Die Blutgruppe und der Charakter
Was in Europa das Horoskop ist, ist in Japan die Blutgruppe. Die Frage, ob man A, B, 0 oder AB sei, gehört im Inselstaat zu den gewöhnlichen Smalltalk-Themen. In den Augen der Japaner sagen diese Buchstaben alles über die Persönlichkeit eines Menschen aus (Asienspiegel berichtete).
Wenn Sie diesen Artikel gratis lesen, bezahlen andere dafür. Mit einem Abo sichern Sie die Zukunft dieses Japan-Blogs.
Weil die Blutgruppe A in Japan am häufigsten vorkommt, werden ihre Vertreter – kaum überraschend – als die Durchschnittstypen angesehen. Bodenständig, organisiert, aufopfernd, aber auch anspruchsvoll, etwas verkrampft und sorgenvoll sollen sie sein. Als A-Typ kann man kaum etwas falsch machen, mit dem Nachteil, dass man gerne als etwas langweilig abgestempelt wird.
Diskriminiert wegen der Blutgruppe
Die Ausgeglichenen, Vernünftigen, die gleichzeitig unentschlossen und vergesslich sein sollen, sind offenbar typisch Charaktereigenschaften für Menschen mit der Blutgruppe AB. 0 wird derweil als selbstbewusst, optimistisch, gleichzeitig aber egozentrisch und kalt beschrieben.
In einem hierarchisch strukturierten Land, wo die Gruppe über dem Individuum steht, werden besonders die B-Typen kritisch beäugt. Denn diese sollen gemäss der allgemeinen Anschauung leidenschaftlich, kreativ, stark und gleichzeitig egoistisch, launisch sowie unverantwortlich sein. Das bedeutet aber nicht, dass einem deswegen der Erfolg verwehrt bleibt. So hat beispielsweise Premierminister Shinzo Abe die Blutgruppe B.
Diese Ansichten sind in der Gesellschaft mittlerweile so verankert, dass Personen aufgrund ihrer Blutgruppe diskriminiert werden können. Burahara nennt sich das, was einem Zusammenzug des Ausdruckes Blood Type Harassment entspricht. Gleichzeitig lassen sich mit der Blutgruppe einfach und schmerzlos Verfehlungen begründen, für Politiker und Wirtschaftsführer ist sie die ideale Ausrede. «Schauen sie nicht mich, schauen sie meine Blutgruppe an», heisst es dann.
Alles Unsinn
Die Blutgruppe hat sich entsprechend zu einem Millionengeschäft entwickelt. Bücher und Produkte, die sich ganz dieser Thematik widmen, sind zu Verkaufsschlagern geworden. Kengo Nawata von der Universität Kyoto Bunkyo wollte es jedoch ganz genau wissen. In einer gross angelegten Studie überprüfte er, ob die Blutgruppe tatsächlich in direktem Zusammenhang mit dem Charakter steht. Dafür analysierten er über 10’000 Umfragen, die in den USA und Japan durchgeführt wurden.
Die Fragen beschäftigten sich mit dem Glauben, dem Beruf, den Zukunftsaussichten, den Freunden oder Ängsten einer Person. Dabei stellte sich heraus, dass bei 65 von 68 Antworten keine signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen Blutgruppen festgestellt werden konnten.
Selbst bei den restlichen drei Antworten seien lediglich geringe Ungleichheiten festgestellt worden. «Dies bedeutet, dass die Blutgruppe nur 0.3 Prozent der Abweichung in einer Persönlichkeit erklärt.» Damit könne man festhalten, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen Blutgruppe und Charakter gebe, folgert Nawata in seiner Studie, die in der aktuellen Ausgabe des Japanese Journal of Psychology publiziert wurde.
Dunkle Ursprünge
Die Beschäftigung mit der Blutgruppe stammt übrigens aus dem Japan der Zwischenkriegsjahre, als die umstrittene Eugenik, die in Nazi-Deutschland unter dem Begriff Rassenhygiene bekannt war, vom Staat gefördert wurde. Damals untersuchte das imperialistische Japan die Blutgruppen ihrer Kolonialvölker oder der indigenen Ainu.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholt als wissenschaftlich gegenstandslos entlarvt, kam die Blutgruppen-Analyse in Verruf. In den japanischen Köpfen blieb sie jedoch hartnäckig hängen. In den 1970er-Jahren erlebte die Blutgruppen-Analyse, von rassistischen Untertönen entfernt, eine mediale und gesellschaftliche Wiederauferstehung.
Und so wird auch die Studie von Kengo Nawata wohl kaum zu einem gesellschaftlichen Umdenken führen. Zu stark hat sich die Blutgruppen-These in den Köpfen eingeprägt.
Ohne Abonnenten kein Asienspiegel
Februar 2024 – Wenn Sie diesen Artikel gratis lesen, bezahlen andere dafür. Mit einem Abo sichern Sie die Zukunft dieses Japan-Blogs, der über 5000 kostenlos zugängliche Artikel bietet.
VORTEILE JAHRES-ABO
Jahres-Abonnenten stehe ich für Fragen zur Verfügung. Klicken Sie hier, um mehr darüber zu erfahren.
- Zahlungsmittel: Master, Visa, PayPal, Apple Pay, Google Pay
- Für TWINT bitte via Asienspiegel Shop bezahlen
- Für Banküberweisung hier klicken