Japans absurdestes Gesetz
[Der Dokumentarfilm Save the Club Noon feiert am Sonntag, 21. September, Schweizer Premiere im Alternativkino (mit englischen Untertiteln). Mehr dazu hier.]
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In Japan benötigt jede Lokalität, die Tanz anbietet, eine Lizenz. Um eine solche zu erhalten, müssen unzählige Vorgaben eingehalten werden, wie der Bau einer mindestens 66 Quadratmeter grossen, freien Tanzfläche und spätestens um Mitternacht muss Schluss sein. Ausserdem untersagt das sogenannte Fueiho-Gesetz (Unterhaltungsgewerbe-Gesetz) aus dem Jahr 1948 jeglichen Tanz, der «zum Zerfall der sexuellen Sitten» führen könnte, ohne dies genauer zu definieren.
Es handelt sich um Vorgaben, die kein moderner Klub mehr einhalten kann. Und so kommt es, dass die meisten Clubs in Japan die Tanz-Bewilligung gar nicht einholen. Die Polizei drückte jahrelang ein Auge zu. Lärmklagen und Gewalttaten haben jedoch dazu geführt, dass speziell die Behörden in Tokio und Osaka das Gesetz wieder anwenden, was zu einem regelrechten Club-Sterben geführt hat (Asienspiegel berichtete).
Der Fall Noon
Auch im legendären Osakaer Club Noon kam es 2012 zu einer Razzia. Die Staatsanwaltschaft warf dem Besitzer Masatoshi Kanemitsu vor, den Gästen «obszönen Tanz» zu erlauben und damit gegen die «sexuellen Sitten» zu verstossen. Der Club, der einen guten und unbescholtenen Ruf in der Szene genoss, war eine kulturelle Institution in der Musikszene von Osaka (Asienspiegel berichtete). Und so wurde der Fall Noon zum Anfang einer öffentlichen Bewegung von prominenten Musikern, Anwälten und Politikern gegen das vielleicht absurdeste Gesetz in Japan. Ihr Motto: «Let’s Dance!»
Die Bewegung war so erfolgreich, dass auch die Politik in Tokio sich diesem Gesetz nun angenommen hat. Bis im Herbst soll ein Revisionsentwurf des Fueiho-Gesetzes dem Parlament vorgelegt werden (Asienspiegel berichtete). Die Mainichi Shimbun (englische Ausgabe) hat eine mögliche Regelung skizziert.
Gespräch mit Regisseur Moriro Miyamoto
Der Dokumentarfilm Save the Club Noon (diesen Sonntag, 21. September, im Alternativkino) von Regisseur Moriro Miyamoto und Produzent Shinryo Saeki rollt den Fall Noon auf und lässt zahlreiche, prominente Musiker zu Wort kommen. Der Film bietet einen einmaligen Einblick in die lebendige, kreative Kultur- und Musikszene von Osaka, die mit allem Einsatz um ihr Existenzrecht kämpft. Anlässlich der Schweizer Premiere hat Asienspiegel ein Interview mit Regisseur Miyamoto geführt.
Asienspiegel: Was macht Noon-Besitzer Masatoshi Kanemitsu heute?
Moriro Miyamoto: Masatoshi Kanemitsu wurde in erster Instanz von den Vorwürfen freigesprochen (Asienspiegel berichtete). Nun hat die Staatsanwaltschaft aber Berufung eingelegt. Im Herbst wird der Prozess weitergehen. Kanemitsu bereitet sich darauf vor. Der Club Noon wurde bereits vor der Razzia als Café geführt. Dieses Café besteht weiterhin. Damit die Gäste am Abend auch nicht tanzen, veranstaltet der Club nun Live-Akustik-Konzerte. Daneben werden Partys mit kostenlosem Eintritt veranstaltet, um die Einschränkungen des Unterhaltungsgesetzes zu umgehen.
Die Politik arbeitet offenbar nun daran, das Gesetz im Sinne der Clubs anzupassen. Was ist der aktuelle Stand?
