30’000 für die Friedensverfassung

Am 3. Mai 1947 trat die japanische Nachkriegsverfassung in Kraft. Es war das wohl modernste und liberalste Gesetzeswerk seiner Zeit. Japan verabschiedete sich damit endgültig von der Ära des Militarismus.
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Der einst göttliche, unantastbare Kaiser wurde zum Symbol ohne weitere Macht degradiert. Japan wurde zu einer Demokratie, in der Religion und Staat klar getrennt wurde. Die Gleichberechtigung und die Versammlungs- und Redefreiheit wurden eingeführt. Mit dem Artikel 9 verzichtete Japan gar auf die Kriegsführung zu Lösung internationaler Konflikte und den Unterhalt einer Armee (Asienspiegel berichtete).
Seit 68 Jahren ist diese von den damaligen amerikanischen Besatzern formulierte Verfassung nun unverändert. Für viele ist das Gesetzeswerk zu einem Garanten für Japans friedlichen, wirtschaftlichen Aufstieg geworden (Asienspiegel berichtete). Keine noch so grosse, konvservative Regierungsmehrheit konnte daran etwas ändern.

Die Hürden
Denn für eine Änderung eines Verfassungsartikel benötigt es eine Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern. Anschliessend bedarf es in einem Referendum einer Zustimmung der Bevölkerung mit einer einfachen Mehrheit. Und weil die Hürden so hoch sind, beschränkte man sich in den letzten 68 Jahren aufs grosszügige Interpretieren der Verfassung.
In den 1950er-Jahren, als man sich begann, für den Kalten Krieg zu rüsten, erschuf man anstatt eine Armee die sogenannten Selbstverteidigungsstreitkräfte. Jedes Land habe ein Recht auf Selbstverteidigung, hiess es damals. Somit werde auch nicht gegen den Artikel 9 verstossen. Im Juli 2014 ging Premier Shinzo Abe ähnlich vor. Er legte die Verfassung so aus, dass Japan heute das Recht auf kollektive Selbstverteidigung anwenden darf, obwohl für viele die Verfassung anderes suggeriert (Asienspiegel berichtete).
Die möglichen Änderungen
Für Abe war dies jedoch erst der Anfang. Denn der Premier hat die Verfassungrevision zu einem seiner wichtigsten Ziele erklärt. Er und seine Regierungspartei LDP halten das Gesetzeswerk für nicht mehr zeitgemäss. Ausserdem ist in den Augen vieler Konservativer die Verfassung eine von den USA erzwungenes Gesetzeswerk, das nicht dem Willen der japanischen Bevölkerung entspricht.
Speziell der Verzicht auf Kriegsführung zur Lösung internationaler Konflikte im Artikel 9 sowie die Bezeichnung des Kaisers (jap. Tenno) als Symbol des Staates im Artikel 1 sind ihnen ein Dorn im Auge. Anstatt «Selbstverteidigungsstreitkräfte» soll es offziell «Armee» heissen. Ein Verfassungsentwurf der LDP von 2012 schlägt ausserdem vor, die Rede- und Meinungsfreiheit einzuschränken, falls diese «schädlich für das öffentliche Interesse» seien.
Die allermeisten Oppositionsparteien sehen die demokratischen Werte Japans in Gefahr. Sie setzen sich für den Erhalt der pazifitischen Verfassung ein. Doch inzwischen sieht Abe die historische Chance für eine Verfassungsänderung gekommen.
Abes Plan
Und so sieht der Fahrplan des Premierministers aus. Im Unterhaus besitzt seine Partei zusammen mit der Koalitionspartnerin Komeito bereits eine knappe Zweidrittelmehrheit. Im Sommer wird die Hälfte des Oberhauses neu gewählt. Dann hofft der Premier auch dort eine Zweidrittelmehrheit zu holen. Geht diese Rechnung auf, wird sich die Regierung an eine Verfassungsänderung machen. Die Chancen dafür stehen gut.
In den nächsten zwei Jahren wird Japan somit wohl die Weichen für die Zukunft stellen und sich womöglich vom Nachkriegssystem in vielerlei Hinsicht verabschieden.
Das Volk bestimmt
Doch am Ende wird die Meinung der japanischen Bevölkerung zählen. Sie hätte in einem Referendum das letzte Wort. Genau hier könnte Abes Stolperstein liegen. Denn viele Japaner halten nach wie vor viel von der pazifistischen Verfassung (Asienspiegel berichtete). Am gestrigen Verfassungstag versammelten sich alleine in Yokohama 30’000 Menschen zu einer Kundgebung zum Schutz der jetzigen Verfassung, wie die Asahi Shimbun berichtete.
Umfragen zeigen derweil, dass die Meinungen geteilt sind. Die Huffington Post Japan hat eine entsprechende Übersicht zusammengestellt.
So sind laut der Asahi Shimbun 48 Prozent gegen eine Verfassungsänderung. 43 Prozent befürworten hingegen Abes Vorgehen. Laut der Tokyo Shimbun sind wiederum 46,7 Prozent für eine Änderung und 42,3 Prozent dagegen. NHK hat derweil etwas vorsichtigere Zahlen publiziert. So sehen lediglich 28 Prozent einen Bedarf für Veränderung, während 25 Prozent dagegen sind. Ganze 43 Prozent haben noch keine Meinung.
Eine Umfrage der Mainichi Shimbun zeigt, dass gerade bezügich des Artikel 9 eine klare Haltung besteht. 55 Prozent lehnen jegliche Änderung des Kriegsverzichtsartikels ab. Nur 27 Prozents sind dafür.
Die Umfragen zeigen: Ein allfälliges Verfassungsreferendum, bei der eine einfache Mehrheit genügt, würde zu einer äusserst knappen Angelegenheit für Abe werden. Japan steht vor entscheidenden Jahren.
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