Abes Balan­ce­akt

Die Kontrolle, ob Abe die vier wichtigen Wörter erwähnt.
Die Kon­trol­le, ob Abe die vier wich­ti­gen Wör­ter erwähnt. Screen­shot: TBS

Seit Mona­ten war­te­te man gespannt auf die­sen Moment. Was wür­de Shin­zo Abe anläss­lich des Kriegs­en­des vor 70 Jah­ren sagen? Wür­de er Wor­te wie «Aggres­si­on», «Ent­schul­di­gung», «Selbst­re­fle­xi­on» oder «Bedau­ern» verwenden?

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Pre­mier­mi­nis­ter Tomiichi Mura­y­a­mas Rede von 1995 gilt bis heu­te als Vor­la­ge für jede japa­ni­sche Regie­rung. Damals brach­te der Regie­rungs­chef für die «kolo­nia­le Herr­schaft» und «Aggres­si­on Japans im Zwei­ten Welt­krieg» sei­ne «auf­rich­ti­ge Ent­schul­di­gung» zum Aus­druck. Die Rede gilt bis heu­te als Mei­len­stein. Alle nach­fol­gen­den Pre­miers haben sich an die­sen Wort­laut gehal­ten. Auch Abes poli­ti­scher Men­tor Juni­chi­ro Koi­zu­mi sprach 2005 zum 60-jäh­ri­gen Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges die­sel­ben Wor­te.

Abes bis­he­ri­ge Strategie

Doch bei Shin­zo Abe ist alles ein biss­chen anders. Früh in sei­ner Amts­zeit hin­ter­frag­te er Wor­te wie «Aggres­si­on» und war stets dar­um bemüht eine «Ent­schul­di­gung» zu ver­mei­den. Statt­des­sen beliess er es wie bei sei­ner Rede in Washing­ton beim «Schmerz», der «Reue» und dem «Bei­leid» (Asi­en­spie­gel berich­te­te). Gleich­zei­tig beton­te er jedoch unab­läs­sig ‚die Mura­y­a­ma-Erklä­rung «hoch­zu­hal­ten». Es ist ein Balan­ce­akt eines aus­sen­po­li­ti­schen Fal­ken, der es vor­zieht, vage zu blei­ben, um genug Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum für sei­ne natio­nal­kon­ser­va­ti­ven Ansich­ten zu lassen.

Den Nach­barn Süd­ko­rea und Chi­na miss­fiel die­ses Ver­hal­ten. Und trot allem kam es, gera­de mit Chi­na, zu einer poli­ti­schen Annä­he­rung in den letz­ten Mona­ten. Stets blieb auch die Hoff­nung, dass Abe zum wich­ti­gen 70. Jah­res­tag doch noch die ange­mes­se­nen Wor­te fin­den wür­de. Und seit­her rät­sel­ten die Medi­en fast täg­lich über Abes mög­li­che Wort­wahl und berich­te­ten aus­führ­lich über die Äus­se­run­gen sei­nes Beraterkomitees.

Abes Erklä­rung

Am Abend des 14. August stell­te er sei­ne Erklä­rung den Medi­en vor. Wie bei einem Bin­go-Spiel schal­te­ten Fern­seh­sta­tio­nen die wich­ti­gen Wor­te «kolo­nia­le Herr­schaft», «Aggres­si­on», «Ent­schul­di­gung» und «Selbst­re­fle­xi­on» tabel­la­risch ein, um die­se bei einer all­fäl­li­gen Erwäh­nung abzuhaken.

Tat­säch­lich ver­wen­de­te Abe in sei­ner Rede alle die­se Wor­te (hier die Rede in ihrem gesam­ten Wort­laut auf Japa­nisch), doch mit gewich­ti­gen Unter­schie­den zu den Erklä­run­gen sei­ner Vor­gän­ger. «Unser Land hat wie­der­holt sein Gefühl der tie­fen Reue sowie sei­ne von Her­zen kom­men­de Ent­schul­di­gung zum Aus­druck gebracht», sag­te er und beton­te zugleich: «An die­sem Stand­punkt, der von auf­ein­an­der­fol­gen­den Regie­run­gen ver­tre­ten wur­de, wird in Zukunft auch nicht gerüt­telt.» Damit bezog er sich auf die Reden Mura­y­a­mas vor 20 und Koi­zu­mis vor 10 Jah­ren, ohne selbst eine expli­zi­te Ent­schul­di­gung auszusprechen.

