Eine Geschichte über das Leben
Tomoaki Sunada war während 40 Jahren ein hart arbeitender japanischer Salaryman und liebevoller Familienvater. Und gerade als er in den verdienten Ruhestand tritt, erfährt er von seinem Arzt die Hiobsbotschaft: Krebs im letzten Stadium. Was macht man, wenn man nur noch wenige Zeit zu leben hat? Tomoaki Sunada macht sich mit seiner letzten Energie auf, das letzte Kapitel seines Lebens zu schreiben.
Wenn Sie diesen Artikel gratis lesen, bezahlen andere dafür. Mit einem Abo sichern Sie die Zukunft dieses Japan-Blogs.
Death of a Japanese Salesman (jap. Titel: Ending Note) erzählt die Geschichte eines Mannes, der trotz seines unweigerlichen Endes den Humor und Lebensmut nie verliert und einer Familie, die stets an seiner Seite ist. Es ist ein Dokumentarfilm, der unter die Haut geht, einem zum Lachen und Weinen bringt und letztendlich das Wichtigste im Leben in Erinnerung ruft. Es ist unmöglich, sich nicht mit dieser Familiengeschichte zu identifizieren. Denn es ist eine Geschichte, die uns allen einmal widerfährt. Es ist ein Film über das Leben.
Realisiert hat diesen berührenden Dokumentarfilm die Tochter von Tomoaki Sunada. Das Erstlingswerk der heute 35-jährigen Filmemacherin Mami Sunada entwickelte sich in Japan zu einem Überraschungserfolg. Am Sonntag, 16. März, wird der Dokumentarfilm erstmals in der Schweiz gezeigt, im Alternativkino in Zürich. Asienspiegel hat zu diesem Anlass mit der Regisseurin gesprochen. Im Interview spricht sie über die Entstehungsgeschichte, den Einfluss von Produzent Kore-eda und ihre neue Doku über Anime-Meister Hayao Miyazaki.
Ab welchem Zeitpunkt haben Sie sich entschieden, aus der Geschichte Ihres Vater und Ihrer Familie einen Dokumentarfilm zu machen?
Mami Sunada: Seit meiner Kindheit filme ich meine Familie. Als mein Vater jedoch krank wurde, konnte ich nicht mehr auf diese Weise weitermachen. Weil ich nicht wollte, dass mein Vater dachte, ich würde ihn «zur Erinnerung» filmisch festhalten. Entsprechend legte ich die Kamera beiseite. Dennoch beschäftigte mich die Frage, ob es nicht doch besser wäre, meinen Vater ein letztes Mal mit der Kamera zu begleiten. Einige Monate, nachdem ich erfahren hatte, dass er an Krebs erkrankt war, sprach ich mit meinen Freunden darüber. «Du musst ihn nicht unbedingt filmen, aber womöglich wirst du es bereuen», sagten sie mir. Ich war hin und her gerissen. Schliesslich sagte mir mein Gefühl, dass ich meinen Vater unbedingt filmisch begleiten wollte. Ich wollte dies aber auf keinen Fall als Beruf verstanden wissen. Daher fasste ich einen persönlichen Entschluss: Wenn mein Vater den Anschein machte, nicht gefilmt werden zu wollen, oder ich ganz einfach nicht filmen wollte, egal wie gut die Szene sein mochte, dann würde ich die Kamera weglegen. Und so begann ich. Da es sich um meine eigene Familie handelte, wusste ich wahrscheinlich am besten, in welchen Momenten ich filmen durfte und wo nicht. Nach dem Tod meines Vaters trug ich den Schmerz des Verlust in mir. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass ich mit dem Videomaterial etwas Wichtiges festgehalten hatte. Um diese gegensätzlichen Empfindungen zu verarbeiten, musste ich dieses Material bearbeiten. Daran hatte ich keinen Zweifel.
Wie hat Ihre Familie auf den Film reagiert?
