Wo sind die Angestellten?

Japans Wirtschaft erlebt ein Phänomen, das es so seit über zwanzig Jahren nicht mehr gegeben hat. Firmen gehen Bankrott, weil sie keine Angestellten finden oder die Personalkosten schlichtweg zu hoch sind. Im ersten Halbjahr 2014 zählte der Marktforscher TSR 20 solcher Fälle, wie 47 News berichtet. Das ist mehr als im gesamten vergangenen Jahr. Die «versteckten Konkurse», wie die einfache Stilllegung eines Betriebs, sind hier nicht miteinberechnet.
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Noch ist es eine verhältnismässig bescheidene Zahl. Es wird jedoch gerechnet, dass die Konkurse wegen Personalmangels oder zu hoher Personalkosten in den nächsten Jahren zunehmen werden, wie Sankei Biz schreibt.
Von der Blase zur Krise
Zuletzt gab es Anfang der 1990er-Jahre aus denselben Gründen Firmenschliessungen. Die Ursachen waren jedoch grundverschieden. Ein überhitzter Aktien- und Immobilienmarkt hatte Japans Wirtschaft damals derart anschwellen lassen, dass es viel zu viel Geld gab und zu wenig Personal. Und als die Wirtschaftsblase platzte, waren auf einen Schlag die Personalkosten zu hoch. 1991 zählte Japan 258 Konkurse in diesem Zusammenhang.
Es folgten Jahre der Stagnation mit einer erhöhten Arbeitslosigkeit. Von Arbeitskräftemangel war keine Rede mehr, im Gegenteil. Vielmehr durfte es sich die Wirtschaft leisten, ihre Arbeitnehmer als Zeitarbeiter oder Teilzeitkräfte mit tieferen Löhnen anzustellen, um die Preise zu senken und als Exportland weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben.
Abenomics grösstes Problem
Seit 2013 geht es wieder in die andere Richtung. Ein lockere Geldpolitik, teure Konjunkturprogramme, der Wiederaufbau im Nordosten sowie die anstehenden Olympischen Spiele haben wieder für mehr Beschäftigung gesorgt. Doch nun droht die alternde Bevölkerung, Premier Shinzo Abes erhoffter Wirtschaftserholung ein Bein zu stellen.
Bereits heute ist jeder vierte Japaner über 65 Jahre alt. Der damit einhergehende Bevölkerungsrückgang nimmt an Tempo auf. Bis 2048 könnte die Einwohnerzahl von aktuell 127 Millionen auf unter 100 Millionen sinken.
Die Folge ist ein zunehmender Personalmangel. Der Konkurrenzkampf um gute Mitarbeiter verschärft sich. Die Unternehmen sind gezwungen, ihren Mitarbeitern bessere Löhne zu zahlen. Gleichzeitig werden wieder mehr Vollzeitstellen geschaffen. Das ist gut für die Arbeitnehmer –die Arbeitslosenquote ist so tief wie seit 16 Jahren nicht mehr und erstmals seit Jahren löst sich das Land aus der Deflationsspirale – für viele Firmen bedeuten die höheren Personalkosten jedoch eine starke Belastung.Die Leidtragenden sind insbesondere die kleineren und mittleren Unternehmen. Bei der Anwerbung von Angestellten sind sie gegen die grossen Konzerne chancenlos.
Baubranche und Gastronomie leiden
Die direkten Auswirkungen bekommen zurzeit besonders die Bau- und Gesundheitsbranche zu spüren. Von den 20 erwähnten Konkursen in diesem Halbjahr stammten 8 aus dem Bausektor. Aber auch in der Gastronomie kämpfen Fastfoodketten wie Sukiya gegen den Personalmangel (Asienspiegel berichtete). Die über Jahre vernachlässigten Arbeitsbedingungen rächen sich nun im Kampf um Angestellte.
200’000 Einwanderer jährlich bräuchte das Land theoretisch, um in den nächsten Jahrzehnten die Bevölkerungszahl über 100 Millionen zu halten (Asienspiegel berichtete). Doch auf eine Immigration im klassischen Sinne möchte die Regierung unter Premierminister Shinzo Abe verzichten. Die Skepsis gegenüber einer offenen Zuwanderungspolitik ist in der japanischen Bevölkerung traditionell gross, weil es eine solche schlichtweg noch nie gegeben hat.
Stattdessen sollen Kurzarbeiter aus dem Ausland die Lücke in der Baubranche füllen (Asienspiegel berichtete). Andererseits setzt Abe auf eine stärkere Integration der Frauen in die Wirtschaft (Asienspiegel berichtete), den effizienteren Einsatz von Robotern (Asienspiegel berichtete) und die Bildung von speziellen Wirtschaftszonen, wo mit Sonderregelungen, Steuererleichterungen und Förderungen spezifischer Branchen experimentiert werden soll (Asienspiegel berichtete).
Abes grosse Herausforderung
Ob die Massnahmen greifen, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Und so entwickelt sich der Bevölkerungsrückgang und der damit einhergehende Personalmangel zur grössten Herausforderung für Premierminister Shinzo Abes anvisiertes, nachhaltiges Wirtschaftswachstum. An der Fähigkeit, die demographische Zeitbombe zu entschärfen, wird seine Regierung gemessen.
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