Die hungrigen Wassergeister
Der siebte Monat im chinesischen Mondkalender ist mit allerlei Tabus belegt (Asienspiegel berichtete). In eine neue Wohnung ziehen, heiraten oder ein Auto kaufen, sollte man in diesem Monat lieber nicht. Während verlorene Seelen durch die Welt der Menschen geistern, heisst es stattdessen opfern und beten.
Wenn Sie diesen Artikel gratis lesen, bezahlen andere dafür. Mit einem Abo sichern Sie die Zukunft dieses Japan-Blogs.
Im nordtaiwanischen Keelung soll es besonders viele Geister geben, die sich im Meer tummeln. Deshalb werden jeweils in der Mitte des Monats am Eingang zur Unterwelt brennende Wasserlaternen (水燈) ins Meer gelassen. Das Geisterfest (中元節) hat seinen Ursprung – wie der Geistermonat – im Taoismus, Buddhismus und lokalen Volksglauben.
Jedes Jahr ein anderer Clan
In Keelung geht der Brauch zurück auf die Einwanderer, die über mehrere hundert Jahre mehrheitlich aus Südostchina auf die Insel Taiwan übersiedelten. So standen sich in der Hafenstadt damals zwei verfeindete Einwanderer-Clans gegenüber.
Zwischen den Siedlern aus den chinesischen Ortschaften Changchou und Chuanchou kam es immer wieder zu Streitereien über Land und Wassernutzung – oft auch mit tödlichem Ausgang.
«Ausserdem kamen viele der frühen Einwanderer alleine nach Taiwan und hatten hier keine Nachkommen», weiss Lin Hong-Ji, Organisator der diesjährigen Prozession zum Geisterfest. Für jene verlorenen Seelen seien die Opfergaben gedacht, so Lin weiter, insofern handle es sich um eine sehr barmherzige Tradition. Seit 160 Jahren führen 15 eingesessene Familien den Umzug kreuz und quer durch die Hafenstadt.
15 Jahre warten
Damit es zwischen den Familiennamen im Ort keinen Streit gibt, wechseln sich die Clans jedes Jahr ab. 15 Jahre muss jede Familie warten, bis sie zuvorderst marschieren darf. So darf Lin Hong-Jis Familie den Zug in diesem Jahr wieder anführen. Für ihn sei dies eine grosse Ehre, sagt der 65-jährige, der die Aufgabe von seinem Vater übernommen hat.
Bereits zweimal durfte Lin Hong-jis Familie zuvorderst marschieren. Das nächste Mal wird er 80 Jahre alt sein, und will – sollte es die Gesundheit erlauben – die Prozession wieder mit anführen.
Martin Aldrovandi und Daniel Ulrich durften in diesem Jahr – trotz anderer Nachnamen – den Umzug der Familie Lin begleiten.
Ohne Abonnenten kein Asienspiegel
Februar 2024 – Wenn Sie diesen Artikel gratis lesen, bezahlen andere dafür. Mit einem Abo sichern Sie die Zukunft dieses Japan-Blogs, der über 5000 kostenlos zugängliche Artikel bietet.
VORTEILE JAHRES-ABO
Jahres-Abonnenten stehe ich für Fragen zur Verfügung. Klicken Sie hier, um mehr darüber zu erfahren.
- Zahlungsmittel: Master, Visa, PayPal, Apple Pay, Google Pay
- Für TWINT bitte via Asienspiegel Shop bezahlen
- Für Banküberweisung hier klicken