Gleich nach dem Entschluss, den Film ins Kino zu bringen, waren die Zweifel natürlich da. «Weshalb wird aus dem Familienvideo ein Film? Und sollen die Leute etwa dafür bezahlen?» fragte sich meine Familie. Diese Haltung hat sich bis heute nicht geändert. Ich spürte auf jeden Fall eine gewisse Unsicherheit. Meine persönliche Überraschung kam, als ich an einer Kinofassade neben einem Filmplakat mit Brad Pitt plötzlich ein Filmplakat mit meinem Vater erblickte. Aber als ich den Film das erste Mal meiner Familie vorführte, kamen die Erinnerungen an meinen Vater und die schönen Zeiten mit ihm zurück. Es zauberte allen ein Lächeln ins Gesicht.
Es handelt sich um einen sehr persönlichen und intimen Dokumentarfilm. Wie sind Sie während des Filmes und der Post-Produktionen emotional damit umgegangen?
Während des Filmens konnte ich intuitiv zwischen mir als Familienmitglied und mir als Kamerafrau umschalten, so als würde man das Licht des Zimmers ein- und ausschalten. Mit anderen Worten, es existierten ganz natürlich die Kamerafrau und die Tochter in mir. Wie schon erwähnt, hatte ich mir die strikte Regel auferlegt, auf keinen Fall zu filmen, wenn ich annehmen konnte, dass mein Vater dies zu jenem Zeitpunkt nicht wollte oder ich selbst keine Lust dazu hatte. So konnte ich innere Konflikte verhindern. «Wie kann ich als Tochter meinen Vater begleiten?» Dieser Gedanke hatte stets allerersten Vorrang. Als mein Vater starb und ich mit dem Bearbeitung des Filmmaterials begann, hatte ich zwar noch nicht die Absicht, dies vielen Menschen zu zeigen, aber ich begann schon da automatisch den Film aus der Perspektive einer Drittperson wahrzunehmen. Wenn ich mir überlegen musste, wie eine andere Person diese doch sehr privaten Aufnahmen auffassen würde, war es für mich überaus wichtig, einen emotionalen Abstand zu den gefilmten Personen zu gewinnen und möglichst objektiv die Familie zu porträtieren. Ich wollte nicht, dass die Zuschauer den Dokumentarfilm als eine Geschichte über mich und meinem Vater auffassen, sondern viel mehr als eine universelle Geschichte. Damit der Zuschauer eine Nähe zum Protagonisten entwickelt und sich den Film auch zu Ende schaut, lag die Priorität, ähnlich wie bei einer fiktiven Geschichte, im detaillierten Aufbau der Erzählung.
Mir gefällt, dass Sie als Tochter die Erzählstimme des Vaters übernehmen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Anfänglich beauftragte ich einen bekannten Schauspieler mit der Erzählung. Da ich den Film so gut wie möglich von der Privatsphäre absetzen und eine universelle Geschichte daraus machen wollte, war mir nur schon der Gedanke, die Off-Stimme selbst zu lesen, zuwider. Aber aus Gesundheitsgründen wurde es für den Schauspieler schwierig, die Rolle anzunehmen und so kam es, dass ich diesen Part übernahm. Auch der Produzent von Death of a Japanese Salesman, Regisseur Hirokazu Kore-eda, hatte mir diese Idee nahegelegt. Mir persönlich fiel die Entscheidung jedoch bis zum Ende schwer. Nun sehe ich aber auch das Gute daran. Indem ich als Frau und Tochter die Stimme meines Vaters übernehme, nimmt der Film von Anfang an für den Zuschauer einen fiktiven Charakter ein. Es spricht die Stimme eines Verstorbenen. Ausserdem konnte ich mit diesem Erzählstil dem Film einen ruhigen Humor verleihen. Es ist auch gut, dass ich mit diesem Entscheid meinen Verwandten gegenüber bis zum Ende die volle Verantwortung übernommen habe, denn immerhin ist der Dokumentarfilm eine Geschichte über meine eigene Familie.