Gleich­zei­tig beton­te Abe, dass heu­te 80 Pro­zent der Japa­ner nach dem Krieg gebo­ren sei­en. Man dür­fe ihnen, den Kin­dern und Enkel­kin­dern nicht die Bür­de auf­er­le­gen, sich stän­dig ent­schul­di­gen zu müs­sen. Es war eine Bemer­kung, die so noch nie ein Pre­mier gemacht hat­te. Er füg­te jedoch noch an, dass alle Gene­ra­tio­nen der Geschich­te in die Augen sehen müssten.

Der akti­ve Pazifismus

Über die Kolo­ni­al­zeit und den Krieg sag­te Abe: «Zwi­schen­fall, Aggres­si­on, Krieg. Die Aus­übung oder Andro­hung von Waf­fen­ge­walt als Lösung inter­na­tio­na­ler Kon­flik­te dür­fen wir kein zwei­tes Mal anwen­den. Wir müs­sen eine Welt schaf­fen, in der man sich für alle Zei­ten vom Kolo­nia­lis­mus ver­ab­schie­det und das Recht auf Selbst­be­stim­mung aller Völ­ker hoch­hält. Mit dem Gefühl der tie­fen Reue hat sich unser Land dies geschworen.»

Er ver­nei­ge sich zudem vor den Opfern des Krie­ges im In- und Aus­land und hal­te mit dem Gefühl des tie­fen Bedau­erns die ewi­ge, auf­rich­ti­ge Trau­er hoch. Sein Land habe im Krieg Scha­den und Leid zuge­fügt. Die Zer­stö­rung des Krie­ges dür­fe sich nie wie­der wiederholen.

Ein wei­te­res Novum war das Wort «pro­ak­ti­ver Pazi­fis­mus», den sich Japan künf­tig auf die Flag­ge schrei­be, um für den Frie­den und Wohl­stand in der Welt bei­zu­tra­gen. Es war eine kur­ze Anleh­nung an die aktu­el­le Debat­te um das umstrit­te­ne Sicher­heits­ge­setz (Asi­en­spie­gel berich­te­te).

Die Kri­tik von Murayama

Die Rede war ein klas­si­scher Abe-Balan­ce­akt, bei dem viel Wor­te und Gefüh­le hoch­ge­hal­ten und betont, aber im Gegen­satz zur Mura­y­a­ma- und Koi­zu­mi-Erklä­rung kei­ne expli­zi­te, per­sön­lich emp­fun­de­ne Ent­schul­di­gung zum Aus­druck gebracht wurde.

Der heu­te 91-jäh­ri­ge Mura­y­a­ma warf Abe nach der Rede vor, sich nicht klar geäus­sert zu haben, wofür sich Japan nun genau ent­schul­digt habe. Es habe ein kla­rer Bezug wie bei­spiels­wei­se zur Kolo­ni­al­herr­schaft gefehlt. Abes Ent­schul­di­gung sei daher für ihn völ­lig unver­ständ­lich. Abes Erklä­rung war zudem rund drei Mal so lan­ge wie Mura­y­a­mas Erklä­rung von 1995. Wie kein ande­rer vor ihm ging er auf die lan­ge Vor­ge­schich­te, begin­nend mit dem Impe­ria­lis­mus, bis hin zum Zwei­ten Welt­krieg ein.

Die süd­ko­rea­ni­sche Nach­rich­ten­agen­tur Yon­hap schrieb von «einer Ent­schul­di­gung in der Ver­gan­gen­heits­form». Abes Erklä­rung sei im Ver­gleich zur Mura­y­a­ma- und Koi­zu­mi-Erklä­rung «ein Rückschritt».

Trotz allem wer­den sich vie­le mit die­ser Erklä­rung, die viel wei­ter ging als alle bis­he­ri­gen Abe-Reden, zufrie­den geben. Ob dies auch auf die Regie­run­gen der Nach­bar­län­der, ins­be­son­de­re Süd­ko­rea und Chi­na, zutrifft, wird sich in den kom­men­den Mona­ten weisen.

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