Japans 100-Millionen-Plan

Lange ignorierte die japanische Politik das Problem der viel zu tiefen Geburtenrate. Man wusste davon, unternahm jedoch nichts, um die Situation zu verbessern. Doch aus den Prognosen ist inzwischen Realität geworden. Denn seit 2010 schrumpft die Bevölkerungszahl in Japan. 2014 kamen gerade noch 1’003’532 Babies zur Welt. Das sind 26’284 weniger als noch 2013 (Asienspiegel berichtete). Noch bis in die Hälfte der 1970er-Jahre gab es regelmässig 2 Millionen Geburten pro Jahr.
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Die Geburtenrate liegt heute bei 1,42. Das ist zwar mehr als im Jahr 2005, als mit 1,26 der Tiefpunkt erreicht war. Um die Bevölkerungszahl auf konstant gleichen Niveau halten zu können, bräuchte es jedoch eine Rate von 2,07. Schreitet die Entwicklung so voran, dann wird im Jahr 2048 die Einwohnerzahl Japans von heute knapp 127 Millionen erstmals wieder auf unter 100 Millionen sinken. 2060 wird die Zahl gar auf 86 Millionen fallen. Eine aktuelle Studie der Regierung besagt, dass 2110 nur noch 42 Millionen Menschen in Japan leben werden (Asienspiegel berichtete).
Heute sind in Japan bereits 33 Millionen Personen über 65 Jahre alt. Das entspricht 26 Prozent der Bevölkerung und ist ein historischer Höchstwert. Die Zahl der Kinder bis 14 Jahren liegt gerade mal noch bei 13 Prozent der Bevölkerung, oder 16,2 Millionen in absoluten Zahlen. Die Folgen werden immer stärker spürbar. Bereits herrscht in Branchen wie der Bauindustrie, im Pflegebereich oder in der Gastronomie ein akuter Personalmangel.
Zurück zu 1984
Premierminister Abe hat das demographische Problem nun zur Chefsache erklärt, wie die Sankei Shimbun berichtet. Denn die schrumpfende Bevölkerungszahl stellt für Japans riesige Wirtschaft eine der grössten Herausforderungen überhaupt dar. Abes Ziel: Die Bevölkerungszahl langfristig auf über 100 Millionen zu halten. Dafür ist eine Geburtenrate von mindestens 1,8 notwendig, was zuletzt 1984 der Fall war. Mit Reformen und Anreizen, die noch in diesem Monat angekündigt werden, soll dies bewerkstelligt werden.
Verschiedene Ansätze und Vorschläge liegen auf dem Tisch. Einerseits sollen mehr Kindertagesstätten geschaffen und die Gesetzgebung so gelockert werden, dass Familien einfacher ein Kindermädchen anstellen können, so wie es heute in Singapur, Taiwan oder Hongkong bereits üblich ist. So hofft man, dass die Frauen Familie und Beruf unter einen Hut bringen können. Für das Heer der Teilzeitangestellten sollen zudem die Steuern beträchtlich gesenkt werden. Ausserdem möchte die Regierung mehr Stipendien oder zinslose Darlehen für die Ausbildung der Kinder sprechen.
Die Regierung wird noch diesen Monat ihre konkreten Pläne bekanntgeben, wie die Nikkei Shimbun berichtet. Die Kritik wird dennoch bleiben. Denn egal welche Massnahme Abe treffen wird, das demographische Problem wird sich nicht kurz- oder mittelfristig lösen lassen.
Die Alternative: Mehr Einwanderung
Eine Expertengruppe der japanischen Regierung, die sich mit Zukunftsfragen befasst, kam vor einem Jahr zum einfachen Schluss, dass mit jährlich 200’000 Einwanderern der Bevölkerungsschwund verlangsamt werden und der derzeitige Mangel an Arbeitskräften behoben werden könnte. Mit dieser Massnahme würden selbst in 100 Jahren noch immer 100 Millionen Menschen in Japan leben (Asienspiegel berichtete).
Was in der Theorie gut tönt, ist jedoch politisch kaum umsetzbar. Eine Einwanderungspolitik in diesem Ausmass wäre ein Experiment, das es so in der Geschichte des Inselstaates noch nie gegeben hat. Es wäre eine radikale Umkehr der bisherigen Ansatzes, einzig qualifizierte Fachkräfte ins Land zu lassen (Asienspiegel berichtete). Und so bleibt einzig der Versuch, mit staatlichen Anreizen die Geburtenrate in der eigenen Bevölkerung wieder ansteigen zu lassen. Wie dieses Experiment ausgehen wird, weiss auch niemand.
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