Wie sehen Sie den Film heute?
Da ich mir den Film nicht mehr anschaue, weiss ich nicht wirklich, wie er sich heute für mich anfühlen würde. Sicher ist, dass sich meine jetzige Gefühlswelt von der Zeit, als der Film in Japan in den Kinos anlief, komplett unterscheidet. Es kommt vor, dass ich noch zu Talkshows eingeladen werden. Wenn ich dann aber eine Szene aus dem Film zu hören bekommen, halte ich mir die Ohren zu. Ich denke, dass ich inzwischen die Empfindungen meiner Familie angenommen habe, zugleich schmerzen die Erinnerungen an damals noch immer. Das überrascht mich selbst.
Kultregisseur Hirokazu Kore-eda hat den Film produziert. Wie nahm er Notiz von Ihrem Projekt?
Ich war einige Jahre Regieassistentin von Hirokazu Kore-eda. Nachdem mein Vater aber verstorben war, legte ich die Arbeit für eine gewisse Zeit nieder. Gleichzeitig begann ich mit der Bearbeitung des Videomaterials und nach einer Weile zeigte ich Kore-eda einen zweistündigen Rohschnitt. «Das ist ein Film», waren seine ersten Worte. Persönlich war ich gar noch nicht so weit, um nur schon an das Wort Film zu denken. Das war ein spezieller Moment. Danach ging alles schnell. Regisseur Kore-eda bemühte sich um Investoren, suchte einen Verleiher und begleitete mich bis zur Veröffentlichung des Films.
Sie haben einen Dokumentarfilm über den Anime-Grossmeister Hayao Miyazaki gemacht. Hat er sich Death of a Japanese Salesman angeschaut? Wie hat dieses Projekt begonnen?
Hayao Miyazaki hat meinen Film noch nicht gesehen. Ich möchte auch nicht, dass er ihn sich anschaut. Und auch wenn er eine freie Minute für den Film haben sollte, möchte ich, dass er diese Zeit lieber für etwas anderes nutzt. Den Auftrag für den Film über Studio Ghibli (Hayao Miyazakis Studio) kam ursprünglich von Disney Japan. Die beiden Produktionshäuser pflegen in Japan eine enge Beziehung. Disney wollte einen Dokumentarfilm über Ghibli als Teil eines DVD-Sets verkaufen. Dafür hat mich Disney beauftragt. Beim Porträtieren von Hayao Miyazaki und Ghibli kam in mir aber der Wunsch auf, einen längeren Dokumentarfilm fürs Kino daraus zu machen. Und so änderte ich ganz einfach die Planung während der Filmarbeiten. Übrigens hat Hayao Miyazaki das selbe Geburtsjahr wie mein Vater.
Möchten Sie etwas unserem Publikum sagen?
Vielen Dank, dass sie sich den Film anschauen! Dieser Film ist die Geschichte einer unbekannten Familie aus einem kleinen Inselstaat, aber egal in welchem Land man sich den Film anschaut, man entdeckt zuallererst die Gemeinsamkeiten. «Ein Ende ist gleichzeitig auch ein Anfang», pflegte mein Vater zu sagen. Wenn sich diese Botschaft mit meinem Film ein wenig verbreitet, macht mich das bereits glücklich.
Ohne Abonnenten kein Asienspiegel
Februar 2024 – Wenn Sie diesen Artikel gratis lesen, bezahlen andere dafür. Mit einem Abo sichern Sie die Zukunft dieses Japan-Blogs, der über 5000 kostenlos zugängliche Artikel bietet.
VORTEILE JAHRES-ABO
Jahres-Abonnenten stehe ich für Fragen zur Verfügung. Klicken Sie hier, um mehr darüber zu erfahren.
- Zahlungsmittel: Master, Visa, PayPal, Apple Pay, Google Pay
- Für TWINT bitte via Asienspiegel Shop bezahlen
- Für Banküberweisung hier klicken