Ein Anime über verlorene Inseln
Shikotan ist eine kleine Insel nordöstlich von Hokkaido. Gerade mal 2000 Menschen leben auf diesem kargen Eiland, das von der Fischerei lebt. Die Bewohner sind heute allesamt Russen. Das vor 70 Jahren noch ganz anders. Bis 1945 siedelten hier noch ausschliesslich Japaner an, rund 1455 waren es an der Zahl. Shikotan war ein Teil des japanischen Kaiserreichs, wie auch die direkten Nachbarinseln Habomai, Kunashiri und Etorofu.
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In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs eroberten die Sowjettruppen die gesamte Kurilen-Kette, inklusive die vier Inseln, welche Japan heute als die Nördlichen Territorien bezeichnet. Die gesamte Region wurde Teil der Sowjetunion. Über 17’000 Japaner mussten Shikotan, Habomai, Kunashiri und Etorofu verlassen, die meisten Männer kamen in sibirische Kriegsgefangenschaft.
Der von Warner Brother’s Japan produzierte Anime Giovanni’s Island, der in den japanischen Kinos angelaufen ist, setzt sich mit dieser historischen Thematik auseinander. Der alte Japaner Junpei blickt dabei auf seine Kindheit in Shikotan und die Besetzung durch die Sowjetunion zurück. Er und sein Bruder Kanta freunden sich in dieser Zeit mit dem russischen Mädchen Tanya an.
Als ihr Vater schliesslich nach Sibirien ins Gefangenenlager gebracht wird, wird ihr Leben endgültig auf den Kopf gestellt. Inspiriert von Kenji Miyazawas Roman Ginga Tetsudo no Yoru (engl. Night on the Galactic Railroad) machen sie sich auf die Suche nach ihrem Vater.
Wem gehören die Inseln?
Regisseur Mizuho Nishikubo sowie die Drehbuchschreiber Shigemichi Sugita und Yoshiki Sakurai wollten mit Giovanni’s Island einen vielschichtigen Anime schaffen, der mit Hilfe von Berichten ehemaliger Bewohner von Shikotan die damalige Lebenswelt wiedergibt, die Zeit der Invasion nacherzählt und gleichzeitig auch den bis heute wenig bekannten Austausch zwischen den russischen und japanischen Kindern in dieser Zeit thematisiert.
Die Geschichte der Nördlichen Territorien wird damit in Form eines abendfüllenden Kinospielfilms aufgearbeitet. Der Konflikt um diese Inseln ist der Grund, weshalb Japan und Russland bis heute keinen Friedensvertrag geschlossen haben. Japan pocht auf die Rückgabe aller vier Inseln nördlich von Hokkaido.
Man habe zwar im Friedensvertrag auf die Kurilen-Inseln verzichtet, Shikotan, Habomai, Etorofu und Kunashiri seien aber schon immer ein fester Bestandteil Hokkaidos und damit Japans gewesen und hätten nach japanischer Lesart nie zu den Kurilen gehört, meint Tokio. Man beruft sich dabei auf den Vertrag von Shimoda 1855. Damals legten die beiden Nationen fest, dass alle Inseln nördlich von Etorofu zu Russland gehörten.
Unterschiedliche Sichtweisen
Für Russland gehören Etorofu und Kunashiri derweil klar zu den Kurilen-Inseln. Dies unterstrich vor drei Jahren der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew mit seinem Besuch auf Kunashiri (Asienspiegel berichtete).
In der sowjetisch-japanischen Erklärung von 1956, die zu einer Normalisierung der Beziehung der beiden Länder führte, hiess es einzig, dass an einer Lösung des Problems um die Inseln Habomai und Shikotan gearbeitet werde. Von den anderen zwei, grösseren Inseln Kunashiri und Etorofu war nie die Rede. Für Moskau bieten die Inseln zudem reichhaltig Fischgründe. Auch geostrategisch sind die Inseln durchaus von Bedeutung.
Russland hat sich jedoch in anderen territorialen Streitigkeiten in den letzten Jahren konziliant gezeigt. Mit China wurde 2004 ein Grenzkonflikt gelöst, indem eine Flussinsel (Yinlong-Insel) zurückgegeben und eine weitere (Heixiazi-Insel) zur Hälfte geteilt wurde. Mit Norwegen wurde in einem Grenzstreit in der Barentssee ähnlich verfahren.
Auch im Fall der Nördlichen Territorien stand man 1956 schon vor einer ähnlichen Lösung. Auf Basis der sowjetisch-japanischen Erklärung unterbreitete Moskau in informellen Gesprächen das Angebot die beiden Inselgruppen Habomai und Shikotan zurückzugeben. Japan pocht jedoch bis heute auf die Rückgabe aller 4 Inseln. In jener Zeit spielte zudem die Sorge mit, dass die USA bei einer solchen Lösung das damals besetzte Okinawa ebenfalls einst aufteilen würden.
Die Meinung des Drehbuchautors
«Giovanni’s Island»-Drehbuchautor Shigemichi Sugita vertritt wie die Mehrheit der Japaner die offizielle Sicht Tokios: «Die Nördlichen Territorien gehören Japan», wie er gegenüber der Sankei Shimbun erklärt. Gerade für die ehemaligen Bewohner, die heute im hohen Alter sind, wünscht er sich eine Lösung in diesem Territorialkonflikt.
Giovanni’s Island sei aber keine Abrechnung mit den Russen. «Die Invasion war etwas Unschönes, aber ich wollte die Russen auf keinen Fall als schlechte Menschen darstellen. Ich möchte, dass auch sie den Film schauen.» Denn nur mit den gegenseitigen Austausch sei heute eine Lösung möglich. Die Freundschaft der Kinder beider Nationen würden für diese Botschaft stehen.
In Japan feierte Giovanni’s Island am 22. Februar Premiere in den Kinos. Ab März soll der Anime auch an Festivals in den USA gezeigt werden.
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