Nach 48 Jah­ren frei

Iwao Hakamada verlässt das Gefängnis.
Iwao Haka­ma­da ver­lässt das Gefäng­nis. Screen­shot: ANN News

Iwao Haka­ma­da hält wohl einen der trau­rigs­ten Rekor­de. Über vier Jahr­zehn­te lang sass er in der Todes­zel­le wegen eines Ver­bre­chens (Asi­en­spie­gel berich­te­te), das er wohl nie began­gen hat. Nun ist er frei, sein Fall wird neu auf­ge­rollt. Haka­ma­da ist inzwi­schen 78 Jah­re alt.

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Es war das Jahr 1968 als Haka­ma­da wegen vier­fa­chen Mor­des zum Tode ver­ur­teilt wur­de. Als Ange­stell­ter einer Miso-Fabrik soll er bei einem Ein­bruch im Juni 1966 einen Vor­ge­setz­ten der Fir­ma, des­sen Frau und zwei Kin­der getö­tet und anschlies­send deren Haus in Brand gesetzt haben.

Der Ver­dacht rich­te­te sich gegen Haka­ma­da, der vor sei­ner Tätig­keit in der Miso-Fabrik Pro­fi-Boxer gewe­sen war. Im August 1966 wur­de er ver­haf­tet. Die Ermitt­ler prä­sen­tier­ten nach Ver­hö­ren 45 schrift­li­che Geständ­nis­se von Hakamada.

Die Klei­der im Miso-Tank

Als Haupt­be­weis dien­ten ein mit Blut befleck­tes T-Shirt, das ein Jahr nach der Tat in einem Miso-Tank in der Fabrik zusam­men mit vier wei­te­ren ver­schmutz­ten Klei­dungs­stü­cken gefun­den wur­den. Haka­ma­da soll die­se Klei­der wäh­rend des Mor­des getra­gen haben, lau­te­te die Argu­men­ta­ti­on der Staats­an­walt­schaft. Sowohl der Täter wie auch die Ermor­de­ten hät­ten dar­auf ihre Blut­spu­ren hin­ter­las­sen, hiess es damals. Man berief sich auf die Blut­grup­pe der Per­so­nen, ein DNA-Ver­fah­ren gab es damals noch nicht.

Wäh­rend des Pro­zes­ses zog Haka­ma­da jedoch sei­ne Geständ­nis­se zurück, da die Ermitt­ler die­se wäh­rend eines 20-tägi­gen Ver­hörs mit Andro­hun­gen und Schlä­gen erzwun­gen hät­ten. Das Gericht gab ihm recht und ver­warf 44 Geständ­nis­se. Ein ein­zi­ges behielt jedoch sei­ne Gültigkeit.

Für das Gericht reich­te die­ses Geständ­nis sowie ein mit Blut beschmutz­tes T-Shirt aus, um Haka­ma­da 1968 zum Tode zu ver­ur­tei­len. 1980 wur­de das Urteil vom Obers­ten Gericht bestä­tigt, obwohl es berech­tig­te Zwei­fel am Ver­fah­ren gab.

Nur schon die gefun­de­nen Hosen waren zu klein für Haka­ma­da und aus­ser­dem sei­en die Blut­spu­ren auf den Klei­dern zu frisch gewe­sen, so die Kri­ti­ker. Sogar einer der drei Rich­ter in die­sem Fall bezeich­ne­te das Urteil als unge­recht, die Ver­hör­me­tho­den sei­en scho­ckie­rend. Er sei von der Unschuld Haka­ma­das über­zeugt. Die ande­ren zwei Rich­ter hät­ten ihn damals überstimmt.

Hakamada während des Prozesses 1968.
Haka­ma­da wäh­rend des Pro­zes­ses 1968.

Das DNA-Ver­fah­ren

Die Ver­tei­di­gung ver­such­te den Fall noch­mals auf­zu­rol­len. Ihre Beru­fungs­an­trag wur­de jedoch 1994 abge­wie­sen. 2004 wur­de das Urteil noch ein­mal bestä­tigt. Ein ers­tes DNA-Ana­ly­se­ver­fah­ren schei­ter­te, da die Tech­nik noch zu wenig aus­ge­reift war. Haka­ma­das Schwes­ter Hide­ko gab den­noch nicht auf.

