Die moralische Mitschuld
Die Taiwaner trauten ihren Augen nicht als sie den blutverschmierten U-Bahn-Waggon in den Nachrichten sahen. Ein junger Mann hatte zuvor wahllos auf Fahrgäste in Taipehs MRT eingestochen. In jenem öffentlichen Nahverkehrs-Sytem auf das die Stadt zu Recht stolz ist. Sauber, schnell und sicher transportiert die Taipeher Metro die Bewohner des Grossraums Taipeh.
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Seit dem ersten Amok-Lauf in Taipehs U- und Hochbahnnetz, patrouillieren Polizisten die Wagen und die Haltestellen. Eine Sonderheit der Polizei ist sogar mit Maschinenpistolen unterwegs.
Im nächsten Leben ein guter Mensch
In den Medien und im Internet schlägt dem mutmasslichen Täter derweil der blanke Hass entgegen. Nicht nur in Artikeln wird die Todesstrafe gefordert (etwa hier), auch Online-Kommentatoren wünschen dem 21-jährigen den Tod. Eine extra dafür eingerichtete Facebook-Seite hat rund 160’000 Likes.
Auch die Eltern des Amokläufers stehen im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses. Auf eine erste schriftliche Entschuldigung folgte eine Woche nach der schrecklichen Tat der öffentliche Auftritt: Vater und Mutter knien auf dem Boden und bitten um Vergebung, umringt von Polizeibeamten und Journalisten.
«Wir haben ihn 21 Jahre lang erzogen, irgendetwas werden wir übersehen haben», wird der Vater von der Liberty Times zitiert. Er hoffe auf eine rasche Verurteilung, so der Vater weiter. Wenn der Sohn zum Tode verurteilt werde, könne er im nächsten Leben hoffentlich ein guter Mensch sein.
Trauma für Familie des Täters
Was in der Schweiz oder Deutschland schwer vorstellbar ist, scheint in Taiwans konfuzianisch geprägter Gesellschaft selbstverständlich: Die Eltern tragen in den Augen vieler zumindest moralisch eine Mitschuld – selbst wenn der Täter volljährig ist. In einer Umfrage sagte knapp die Hälfte der Befragten, sie seien mit der Entschuldigung der Eltern zufrieden, berichtet die China Times. Rund ein Drittel der Befragten fanden gar, dass die Eltern zu lange mit der öffentlichen Entschuldigung gewartet hätten.
Die Familie könnte mehrere Traumata durchleben, auch wegen der öffentlichen Kritik an ihrer Erziehung, zitiert die Taipei Times Psychiater Yang Tsung-tsai. Yang verweist dabei auf einen Fall aus Japan. Im Akihabara Massaker kamen 2008 sieben Menschen ums Leben.
Die Familie des Täters wurde mit den Anschuldigungen der japanischen Gesellschaft nicht fertig. Die Mutter musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, der Vater kündigte seinen Job und zog sich zurück. Der Bruder des Täters begann später gar Selbstmord.
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