«Patrio­ten-Enter­tain­ment»

Der japa­ni­sche Pre­mier­mi­nis­ter Shin­zo Abe ist zu Trä­nen gerührt. Er kommt gera­de aus dem Kino und tritt, just aus dem dunk­len Kino­saal, vor die ver­sam­mel­te Pres­se. Er will sei­ne Begeis­te­rung über den Film aus­drü­cken, den er soeben gese­hen hat. Es geht um «The Eter­nal Zero» (Eien no zero), einen Film, der gröss­ten­teils im Zwei­ten Welt­krieg spielt.

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Beson­ders berührt hat den Pre­mier bei sei­nem Kino­be­such im Dezem­ber die letz­te Sze­ne. In die­ser über­win­det Prot­ago­nist Kyu­zo Miya­be sei­ne «Feig­heit», steigt in ein Mitsu­bi­shi-A6M-Zero-Jagd­flug­zeug und stirbt «hel­den­haft» den Tod eines Kami­ka­ze-Pilo­ten. Das Ende eines Dra­mas, in dem das Opfer für das eige­ne Vater­land über zwei Stun­den lang gefei­ert wird. Nicht nur Abe mag sol­che Filme.

Über 56 Mil­lio­nen Euro eingespielt

Er ist einer von sechs Mil­lio­nen Men­schen in Japan, die den Film gese­hen haben. Acht Wochen lang führ­te «The Eter­nal Zero» seit der Ver­öf­fent­li­chung Ende Dezem­ber letz­ten Jah­res die Kino­charts an. Umge­rech­net über 56 Mil­lio­nen Euro hat der Film sei­ner Pro­duk­ti­ons­fir­ma Toho bis März 2014 an den Kino­kas­sen ein­ge­bracht. Der Film von Regis­seur Taka­shi Yama­za­ki basiert auf dem gleich­na­mi­gen Roman von Nao­ki Hya­ku­ta. Auch die Buch­vor­la­ge ist ein Hit. Mehr als drei Mil­lio­nen Mal ging allein die Taschen­buch­aus­ga­be seit 2009 über den Ladentisch.

Doch nicht alle sind mit der Bot­schaft von Buch und Film ein­ver­stan­den. Pro­mi­nen­tes­ter Kri­ti­ker ist Ani­me-Grös­se Hayao Miya­za­ki. «Das ist eine fik­ti­ve Kriegs­ge­schich­te vol­ler Lügen», sag­te er im Sep­tem­ber gegen­über dem japa­ni­schen Pop-Maga­zin CUT, «wenn jemand dazu auf­for­dert, Stolz auf die Kami­ka­ze zu sein, macht mich das wütend.»

Abe stört die­se Kri­tik offen­bar nicht. Er berief Autor Hya­ku­ta im ver­gan­ge­nen Novem­ber in den Vor­stand der öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk­an­stalt NHK, des japa­ni­schen Pen­dants zur ARD. Dort kann er nun auf die Pro­gramm­in­hal­te ein­wir­ken. Hya­ku­ta wünscht sich eine Sen­dung, die die Bevöl­ke­rung objek­tiv über die Insel­strei­tig­kei­ten Japans mit Chi­na und Süd­ko­rea sowie die Hin­ter­grün­de des Yas­uku­ni-Schreins auf­klärt. «Die meis­ten Japa­ner wis­sen nicht ein­mal die grund­le­gends­ten Din­ge über die­se Sachen», sag­te er der Asahi Shim­bun im Februar.

Japan und Chi­na befin­den sich seit Jahr­zehn­ten in einem diplo­ma­ti­schen Kon­flikt über die Zuge­hö­rig­keit der Sen­ka­ku-Inseln, die bei­de Län­der für sich bean­spru­chen. Mit Süd­ko­rea strei­tet sich die japa­ni­sche Regie­rung um die Insel Takeshi­ma (Asi­en­spie­gel berich­te­te). Der Yas­uku­ni-Schrein wie­der­um ist eine Gedenk­stät­te, bei der füh­ren­de japa­ni­sche Poli­ti­ker – selbst der Pre­mier – den Gefal­le­nen des Zwei­ten Welt­kriegs geden­ken. Unter den ein­ge­schrein­ten See­len befin­den sich auch Kriegs­ver­bre­cher, die in den Tokio­ter Pro­zes­sen von 1946 zum Tode ver­ur­teilt wur­den. Aus die­sem Grund wer­den alle Schrein­be­su­che japa­ni­scher Amts­trä­ger von den Nach­barn scharf kri­ti­siert (Asi­en­spie­gel berich­te­te).

