1300 Jahre in 12 Minuten
Seit dem Jahr 718 betreibt die Familie Houshi ihr traditionelles Gasthaus in Zentraljapan. Der Dokumentarfilm «Houshi» von Journalist Fritz Schumann bietet einen Einblick in die Gedanken und die Welt der Mitglieder der Familie – die heute in der 46. Generation vor der wahrscheinlich größten Veränderung in ihrer langen Geschichte stehen. Im Folgenden gewährt uns Fritz Schumann einen vertieften Einblick in seine Arbeit an «Houshi», der inzwischen weit über 200’000 Mal angeschaut wurde.
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Die Arbeit an der kurzen Doku «Houshi» war eine grose Herausforderung. Als freier Fotograf und Journalist bin ich seit 2009 in Japan unterwegs, aber so eine persönliche und intime Geschichte hatte ich in dem Land so vorher noch nie erlebt.
Intime Gespräche, emotionale Reaktionen
Ungefähr drei Stunden dauert die Reise von Kyoto in das kleine Örtchen Awazu in der Präfektur Ishikawa. Beim Verlassen des Zuges steigt sofort der dezenten Geruch von faulen Eiern in die Nase, der von den vielen heissen, natürlichen Quellen der Region kommt. Das Gasthaus Houshi war sehr viel grösser, als ich es erwartet hatte. Mich begrüsste ein Dutzend Damen im Kimono laut mit «Irasshaimase» als ich beim Betreten, wie es sich gehört, die Schuhe auszog und in eine der hundert Hausschuhe für die Gäste schlüpfte. Vater Houshi war noch nicht da. Ich traf ihn erst am Abend auf einen kurzen höflichen Austausch.
Fritz Schumann ist Autor des Buchs «Japan 151 – Ein Land zwischen Comic und Kaiserreich in 151 Momentaufnahmen», das 2019 bereits in der 5. Auflage erschienen ist. Es sind 151 persönliche Einblicke in die japanische Kultur und Gesellschaft. Sehr empfehlenswert!
Die Interviews mit der Familie fanden am nächsten Tag statt. Zuerst der Vater, der Patriarch. Schon nach den ersten zehn Minuten merkte ich, wie besonders dieses Interview werden wird. Ohne Scheu erzählte mir Zengoro Houshi von seiner Familie, von der Vergangenheit und der Zukunft. Er beschäftigt sich mit etwas, das grösser ist als er selbst. Bei jeder Entscheidung, die er trifft, denkt er an seine Vorfahren und an seine Nachfahren. Unser Gespräch dauerte anderthalb Stunden und nur die Fragen zu einem Verkauf des Hotels wollte er nicht beantworten.
Im Film ist der Vater das «Gehirn» – von ihm kommen die meisten Infos und die Hintergründe zur Geschichte. Und Tochter Hisae ist das «Herz». Für sie war das Interview eine Gelegenheit, Dampf abzulassen und sich vieles von der Seele zu reden, was sie sonst nicht äussern kann. Sie hat auch mehr als einmal geweint, weil sie die Bürde der Tradition und die Erinnerung an den verstorbenen Bruder in dem Moment so überwältigt haben.
Sie als zweite Tochter hätte nie die Verantwortung übertragen bekommen. Doch ihr Vater hält sie für fähig und clever. Das sagte er mir, aber niemals ihr. Ich fragte sie auch, was sie darüber denkt, nun als erste Frau in 1300 Jahren das Houshi Ryokan zu leiten. Sie war erstaunt. Was ihr Vater mir nur eine Stunde zuvor sagte, wusste sie noch nicht. Sie hat von mir im Interview erfahren, dass sie die nächste Generation sein soll. Ihre Reaktion und ihre Gedanken im Film sind echt und direkt. Es ist ein sehr besonderer Moment in der Geschichte des Houshi, bei der ich dabei war.
Kommentare aus der ganzen Welt
Ich habe den Film kurz vor Weihnachten 2014 fertig gestellt und auf Vimeo hochgeladen. Inzwischen hat der Film dort mehr als 200’000 Views erreichen können, bei einer Veröffentlichung im amerikanischen Videoportal von The Atlantic waren es noch einmal genau so viele. Mit Tochter Hisae stehe ich bis heute in Kontakt. Die Veröffentlichung des Films hat sie etwas verunsichert, aber als Leiterin verzeichnet sie nun auch eindeutig mehr Gäste, die den Film gesehen haben – Japaner und Ausländer.
Über Twitter, per Mail oder in diversen Foren erreichten mich viele Reaktionen zum Film. Viele empfinden eine Verbundenheit zu Hisae und ihrer Bürde. Einige boten sich auch als möglicher Ehepartner an. Verglichen mit meiner vorherigen auf Asienspiegel publizierten Arbeit «Im Tal der Puppen» waren die Reaktionen der Medien jedoch nicht so stark. Bislang wollte keine deutsche Redaktion diese Geschichte erzählen, und auch Filmfeste haben die kurze Doku bisher abgelehnt.
Mir ist das allerdings nicht so wichtig. Ich wollte eine Geschichte erzählen, die noch ein Stück ganz altes Japan in sich trägt. Eine Geschichte, die ein kleines Fenster in eine langen Historie ist. Die Geschichte einer Familie.
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