Ein Film gegen das Vergessen

Kyo­ko Miya­ke lebt seit eini­gen Jah­ren als preis­ge­krön­te Doku­men­tar­fil­me­rin in Gross­bri­tan­ni­en. Ihr Hei­mat Japan war lan­ge weit weg, bis die der Tsu­na­mi vom 11. März 2011 kam und alles ver­än­der­te. In Tokio auf­ge­wach­sen, ver­brach­te sie als Kind die Som­mer­fe­ri­en in der Klein­stadt Namie in der Prä­fek­tur Fuku­shi­ma bei ihrer Verwandtschaft.

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Namie war ihr Idyll, weit weg vom urba­nen Gross­stadt­le­ben. Hier war die Welt noch in Ord­nung – bis die AKW-Kata­stro­phe von Fuku­shi­ma kam. Namie wur­de zur Sperr­zo­ne erklärt, die Bevöl­ke­rung der gesam­ten Stadt eva­ku­iert. So auch Kyo­ko Miyakes Tan­te Kuni­ko und ihr Ehe­mann. Auf einen Schlag war die geschäfts­tüch­ti­ge Frau zum Nichts­tun ver­dammt, ihre Bäcke­rei sowie ihre Hoch­zeits- und Bestat­tungs­un­ter­neh­men für immer geschlossen.

Wäh­rend die Welt die AKW-Kata­stro­phe schon lan­ge nur noch aus der mora­li­schen und wis­sen­schaft­li­chen Vogel­per­spek­ti­ve betrach­tet oder schlicht­weg ver­ges­sen hat, hat sich Kyo­ko Miya­ke auf­ge­macht, ein inti­mes Por­trät über ihre Tan­te aus Namie zu machen. Miya­ke gibt den Direkt­be­trof­fe­nen mit dem Doku­men­tar­film Sur­vi­ving the Tsu­na­mi – My Ato­mic Aunt (Ver­leih: First Hand Films) eine Stimme.

Im verlassenen Haus von Tante Kuniko.
Im ver­las­se­nen Haus von Tan­te Kuni­ko. Foto: PD

«Besorgt, dass Fuku­shi­ma ver­ges­sen geht»

Fast drei Jah­re nach dem AKW-Unfall ist Fuku­shi­ma weit weg in den Gedan­ken der Japa­ner, gera­de in Tokio geht das Leben sei­nen gewohn­ten Gang. An die­ser gleich­gül­ti­gen Hal­tung stört sich Fil­me­ma­che­rin Miya­ke: «Es hat mich wütend gemacht, als Tokio bei der Kan­di­da­tur für die Olym­pi­schen Spie­le erklär­te, die Stadt sei 250 Kilo­me­ter ent­fernt und damit sicher», erklärt sie im Gespräch mit Asienspiegel.

Gleich­zei­tig wis­sen die Eva­ku­ier­ten der Sperr­zo­ne bis heu­te nicht, wie ihre Zukunft aus­sieht. «Vie­le von ihnen hof­fen noch immer auf eine teil­wei­se Rück­kehr in ein paar Jah­ren. Aber es gibt noch so vie­le Pro­ble­me zu lösen», sagt Miya­ke. «Die Men­schen aus Namie sind besorgt, dass Fuku­shi­ma ver­ges­sen geht. Die Zukunft sieht für sie düs­ter aus.»

So ist ihr Film auch ein Bei­trag gegen das Ver­ges­sen. Die Eva­ku­ier­ten erhal­ten für die Zuschau­er ein Gesicht. Da ist die Tan­te Kuni­ko, die ihr Leben nicht unweit der Sperr­zo­ne fort­setzt und im War­te­mo­dus ver­harrt. Da sind die älte­ren Bewoh­ner, die ihn pro­vi­so­ri­schen Behau­sun­gen auf die Rück­kehr hof­fen. Da ist ein alter Freund der Fami­lie, der sei­ne Ver­zweif­lung im Alko­hol ertränkt. Da sind auch Kuni­kos Kin­der, die sich anders­wo eine neue Zukunft auf­ge­baut haben. 

