Gemietete Verwandte und Freunde
(«Rent a Family Inc.» wird am 27. April im Alternativkino gezeigt. Mehr Infos hier.)
Hochzeiten kosten in Japan ein kleines Vermögen. Durchschnittlich 25’000 Euro gibt ein Paar alleine für die Zeremonie und das Bankett aus. Es gilt nicht nur die Familie, sondern auch möglichst viele Freunde, Mitarbeiter und Vorgesetzte einzuladen. Reden werden geschwungen und Lieder gesungen für das frisch vermählte Paar.
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Was aber, wenn ein solcher Freundeskreis für die eigene Hochzeit fehlt? In diesen Fällen kann man in Japan auf eine grössere Auswahl an Agenturen zurückgreifen, welche falsche Freunde, Verwandte und Mitarbeiter vermieten. Die sogenannten Stand-ins sorgen dafür, dass die perfekte Fassade gewahrt wird. Sie geben sich als Onkel, Freunde oder Vorgesetzte aus, schwingen Reden oder dienen ganz einfach als unauffällige Statisten für das Fest.
Auch der 44-jährige Ryuichi Ichinokawa ist ein professioneller Stand-in. Seine Agentur mit dem Namen Hagemashi-Tai («Wir wollen Dich aufheitern») vermietet um die 70 Personen zwischen 20 und 60 Jahren. Sie springen als Onkel, Vater, Tante, Freunde, Kollegen oder Geschäftspartner an Hochzeiten, Beerdigungen, bei Ehestreitigkeiten oder in Geschäftsverhandlungen ein. Die Liste ihrer Einsätze ist unendlich lang. Diskretion ist das höchste Gebot in dieser Branche.
Ein dokumentarischer Einblick in die Branche
Trotzdem ist es dem preisgekrönten dänischen Filmemacher Kaspar Astrup Schröder («The Invention of Dr. Nakamats», «Playground) mit dem Dokumentarfilm «Rent a Family Inc.» gelungen, einen einzigartigen Einblick in Ryuichi Ichinokawas ungewöhnlichen Berufsalltag zu erhalten. Dabei wird klar, dass auch hinter Ichinokawas Fassade alles ein bisschen komplizierter und geheimnisvoller ist. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Angestellter eines Lieferservices. Seine Agentur, die er als Nebengeschäft führt, ist gleichzeitig sein grösstes Geheimnis. Denn niemand in seiner Familie weiss davon. Für Ichinokawa wird sein mysteriöses Leben zur Zerreissprobe.
«Rent a Family Inc.» hat 2013 am Zürich Film Festival den Preis für den besten Dokumentarfilm gewonnen und wurde weltweit an über 15 Filmfestivals gezeigt. Am 27. April wird der Film im Alternativkino in Zürich und Anfang Mai im Kino Kunstmuseum in Bern gezeigt. Asienspiegel hat mit Regisseur Kaspar Astrup Schröder über «Rent a Family Inc.» gesprochen.
Wie sind Sie auf den Beruf des Stand-in gestossen?
Ich war für meinen vorherigen Dokumentarfilm «The Invention of Dr. Nakamats» auf dem Weg nach Japan, als ich einen Artikel über diese Branche las. Es gab damals einige wenige Agenturen, bei denen man falsche Verwandte für Hochzeiten mieten konnte. Ich begann über das Thema zu recherchieren und stiess dabei auf Ryuichis Firma, welche alles noch ein bisschen weitertrieb, indem sie Verwandte für alle möglichen Situationen anbot.
Es handelt sich um einen Job, bei dem viel Diskretion gefragt ist. Wie ist es Ihnen trotzdem gelungen, das Vertrauen von Ichinokawa zu gewinnen?
Es dauerte lange, bis ich Ryuichi überzeugen konnte. Als wir uns aber besser kennenlernten und ich sein Vertrauen gewinnen konnte, öffnete er sich mir gegenüber. Das hatte auch damit zu tun, dass er kaum mit jemandem über seinen Beruf und Sorgen sprechen konnte. Ich wurde quasi zu seinem Therapeuten. Unsere Freundschaft war ihm sicher eine Hilfe. Wir einigten uns auch, dass der Dokumentarfilm nicht in Japan gezeigt würde, da er seine Identität möglichst geheim behalten wollte. Nun aber ist der Film so erfolgreich, dass auch Ryuichi ein Interesse an einer Veröffentlichung in Japan hat. Es steht diesbezüglich aber noch nichts fest.
Was war der schwierigste Teil während der Produktion?
Ich wollte, dass auch seine Frau am Dokumentarfilm teilnimmt. Anfänglich war sie sehr darum bemüht, möglichst wenig von sich preiszugeben. Am Ende war sie dann doch dabei und hoffentlich trägt der Film dazu bei, dass sich ihre Beziehung weiter verbessert.
Welche Personen greifen am meisten auf Ryuichis Dienstleistung zurück?
Vielen Kunden sind aus der oberen Mittelklasse. In dieser Schicht spielt die Familienehre eine wichtige Rolle. Hier ist «Tatemae» (der öffentliche Gefühlsausdruck nach aussen) noch immer viel stärker als «Honne» (das echte, innere Empfinden).
Was halten Sie persönlich vom Beruf des Stand-ins? Würde dies auch in Europa funktionieren? Oder ist es etwas typisch Japanisches?
In Dänemark hätte es diese Branche schwierig. Wir sind sehr darauf bedacht, möglichst ehrlich und offen zu sein. In Japan hingegen spielt es ein wichtige Rolle, wie man öffentlich wahrgenommen wird. Es gilt auch möglichst, Konflikte zu vermeiden. In Dänemark, wie auch in vielen anderen europäischen Ländern, können Konflikte etwas Gutes haben. In Japan aber auf keinen Fall. Ich weiss, dass es ähnliche Branchen in China, Griechenland, Indien und anderen Ländern gibt. Ich habe aber meine Zweifel, ob die auch so gut laufen wie in Japan.
Ein Blick auf Ryuichis Website zeigt, dass er immer noch sehr aktiv im Geschäft ist. Selbst der Sieg am Zürich Film Festival ist erwähnt. Wie geht es Ryuichi und seiner Familie?
Wir sind immer noch in Kontakt. Seinem Geschäft läuft es offenbar so gut wie noch nie und er scheint auch glücklicher mit sich zu sein.
Sie haben ein Talent, die speziellen Charakter der japanischen Gesellschaft zu porträtieren. Woher kommt Ihr Interesse an Japan?
Das fing schon vor langer Zeit an. Ich war in den letzten zwölf Jahren sehr oft in Japan. Ich habe damit einen Einblick in die Gesellschaft erhalten und viel über die psychologische und soziale Seite des Landes gelernt. Es ist wohl eine grosse Hilfe, dass ich so gerne in Japan bin. Es ist eine faszinierende Kultur und es gibt noch so viele Geschichten zu entdecken. Ich arbeite bereits an einem neuen Projekt in Japan, das 2015 fertig werden sollte.
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