Sie stell­te noch­mals einen Beru­fungs­an­trag. Die­ses Mal wur­de eine DNA-Ana­ly­se durch zwei von der Staats­an­walt­schaft und der Ver­tei­di­gung emp­foh­le­nen Exper­ten zuge­las­sen, wie die Nik­kei Shim­bun berich­tet. Die bei­den sind nach einer ein­jäh­ri­gen Unter­su­chung zum Schluss gekom­men, dass die Blut­fle­cken auf den Klei­dungs­stü­cken dem Ver­ur­teil­ten Haka­ma­da nicht zuge­ord­net wer­den kön­nen. Damit fällt ein zen­tra­les Beweis­stück aus dem Urteil von 1966 weg.

Laut der Sank­ei Shim­bun besagt zudem das wis­sen­schaft­li­che Gut­ach­ten der Ver­tei­di­gung, dass die wei­te­ren Blut­spu­ren auf den Klei­dungs­stü­cken nicht von den vier Ermor­de­ten stammen.

Der Ent­scheid des Gerichts

Das Gericht hat nach die­sen Ergeb­nis­sen ange­ord­net, den Pro­zess neu auf­zu­rol­len, wie die Yomi­uri Shim­bun berich­tet. Die Todes­stra­fe wur­de aus­ge­setzt. Haka­ma­da kam nach 48 Jah­ren in Gefan­gen­schaft frei, im hohen Alter von 78 Jah­ren. Eine wei­te­re Unter­su­chungs­haft bis zum neu­en Ver­fah­ren wür­de gegen jeg­li­che Gerech­tig­keit ver­stos­sen, erklär­te das Gericht sei­nen Entscheid.

Man müs­se davon aus­ge­hen, dass das dama­li­ge Urteil auf der Grund­la­ge erfun­de­ner Beweis­mit­tel gefällt wur­de. Die Klei­der sei­en wohl weder dem Ver­bre­chen noch Haka­ma­da zuzu­ord­nen. «Es gibt berech­tig­te Zwei­fel dar­an, dass Haka­ma­da die­se Tat ver­übt hat», liess das Gericht wei­ter verlauten.

Die Staats­an­walt­schaft zwei­felt der­weil an der Ver­läss­lich­keit des DNA-Tests und hat Gegen­schrit­te ange­kün­digt. Ver­tei­di­gung, Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Poli­ti­ker haben ein­dring­lich gebe­ten, den Ent­scheid des Gerichts nicht anzu­fech­ten. Haka­ma­da sei schon viel zu lan­ge ein­ge­sperrt gewe­sen. Die Iso­la­ti­ons­haft und die stän­di­ge Unge­wiss­heit dar­über, wann das Todes­ur­teil voll­streckt wird, haben Haka­ma­da psy­chisch stark zugesetzt.

Fünf Mal wur­de in Japan ein bereits abge­schlos­se­nes Todes­ur­teil wegen neu­er Bewei­se wie­der auf­ge­rollt. In vier Fäl­len wur­de der Ange­klag­te frei­ge­spro­chen. Auch für Haka­ma­da ste­hen die Chan­cen auf einen end­gül­ti­gen Frei­spruch gemäss der heu­ti­gen Beweis­la­ge und des weg­wei­sen­den Vor­ge­hens des Gerichts gut. Über 40 Jah­re muss­te sei­ne Schwes­ter Hide­ko dafür kämpfen.

Kri­tik am Justizsystem

Der Fall Haka­ma­da wirft ein schlech­tes Licht auf das japa­ni­sche Jus­tiz­sys­tem. Seit Jah­ren kri­ti­sie­ren Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen die Metho­den der Poli­zei und Gerich­te. Fast alle poli­zei­li­chen Ver­hö­re enden in Japan mit einem Geständ­nis, so dass davon aus­ge­gan­gen wer­den muss, dass immer wie­der Ver­ur­teil­te unschul­dig bestraft werden.

Ein 2009 ein­ge­führ­tes Lai­en­rich­ter­sys­tem hat die­sem Pro­blem kaum Abhil­fe schaf­fen kön­nen. Die Ver­ur­tei­lungs­ra­te in Ver­bre­chens­pro­zes­sen bleibt wei­ter­hin über­durch­schnitt­lich hoch (Asi­en­spie­gel berich­te­te). Dabei hät­te die Ein­füh­rung von Lai­en­rich­tern das japa­ni­sche Jus­tiz­sys­tem trans­pa­ren­ter gestal­ten sol­len, um den Ange­klag­ten einen fai­ren Pro­zess zu ermöglichen.

Trotz allem hält Japan an der Todes­stra­fe fest. In der Bevöl­ke­rung fin­det sie gar gros­sen Rück­halt (Asi­en­spie­gel berich­te­te).

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