Die Kamera, die Betrunkene erkennt

Betrunkene Passagiere auf dem Bahnsteig bereiten den japanischen Bahnbetreibern seit Jahrzehnten Kopfzerbrechen. Im Geschäftsjahr 2013 kam es gemäss Statistik des Verkehrsministeriums im ganzen Land zu 221 Unfällen, bei denen Passagiere mit dem ankommenden Zug in Berührung kamen. Manche standen zu nahe am Rand des Bahnsteigs, andere fielen direkt auf die Gleise. In 61 Prozent der Fälle war die angefahrene Person betrunken. Etwas über 10 Prozent dieser Unfälle endeten tödlich.
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Eine Plakatkampagne macht auf die Unfallproblematik auf Bahnsteigen aufmerksam. «Schwankend (Chidori-aruki) oder mit dem Blick aufs Smartphone (Aruki-Sumaho) zu gehen, ist gefährlich!» heisst in der Illustration. Zu sehen sind zwei betrunkene Salarymen, die sich gefährlich nahe am Rand des Bahnsteigs bewegen. Die Kampagne verweist darauf, dass bei einer Beobachtung eines Sturzes, umgehend der Notfallknopf zu drücken sei.
Die intelligende Kamera
Ziel der Kampagne ist es, die Unfälle auf dem Bahnsteig auf Null zu senken. Dafür setzen die japanischen Bahnbetreiber seit Jahren eine ganze Reihe an Sicherheitsmassnahmen um. Die Technologie spielt dabei eine immer grössere Rolle. So zählt zu den neusten Massnahmen die Installation von Sicherheitskameras, die ungewöhnliche Bewegungen von Passagieren auf den Bahnsteigen automatisch erkennen können. Torkelnde sowie überdurchschnittlich lange sitzende oder schlafende Personen auf Wartebänken soll das System wahrnehmen. Das Personal wird daraufhin automatisch benachrichtigt.
Im Bahnhof Kyobashi in der Stadt Osaka wurde die Installation von 46 entsprechenden Sicherheitskameras Ende 2014 von Betreiber JR West angekündigt. Diese Woche wurde nun die offizielle Einweihung gefeiert. Es handelt sich um eine Premiere in Japan. Sollte sich dieses System in Kyobashi durchsetzten, plant der Bahnbereiber die Installation in weiteren Stationen.
Schutzwände, Matten und Wartebänke
Neben Sicherheitskameras und Notfallknöpfen gibt es noch andere Massnahmen, die zum besseren Schutz der wartenden Passagiere beitragen. Die wohl sicherste Lösung ist die Installation von Schutzwänden zwischen Bahnsteig und Gleisen, so dass ein Sturz gar nicht mehr möglich ist. Doch eine solche Aufrüstung in den unzähligen Bahnhöfen Japans ein extrem teures Unterfangen. So waren 2012 gerade mal 510 von insgesamt 9611 Bahnhöfen in Japan mit Schutzwänden ausgerüstet (Asienspiegel berichtete).
Ausserdem wird an vielen Orten der Bahnsteigrand mit roter Farbe markiert. Auch im Boden installierte Sensoren gibt es, die bei Berührung automatisch ein Warnsignal an das Personal senden. Eine weitere, neue Sicherheitsmassnahme ist die Neuplatzierung der Wartebänke auf den Bahnsteigen. Anstatt diese Parallel zu den Gleisen zu platzieren, hat man begonnen, sie um 90 Grad zu drehen. So erhöht man die Wahrscheinlichkeit, dass die betrunkene Person beim Aufstehen nicht in die Richtung der Gleise torkelt und in die Tiefe stürzt (Asienspiegel berichtete).
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