Patrio­ten bei NHK

Dass Hya­ku­tas Wunsch nach Objek­ti­vi­tät bei der Bericht­erstat­tung über die­se The­men nichts mit ech­ter Neu­tra­li­tät zu tun hat, liegt auf der Hand. Bei der ver­gan­ge­nen Gou­ver­neurs­wahl in Tokio unter­stütz­te er den rechts­kon­ser­va­ti­ven Toshio Tamo­ga­mi, ein ehe­ma­li­ger Stabs­chef der japa­ni­schen Luft­waf­fe, und erklär­te vor 300 Zuschau­ern, dass es das Nan­king-Mas­sa­ker, bei dem das japa­ni­sche Mili­tär chi­ne­si­sche Sol­da­ten und Zivi­lis­ten, dar­un­ter auch vie­le Frau­en und Kin­der, miss­han­del­te und ermor­de­te, nie gege­ben habe. Aus­ser­dem will er nicht glau­ben, dass die soge­nann­ten Trost­frau­en – Mäd­chen und Frau­en, die im Zwei­ten Welt­krieg in Bor­del­len der japa­ni­schen Armee als Pro­sti­tu­ier­te arbei­ten muss­ten – tat­säch­lich zum Anschaf­fen gezwun­gen wurden.

Allein ist der Autor mit die­ser Ein­stel­lung nicht. Der neue NHK-Vor­stands­vor­sit­zen­de Kats­u­to Momii, eben­falls ein Günst­ling Abes, fiel gleich bei sei­ner ers­ten Pres­se­kon­fe­renz im Janu­ar durch sei­ne rechts­kon­ser­va­ti­ven Ansich­ten auf, als er das Leid der Trost­frau­en rela­ti­vier­te (Asi­en­spie­gel berich­te­te). «So etwas hat es doch im Krieg in jedem Land gege­ben», sag­te er.

Doch nicht nur beim staat­li­chen Fern­se­hen sind geschichts­re­vi­sio­nis­ti­sche Aus­sa­gen salon­fä­hig. Seit den 1990er-Jah­ren häu­fen sich auch im pri­va­ten Sek­tor rechts­po­pu­lis­ti­sche Publi­ka­tio­nen. In vie­len japa­ni­schen Buch­lä­den fin­det sich ein Regal mit Titeln wie «Zum Glück bin ich nicht in Chi­na gebo­ren», «Sie­ben Metho­den, um sich nicht von Chi­ne­sen über den Tisch zie­hen zu las­sen» oder eben auch «The Eter­nal Zero». 

Vie­le gros­se Unter­neh­men wie etwa die Fuji­s­ank­ei Com­mu­ni­ca­ti­ons Group – das gröss­te Medi­en­haus in Japan – betei­li­gen sich an dem Geschäft. Nur ein Bei­spiel ist die Toch­ter­fir­ma Fuso­sha, die 2001 Schul­bü­cher auf den Markt brach­te, in denen unter ande­rem die Kolo­ni­al­herr­schaft Japans in Korea unter den Tisch fällt. Das Lehr­ma­te­ri­al war der Aus­lö­ser für eine mit­tel­schwe­re Diplo­ma­tie­kri­se zwi­schen Japan und sei­nen Nachbarn.

Auch in zahl­rei­chen monat­lich erschei­nen­den Maga­zi­nen sind die Ansich­ten von Hya­ku­ta und dem neu­en NHK-Chef wie­der zu fin­den. Das Poli­tik­ma­ga­zin Sapio vom Sho­gaku­kan Ver­lag bei­spiels­wei­se berich­te­te im letz­ten August, dass die Trost­frau­en ein anbe­tungs­wür­di­ges Leben gehabt hät­ten, das über­wie­gend aus Schmin­ken und Ein­kau­fen bestand. Die Auf­la­ge der Zeit­schrift über­steigt 120’000 Exemplare.

«Was kannst du für dein Land tun»

Der links­ge­rich­te­te Autor Ira Ishi­da bezeich­net sol­che Publi­ka­tio­nen in der Asahi Shim­bun als «Patrio­ten-Enter­tain­ment». Er hält nichts von Büchern, deren zen­tra­le Aus­sa­ge lau­tet: «Was kannst du für dein Land tun.» Viel zu vie­le gebe es inzwi­schen davon.

Doch Hya­ku­ta hält sich weder für unge­sund patrio­tisch noch für rechts. Er wol­le ledig­lich der Jugend zei­gen, wie der Zwei­te Welt­krieg war. Die jun­ge Gene­ra­ti­on habe schliess­lich kei­ne Chan­ce mehr ihre Gross­el­tern selbst danach zu fragen.

Szene aus dem Film «The Eternal Zero».
Sze­ne aus dem Film «The Eter­nal Zero». Screen­shot: youtube/​Far East Films
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