeit dort leben. Es gab jedoch Dinge, an die ich mich bis heute nicht gewöhnen kann. So halten sich viele stur an die Regeln und zeigen wenig Flexibilität. Da sind auch das hierarchische System oder die verschiedenen Ebenen des Respekts. Oder wenn man automatisch auf Englisch angesprochen wird, obwohl man Japanisch sprechen kann. Und die ständige Frage, weshalb ich die Sprache beherrsche und mit Stäbchen essen könne. Es kam sogar vor, dass ich das Foto meiner Mutter herhalten musste, nur um zu beweisen, dass ich japanische Wurzeln habe. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe Japan, aber ich würde mir wünschen, auf eine verständnisvollere und besser vorbereitete Gesellschaft zu treffen, für die Hafu oder Ausländer nichts Ungewöhnliches ist.
Megumi: Da ich die grösste Zeit meiner Kindheit in Japan verbracht habe, sehe ich das Land als meine Heimat an. Wegen meines Aussehens oder meines Einflusses durch andere Kulturen sehen das aber viele Japaner anders. In ihren Augen sind Hafu noch immer «mezurashii», eine Seltenheit. Ich glaube aber, dass sich diese Haltung durch die wachsende Zahl an Hafu-Kindern ändern wird. So hatte ich einen persönlichen Antrieb, diesen Dokumentarfilm zu machen. Ich hoffe, dass sich dadurch ein verstärktes Bewusstsein für die Lebenssituation der Hafu entwickelt.
Wie geht Ihr persönlich mit dem Begriff Hafu um?
Megumi: Als ich mit 26 zurück nach Japan kam, hörte ich zum ersten Mal den alternativen Begriff «Double». «Ja! Das bin ich! Ich bin nicht halb, sondern doppelt!» dachte ich mir sofort. Für einige Jahre stellte ich mich stets als «Double» vor. Dies bedurfte aber immer einer zusätzlichen Erklärung, weil der Begriff vielen nicht gängig war. Irgendwann kam ich zum Punkt, an dem ich mich ganz wohl fühlte, Halb-Japanerin zu sein und das Bedürfnis verschwand, mich als «Double» bestätigen zu müssen. Ich bin, wer ich bin, eine eigenständige Person. Nicht mehr und nicht weniger. Inzwischen habe ich keine Mühe mehr, mich selbst als «Hafu» zu bezeichnen. Am Ende geht es doch darum, so genannt zu werden, wie es einem am besten passt. Wenn jemand die Bezeichnung «Double» oder Gemischt bevorzugt, dann halte ich mich gerne daran. Alle, die in der Produktion des Films involviert waren, konnten übrigens mit dem Begriff «Hafu» ganz gut umgehen.
Lara: Der Begriff «Hafu» hat mich nie gestört. Im Gegenteil, ich war ganz glücklich, als ich erfuhr, dass es diese Beschreibung überhaupt gab. Auch wenn es für englische Muttersprachler negativ besetzt ist, habe ich keine Mühe, «Hafu» zu sagen. Auch auf Englisch sage ich, dass ich Halb-Spanierin, Halb-Japanerin bin.
Japan betrachtet sich als monoethnische Gesellschaft. Hat sich diesbezüglich in den letzten Jahren etwas geändert?
Megumi: 2008 hat Japan die Urbevölkerung von Hokkaido, die Ainu, offiziell anerkannt. Als ich letztes Jahr am Doshisha Women’s College einen Vortrag vor einem japanischen Publikum hielt, hat die Hälfte der Zuhörer, auf meine Frage, ob jemand eine Person kennt, die in einer internationalen Beziehung lebt, die Hand gehoben. Es ändert sich etwas, wenn auch langsam. Wir hoffen, dass unser Film ein Bewusstsein für diesen Wandel fördert und sich die vorherrschende Ansicht, Japan sei monoethnisch, zu zerstreuen beginnt.
Lara: Unser Film fokussiert sich auf die multiethnische Lebenserfahrung im heutigen Japan, in der Hoffnung, die gängigen Stereotype zu eliminieren und die Gesellschaft für die kommenden Jahre vorzubereiten.
Was sollte sich in der japanische Gesellschaft bezüglich der Hafu-Thematik ändern?
Lara: Das Bildungssystem muss sich in den Lebensumständen der Kinder anpassen, die nicht nur in einer Kultur aufwachsen. Es sollte mehr Integration geben anstatt Separation. Es kann nicht sein, dass sich alles um «ausländisch» versus «inländisch» dreht.
Megumi: Die Definition, was ein Japaner ausmacht, muss sich ändern. Die heutige Auslegung ist zu starr und beinhaltet nur selten die Hafus. Weil wir nicht genug Japanisch aussehen oder durch andere Kulturen beeinflusst wurden, werden wir zuallererst als Ausländer angesehen. Wir haben wie alle Menschen den Wunsch, nach unserem Innern beurteilt zu werden und nicht nach dem Äusseren oder der Etikette, die einem die Gesellschaft anheftet. Alleine unsere Erscheinung stellt die existierenden Grenzen der Nationalität, Rasse und Ethnie in Frage. Das ist der Segen des Multikulturellen. Meine Hoffnung ist, dass diese Grenzen langsam verwischt werden, nicht nur in Japan, sondern auch im Rest der Welt.
Wie sehen Eure Pläne für den Dokumentarfilm Hafu aus?
Lara & Megumi: Am 5. Oktober wird Hafu in Tokio ins Kino kommen, im Uplink Theatre in Shibuya. Hoffentlich werden dadurch andere Kinos in Japan aufmerksam. Es ist uns aber auch ein Anliegen, dass Hafu auch in den ländlichen Regionen Japans gezeigt wird. Gleichzeitig führen wir den Film im Ausland vor, beginnend mit Singapur am 14. August. Unsere Europa-Tour beginnen wir am 25. August in Zürich im Alternativkino, es folgen Madrid, Barcelona, Berlin, London, Plymouth, Budapest, Wien und Rom fürs Erste. Der Film wird auch in Nordamerika gezeigt. In Vancouver, San Diego und Honolulu planen wir Vorführungen. Ausserdem wäre es schön, den Film in Südamerika und Ozeanien zeigen zu dürfen.
Was sind Eure Wünsche für Hafu?
Lara & Megumi: Ich wünsche mir, dass so viele Menschen wie möglich den Film sehen können. Wir möchten ein Bewusstsein für die Vielfalt Japans schaffen. Was bedeutet es, Japaner zu sein? Mit dieser Frage möchten wir einen Dialog starten. Für die Menschen ausserhalb Japans hoffen wir, dass Hafu ein Anstoss wird, über die multiethnische Erfahrung im eigenen Land nachzudenken. Wir leben in einer Welt, die so vielfältig ist wie noch nie zuvor. Wir müssen beginnen, uns selbst zu fragen, welche Veränderungen notwendig sind, damit ein Kind mit multikulturellem Hintergrund selbstbewusst aufwachsen kann und nicht mit der Angst leben muss, anders zu sein. Wir wären glücklich, wenn unsere Film ein kleiner Beitrag dazu leistet.
Der Dokumentarfilm Hafu von Laraz Perez Takagi und Megumi Nishikura ist im Asienspiegel-Shop als DVD erhältlich.
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