Tan­te Kuni­ko gibt sich äus­ser­lich stark. Ja, sie kann sogar noch lachen und sie ist nicht die Ein­zi­ge. «Selbst in den dun­kels­ten Tagen ihres Lebens behal­ten sie ihren Sinn für Humor. Das hat mich am stärks­ten beein­druckt», sagt Miya­ke. Sur­vi­ving the Tsu­na­mi – My Ato­mic Aunt geht jedoch tie­fer. Es ist eine Rei­se in die Ver­gan­gen­heit der Stadt.

Tante Kuniko in ihrer Bäckerei in Namie.
Tan­te Kuni­ko in ihrer Bäcke­rei in Namie. Foto: PD

Der nuklea­re Traum

Die Fil­me­ma­che­rin arbei­tet in ihrem Doku­men­tar­film die Geschich­te von Namie auf und den eins­ti­gen nuklea­ren Traum der Bewoh­ner. Für Jahr­zehn­te waren die Atom­kraft­wer­ke in der wirt­schaft­li­chen armen Regi­on das Ver­spre­chen für die Zukunft. 

Betrei­ber TEP­CO und Toho­ku Power waren der Garant für Wohl­stand. Neben dem AKW bau­te er den Klein­städ­ten eine gan­ze Infra­struk­tur. Die Bewoh­ner lies­sen sich vom nuklea­ren Ver­spre­chen lei­ten. Mit altem Video­ma­te­ri­al der Stadt und von TEP­CO macht Miya­ke die­se Ver­gan­gen­heit fil­misch ein­drück­lich erlebbar.

«Für die Regi­on schien es damals die ein­zi­ge Opti­on zu sein», erklärt Miya­ke. Zwei­fel­te denn nie­mand an den Ver­spre­chen von TEP­CO? Die Fil­me­ma­che­rin sieht es es dif­fe­ren­ziert: «Was TEP­CO und Toho­ku Power damals ver­spra­chen war nicht unbe­dingt falsch. Dass sie vie­le Din­ge ganz ein­fach nicht anspra­chen, das war das Problem.»

In der Sperrzone: Die Stadt Namie.
In der Sperr­zo­ne: Die Stadt Namie. Foto: PD

Die Begeg­nung zwi­schen TEP­CO und den Bewohnern

Die kom­pli­zier­ten Ver­stri­ckun­gen zwi­schen AKW-Betrei­ber und Bewoh­nern wer­den plötz­lich offen­sicht­lich. Kann man wütend auf jeman­den sein, von dem man jahr­zehn­te­lang pro­fi­tiert hat? Kann man sich von jeman­dem hin­ter­gan­gen füh­len, der stets gross­zü­gig die Brief­ta­sche zück­te? Kyo­ko Miya­ke zeigt am Bei­spiel ihrer eige­nen Tan­te, wie schwie­rig die Ver­ar­bei­tung der Tra­gö­die ist.

Die Begeg­nung zwi­schen TEP­CO-Ver­tre­tern und den Bewoh­nern von Namie am ers­ten Gedenk­tag wird denn auch zur inten­sivs­ten Sze­ne des Doku­men­tar­films. Fast hilf­los ent­schul­di­gen sich die Män­ner. Was bleibt, ist eine unan­ge­neh­me Ruhe im Saal. «Ich fra­ge mich heu­te noch, was in den Köp­fen die­ser Män­ner, die sich unab­läs­sig ver­neig­ten, vor­ging», blickt Miya­ke auf die­sen Moment zurück.

Sur­vi­ving the Tsu­na­mi – My Ato­mic Aunt ist der intims­te Bei­trag über die fata­len Aus­wir­kun­gen der AKW-Kata­stro­phe von Fuku­shi­ma. Hier ste­hen die Direkt­be­trof­fe­nen mit ihrer Wut, ihren Sor­gen und Gedan­ken im Mit­tel­punkt. Es ist gleich­zei­tig ein fein­füh­li­ger Doku­men­tar­film, der Raum für Hoff­nung lässt. Denn Tan­te Kuni­ko lässt sich nicht so ein­fach unterkriegen.

Sur­vi­ving the Tsu­na­mi – My Ato­mic Aunt fei­ert am 26. Janu­ar um 17.30 Uhr im Alter­na­tiv­ki­no Schwei­zer Pre­mie­re. Tickets sind über die­sen Link erhält­lich.

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