Zurzeit beinhaltet das sogenannte Fueiho-Gesetz eine klare Regelung für alle möglichen Orte, die Tanz anbieten. Das kann eine Tanzschule, ein Live-Musikclub, ein Salsa- oder Tango-Club oder eben ein (Disco-)Club sein, wo DJs auflegen. Auch Cabarets, Host-Clubs, Mah-Jongg-Spielräume, Pachinko-Spielhallen und Game-Centers fallen unter dieselbe Regelung. Eine Revision des Fueiho-Gesetzs ist zurzeit am Laufen. Das nationale Parlament sollte demnächst einen angepassten Gesetzesentwurf einbringen. Ob damit auch die Tanz-Einschränkung gelockert wird, hängt ganz vom eingebrachten Vorschlag ab.
Welchen Einfluss hatte der Dokumentarfilm sowie die Let’s Dance-Bewegung auf Politik und Gesellschaft?
Die Let’s Dance-Bewegung hatte eine beträchtliche Wirkung. Alle grossen Fernsehstationen und Tageszeitungen haben über das Problem des Fueiho-Gesetzes berichtet und damit ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür geschaffen. Dies brachte die Unterschriftensammlung für eine Revision des Gesetzes vorwärts. Viele News-Sendungen haben Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm Save the Club Noon gezeigt. Eine überparteiliche Vereinigung von über 60 Abgeordneten «zur Förderung der Tanzkultur» wurde gegründet, um das Gesetz zu ändern. Hätte es die 160’000 Unterschriften nicht gegeben, wäre das wohl nie möglich geworden. Vor der Let’s Dance-Bewegung wusste nur ein ganz kleiner Teil der Bevölkerung von diesem absurden Problem. Nun ist es im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen. Der Dokumentarfilm Save the Club hat sicherlich seinen Teil dazu beigetragen.
Wie geht es der heutigen Osakaer Clubszene heute?
Die meisten Clubs, die in den Fokus der Polizei gerieten, waren im Osakaer Quartier Ame Mura beheimatet. In der Zeit nach den Razzien verkam der Ort in der Nacht zu einer Geisterstadt. Zuvor war es das lebendigste Ausgehviertel für die jungen Menschen. Allmählich eröffnen wieder neue Clubs, die sich den Regeln des Fueiho-Gesetzes angepasst und eine Bewilligung eingeholt haben.
Auch die traditionellen Live-Musikkneipen sind Teil des Fueiho-Gesetzes. Wie geht es diesen Institutionen?
Interessant ist, dass die Live-Musikkneipen, obwohl auch diese Teil des Fueiho-Gesetzes sind, bislang nicht von der Polizei behelligt wurden. Weil dort die Zuschauer einer Band zuschauen und tanzen, ist dies nach Ansicht der Polizei kein Problem. Das ist doch ein Witz. Die Live-Musikkneipen werden höchstens mal gefragt, ob sie eine Disco-Kugel installiert hätten. Soweit ich weiss, wurde aber noch keine Musikkneipe in diesem Zusammenhang geschlossen. Es ist ziemlich widersprüchlich.
Wie kam der Dokumentarfilm zustande?
Drei Monate nach der Razzia im Club Noon fand eine viertägige Protestveranstaltung der Club- und Musikszene statt. In dieser Zeit ist Save the Club Noon entstanden. Im Dokumentarfilm erheben die Musikern und DJs, welche Osaka so prägen und im Noon gross wurden, ihre Stimme. Es ist auf keinen Fall ein Dokumentarfilm, der in komplizierten juristischen Details versinkt, sondern ein lebendiges Porträt der Osakaer Musikszene aufzeigt. Es ist ein Film, den sich jeder anschauen kann.
Save the Club Noon feiert am Sonntag, 21. September um 13 Uhr Schweizer Premiere im Alternativkino (mit englischen Untertiteln). Tickets gibt es hier.

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