«Zen, Power!»
Meine erste Reise nach Japan führte mich gleich in einen Zen-Tempel. Ein 30-tägiger Aufenthalt im Jotokuji-Tempel ausserhalb von Kyoto sollte es werden. Meditations Retreat ist im Trend, wobei der Begriff Retreat (Rückzug) etwas irreführend sein mag. In einem Tempel wird man zwar von den Verantwortungen des Alltags für eine Zeit lang entlastet, man konfrontiert sich aber andererseits sehr direkt mit seinem Innenleben.
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Das ist eine grosse Herausforderung, besonders weil wir uns gewohnt sind, unsere Aufmerksamkeit nach aussen zu richten. Als Kind lernen wir, dass es darum geht, «etwas zu erreichen». Die Zukunft bestimmt unser Leben. Beim Meditieren macht man genau das Gegenteil. Man richtet sich nach Innen, in die Gegenwart. Dort, wo das Leben stattfindet.
Meditieren im Sitzen und Gehen
Mein Tag im Tempel bestand aus vier Tätigkeiten: Meditieren, Sutren rezitieren, essen und arbeiten. Morgens um fünf beginnt man mit dem Rezitieren der Sutren. Anfangs hatte ich mühe mitzuhalten, zumal ich keine Ahnung hatte, was die Wörter bedeuten oder wie man sie auszusprechen hatte. Manche Sutren waren auf Pali andere auf Chinesisch und wieder andere Japanisch. Ich gewöhnte mich daran. Nach einer Woche hatte ich es lieben gelernt.
Die Bedeutung der Wörter ist sekundär und ausser für gelehrte Buddhisten ohnehin schwer verständlich. Es geht beim Rezitieren vor allem um den Klang, den Rhythmus der Wörter, die Atmung und die Konzentration. Dann wird meditiert: 2 mal 25 Minuten Zazen (sitzendes Meditieren) und dazwischen 5 Minuten kinhin (gehendes Meditieren).
Auf die korrekte Position beim Sitzen wird im Zen viel Wert gelegt. Der Rücken muss aufrecht sein, der Geist wach und aufmerksam, die Atmung tief und kraftvoll. Die Augen sind offen und nach unten gerichtet. Dem Roshi (Zen-Meister) lag es besonders am Herzen, mir klar zu machen, dass beim Zazen nicht einfach still herumgesessen und friedlich vor sich hin geträumt wird: «Zen, Power!» waren seine unmissverständlichen Worte (und alles was sein Englisch hergab).
Essen in Lichtgeschwindigkeit
Das Essen im Tempel war so schlicht wie der Alltag: Gedämpfter Reis, etwas Gemüse und Miso-Suppe. Das Verhalten beim Essen war hingegen kompliziert. Alles ist bis ins kleinste Detail geregelt und zeitlich abgestimmt. Es hat etwas Militärisches. In den ersten Tagen war es zum Verrückt werden.
Die Geschwindigkeit, mit der gegessen wird, ist eindrücklich. Japaner im allgemeinen Essen schon ziemlich schnell, japanische Zen-Mönche essen in Lichtgeschwindigkeit. Das demonstrative Hinlegen der Stäbchen sobald die Schälchen leer sind erinnert an das Drücken der Stoppuhr beim Zeitschach. Man muss mithalten oder darauf verzichten, nachfüllen zu dürfen. Es braucht volle Konzentration beim Essen, es herrscht absolute Stille. Es wird weder geschmatzt noch geschlürft wie das sonst in Japan so üblich ist.
Unkraut pflücken im Garten
«Ein Tag ohne Arbeit ist ein Tag ohne Essen» lautet ein bekanntes Zen-Sprichwort. Der typische chinesische Pragmatismus scheint hier durch, die Japaner haben ihn perfektioniert. Am meisten arbeitet man im Garten. Die Zen-Kultur verehrt die Natur sowie das Gewöhnliche, sie besticht durch eine elegante Einfachheit, die Ruhe ausstrahlt. Dementsprechend sind die Zen-Gärten gestaltet. Man nimmt zwar Einfluss auf die Natur, aber versucht dies möglichst im Einklang mit ihr, auf eine spontane Art zu tun. Auch wenn ich meistens nur am Unkraut pflücken war, bereitete mir diese Arbeit besonders Spass. Auch hier gilt es präsent zu bleiben, eigentlich meditiert man weiter.
Die ersten Tage im Tempel waren eine Herausforderung. Kein Internet, kein Handy, keine Musik, keine Filme, keine Ablenkung. Darauf reagierte mein Verstand erst mal mit einer Art Panik. Ich fühlte mich wie ein Junkie auf Entzug. Mit der Zeit beruhigte sich mein Verstand und meine Wahrnehmung wurde klarer. Mir wurde bewusst, dass sich das Innenleben nicht nur auf Emotionen und Gedanken beschränkt. Hören, sehen, ja alle Sinneswahrnehmungen finden im Innern statt.
Die Erleichterung
Am Ende meines Aufenthalts fühle ich mich ausgeruht, so als wäre ich 100 Jahre im Urlaub gewesen. Ich bin zwar nicht erleuchtet, aber dafür erleichtert. Was einem das Leben schwer macht, ist das Ego. Es muss dauernd gepflegt werden. Aber wir sind nicht unsere Gedanken (…das war eigentlich schon eine kleine Erleuchtung). Je mehr man die Identifikation mit dem Ego aufbricht, desto friedlicher fühlt man sich. Der grosse Zen-Meister Muso Soseki hatte es so formuliert: «Weder Gewinn noch Verlust existieren in der Natur. Es gibt sie nur in Gedanken.»
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