«Geh nach Hause!»
Gestern gedachte Okinawa in Anwesenheit von Premierminister Shinzo Abe, US-Botschafterin Caroline Kennedy sowie Präfekturgouverneur Takeshi Onaga der verlustreichen Schlacht auf Okinawa im Zweiten Weltkkrieg. Über 240’000 Menschen – Zivilisten, japanische Soldaten und amerikanische Soldaten – kamen damals ums Leben. Die letzten Kampfhandlungen endeten am 23. Juni 1945.
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Für Abe wurde die offizielle Gedenkzeremonie derweil zu einem Spiessrutenlauf. Als sich der Premierminister vor dem Denkmal der Kriegstoten verbeugte und anschliessend zum Rednerpult schritt, hörte man, wie einige Zuschauer ihren Unmut gegenüber Abe laut zum Ausdruck brachten. Worte wie «Kaere» («Geh nach Hause, Abe») fielen. Auch während der Rede wurde der Premier lautstark kritisiert (siehe Video oben).
Für eine Gedenkzeremonie sind es ungewohnte Bilder. Und es kommt auch nicht oft vor in Japan, dass ein Premier bei einer Rede verbal angegriffen wird. Für den lautstarken Unmut gibt es jedoch Gründe.
Der ewige Streit um Futenma
Okinawa blieb bis 1972 amerikanisches Territorium. Und noch heute befinden sich 74 Prozent aller US-Basen in Japan auf Okinawa, das lediglich 0,6 Prozent der gesamten japanischen Landfläche ausmacht. Entsprechend stark fühlen sich viele Bewohner Okinawa bis heute als Bürger zweiter Klasse in Japan, deren Anliegen von Tokio nicht ernst genommen werden (Asienspiegel berichtete).
Das jüngste Beispiel ist der Streit um die geplante Verlegung der lärmintensive US-Marinebasis Futenma. Dieser mitten in der Stadt Ginowan gelegene Stützpunkt soll weiter nordwärts nach Henoko in der Stadt Nago verschoben werden. Die japanische Regierung will mit diesem seit Jahren geplanten Projekt vorwärts machen und hat Okinawa im Gegenzug eine Konkjunkturspritze versprochen.
Doch in Okinawa ist der Widerstand gegen eine Verlegung innerhalb der Inselgruppe gross. Vielmehr soll der US-Stützpunkt in eine andere Präfektur oder am besten auf Guam eine neue Bleibe finden, so die Forderung, die die Wähler Okinawas mit der letztjährigen Wahl des unabhängigen Gouverneurs Takeshi Onaga noch einmal unterstrichen. Dieser trat sein Amt mit dem Versprechen an, gegen die aktuellen Verlegungspläne von Tokio und Washington anzukämpfen. Premierminister Abe beharrt trotz allem auf seinem Standpunkt.
Die Abkehr von der Friedensverfassung
In den letzten Monaten hat sich zudem ein neues Konfliktfeld eröffnet. Abe will derzeit mit einem Paket an Sicherheitsgesetzen die neu interpretierte kollektiven Selbstverteidigung (Asienspiegel berichtete) konkretisieren.
Der Regierungschef hofft damit, Japans Truppen künftig einfacher zur Unterstützung von Alliierten in Übersee einzusetzen. Das Gesetzespaket stösst jedoch auf heftigen Widerstand in der Bevölkerung und bei der parlamentarischen Opposition. Sie sprechen von einem verfassungswidrigen Gesetz, das Japan letztendlich wieder in kriegerische Handlungen verwickeln könnte.
Speziell in Okinawa, wo die blutige Geschichte des Zweiten Weltkriegs noch überall präsent ist, fürchtet man sich vor den Konsequenzen der neuen Gesetze. Entsprechend kühl ist die Beziehung zwischen Premier Abe und der Bevölkerung Okinawas. Dies hat sie an der Gedenkzeremonie mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht.

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